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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Schriften, welcher der Frau erwähnen,[1] wird mir doch nicht ganz klar, ob ihr gewaltiger Einfluß direct ihrem Verhältniß zu Kaiser Paul entstammte, oder ob sie, als Günstlingin eines Günstlings, mit der frechen Unverschämtheit manövrirte, die ihre und ihres Mannes Laufbahn bezeichnet. Jene Broschüren aber liefern auch den Beweis, welche Unzahl erbitterter Todfeinde sich Kotzebue an allen Orten seines Wirkens zu schaffen verstand. Zu den letzteren scheint auch die Familie Chevalier gehört zu haben – ein Umstand, der vielleicht nicht ohne Einwirkung auf seine noch nicht ganz aufgeklärte unvermuthete Verbannung nach Sibirien gewesen sein mag.

Durch seine Verheirathung wurde der elende Tänzer erster Balletmeister des Kaiserlichen Hoftheaters, mit dem Titel eines Collegienassessors, und zugleich mit seiner Frau, welche sich dem Schauspiel gewidmet hatte und eine treffliche Künstlerin im naiven Fach gewesen sein soll, unumschränkter Beherrscher aller Theater in Petersburg. Allein auch außer der Bühne richtete die Courtisane durch ihre Verbindungen unglaubliches Unheil an. Kotzebue erzählt einen Fall, daß ein Italiener, der zur Schlichtung eines Processes nach Rußland gekommen, um seinen Zweck zu erreichen, das allvermögende Chevalier’sche Ehepaar, sie mit einem kostbaren Schmuck und ihn mit einer enormen Summe, bestochen habe. Da er trotzdem den Proceß verlor und über die Mittel, die er zur Gewinnung angewendet, zu laut wurde, indem er sein Eigenthum zurückforderte, erhielt er die Knute und wurde mit aufgeschