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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Die Werkzeuge der Neuzeit.
I. Der Dampfhammer.
Von Max Maria von Weber.

Jedem bedeutsamen Abschnitte in der Culturgeschichte geht fast immer eine Erfindung im Bereiche der Technik voraus, ohne die der Eintritt jener Epoche, wo nicht unmöglich gemacht, so doch verzögert worden wäre. So ist die Reformation undenkbar ohne die Buchdruckerkunst, die Finsterniß des faustrechtlichen Mittelalters flieht vor dem Blitze des Schießpulvers, und die Dampfmaschine führt die Aera der Völkerverbrüderung und Gemeinsamkeit der Interessen herauf. Aber nicht blos bei den großen weltgeschichtlichen Erscheinungen ist dies der Fall, auch die allgemeineren Erfordernisse der Civilisation werfen ihren Schatten in Gestalt von Erfindungen voraus, durch die es möglich wird, jenen zu genügen.

Unsere Zeit ist durch einen guten und einen bösen Geist, ein erwerbendes und ein unproductiv verzehrendes Princip, einen Ormuzd und Ahriman im Völkerleben, beherrscht. Der erstere ist der Geist freier Association der Kräfte der Individuen, der zweite der der gewaltsamen Opposition der Kräfte der Nationen. Der Ormuzd heißt „Verkehr“, der Ahriman „bewaffneter Friede“. Der erstere treibt zur Schöpfung von Mitteln, welche die Völker zu einander führen, sie sich gegenseitig kennen und lieben lehren, zum Bau von Eisenbahnen, Schiffen, Häfen, Canälen, Straßen etc.; der andere lehrt sie die Werkzeuge verbessern, durch die sie sich abschlachten und vernichten können, Geschütze schmieden und ziehen, Panzerplatten und Explosionsgeschosse walzen und gießen.

Vom Schlusse des ersten Viertels dieses Jahrhunderts her datirt der Aufschwung des Associationsgeistes, des Verkehrswesens, der Eisenbahnen und der Dampfschifffahrt. Das revolutionäre Julikönigthum in Frankreich schuf wenige Jahre darauf den unseligen europäischen bewaffneten Frieden. Bis dahin unerhörte technische Arbeiten wurden jetzt ausgeführt. Die sich immer kraftvoller entwickelnden Eisenbahnbetriebsmittel, die Pumpmaschinen, welche Bergwerke trocken legten und weite Strecken Meeresboden in blühende Provinzen umwandelten, die Dampfschiffe, die, eins nach dem andern, immer riesenhafter vom Stapel liefen, die mächtigen Maschinen, welche gewaltige Walzwerke umtrieben oder wahre Sturmwinde von Luft durch das Feuer der Eisenwerke jagten, erforderten immer größere und aus dem die größte Sicherheit gewährenden Materiale, dem Schmiedeeisen, hergestellte Organe. Achsen, Wellen, Krummzapfen, Balanciers, Kolbenstangen etc. von vorher nie geahnten, immer steigenden Dimensionen wurden gebieterisch verlangt. Andrerseits rangen die Mächte auf dem kostspieligen Wege der Einschüchterung, durch Ueberbieten an imposanter Größe, Solidität, Vertheidigungs- und Zerstörungsfähigkeit ihrer Schutz- und Trutzwaffen zu Land und zu Wasser nach der Erhaltung des allen Völkern gleich nothwendigen Friedens. Die riesenhaften gezogenen und Bogenschußgeschütze, die gepanzerten Schiffe, die eisernen Bollwerke, entstanden. Der Erbauer des kolossalen Schiffs „Great Eastern“ verlangte von den Schmieden Englands die Herstellung einer Achse aus Schmiedeeisen von dreißig Zoll Durchmesser und sechshundert Centner Gewicht, um darauf seine Schaufelräder vom Durchmesser eines großen Kunstreiter-Circus zu stecken. Die Constructeure der schwimmenden Festungen hielten zu den Panzern ihrer schnellbewegten Citadellen Platten für erforderlich, deren jede, fünf Zoll dick von Schmiedeeisen, zwei- bis dreihundert Centner wog, während ihre Gegner, die Civil-Artilleristen Armstrong, Whitworth, Dahlgren, Parrot etc., zum Schaffen von Geschützen, die in diese Panzer wieder Bresche schießen sollten, nach geschmiedeten Kanonenrohren von vier Fuß Durchmesser und dreißigtausend Pfund Gewicht riefen, welche Projektile von fünfhundert Pfund und mehr Gewicht werfen sollten.

Dem Allen hätten die Schmiede mit den Werkzeugen, die ihnen noch vor dreißig Jahren zu Gebote standen, nicht entsprechen können. Der Ursprung und die Construction derselben war zum Theil uralt und sie besaßen für das, was sie zu leisten hatten, meist Anordnungen, die mehrtausendjährige Praxis zu hoher Vollkommenheit herausgebildet hatte. In der That war das Werkzeug des Schmiedes, unter dessen geschickten Hammerschlägen sich der Stahlhelm des mittelalterlichen Raubritters wölbte, oder welcher die bewunderungswürdigen Schwerterklingen streckte, deren Ruhm in Lied und Geschichte auf uns gekommen ist, kein wesentlich anderes als das, womit, bis auf die Zeiten unserer Jugend herab, die Organe der Maschinen der Neuzeit geschmiedet wurden. Hämmer, Ambose, Schrotbeile, Gesenke, Locheisen, Zangen, Alles von verschiedener Form und Größe, die jedoch nie über die Möglichkeit der Handhabung durch eines oder einiger nerviger Männer Kraft hinausging, bildeten diesen Apparat. Fast eben so wenig hatte die Zeit ihre umgestaltende Macht an den Werkzeugen geübt, die zum Schmieden von Eisenkörpern dienten, deren größere Massen der von der menschlichen Hand geschwungene Hammer nicht genügend erschütternd durchdringen konnte. Es waren dies die großen Hämmer, deren monoton-sonorer Schlag vielstimmig in unseren von wilden Bächen durchströmten Waldthälern widerhallt. Bildete doch das einsam gelegene Hammerwerk, mit seinem rastlosen Dröhnen, leuchtenden Feuern und sprühenden Eisenstäben, deren Schein so traulich phantastisch auf den Schaum des umstrudelnden Rades und zwischen den uralten Stämmen ringsum hinausleuchtete, ein Hauptelement der Poesie unseres deutschen Gebirges.

Diese großen Hämmer wurden durch Wasserkraft (die sich in späterer Zeit hier und da durch Dampfkraft ersetzte, ohne die Construction des Werkzeuges wesentlich zu ändern) und einfachsten Mechanismus gehoben und auf das Schmiedestück, das bearbeitet werden sollte, fallen gelassen. Die Anordnung des Ganzen erschien nur in dreierlei Form. Gemeinschaftlich war allen das langsam umwälzende, möglichst schwere Wasserrad, dessen starke Welle in die Schmiede hineinragte. An dieser Welle saßen tüchtige Hebedaumen, „Frösche“ genannt, welche die Eisenmasse des Hammers beim Drehen der Welle faßten, hoben und, sich vorüberwälzend, wieder fallen ließen. Die Masse des Hammers saß dabei, einem gewöhnlichen Handhammer ähnlich geformt, an einem starken, meist aus einem zähen Eschenstamme hergestellten und mit Eisen stark geschienten Stiele, „Helm“ genannt. An diesem Stiele befanden sich Drehzapfen, die sich in Pfannen bewegten, so daß der emporgeschnellte Hammer gezwungen war, stets auf dieselbe Stelle zurückzufallen. Hier wurde der aus einem schweren Stücke verstählten Eisens bestehende Ambos angebracht. War der Hammer nicht zu schwer, d. h. überstieg sein Gewicht nicht drei- bis fünfhundert Pfund, so brachte man die Drehzapfen ungefähr in der Mitte des Stieles an und ließ die Kraft auf das dem Hammer entgegengesetzte Ende desselben wirken.

In dieser Form hieß der mechanische Hammer „Schwanz- oder Zain-Hammer“. Die Hämmer zum Behandeln schwerer Schmiedestücke ließ man achtzig bis hundert Mal in der Minute schlagen. In Fällen, wo eine größere Schnelligkeit des Schlags erforderlich war, wie z. B. bei den allerdings kaum einige Pfund schweren Hämmern der Löffel- und Zeugschmiede, die drei- bis vierhundert Schläge in der Minute machen sollte, reichte es natürlich nicht aus, den Hammer durch die bloße Wirkung der Schwere fallen zu lassen, und man brachte unter demselben, oder unter dem Schwanzstücke, Prallvorrichtungen, „Prallraitel“ genannt, aus Holz oder Leder an, die ihn rascher nach dem Ambose zurückwarfen. Mit diesen Hämmern wurden alle feineren Stab- und Flacheisensorten, z. B. Wagenreifen etc. ausgeschmiedet. In den mechanischen Werkstätten benutzte man sie zur Herstellung der größeren complicirten Schmiedestücke.

Es würde bequem gewesen sein, wenn man auch den schweren Hämmern, deren die Eisenwerke bedurften, diese Form hätte geben können. Dies verbot sich aber durch den Umstand, daß der Stiel, der Helm, hier in seiner ganzen Länge die Kraft zum Heben des Hammers stoßweise fortpflanzen mußte. Für schwere Hämmer hätte sich kein Stamm von genügender Haltbarkeit gefunden. Man legte daher bei ihnen die Welle entweder zwischen die Drehzapfen und den Hammerkopf (Aufwerfhämmer) oder, wie meist bei den schwersten, vor denselben (Stirnhämmer). In beiden Fällen wurde die Festigkeit des Hammerstiels wenig in Anspruch genommen, dagegen beschränkte sich die Hubhöhe des Hammers und die Bequemlichkeit der Manipulation auf dem Ambos nahm ab, weil die Welle ganz in der Nähe desselben lag. Das Gewicht der in der Eisenindustrie früherer Zeiten verwendeten Aufwerf- und Stirnhämmer stieg bis auf mehrere tausend Pfund. Allen diesen Vorrichtungen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 489. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_489.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2022)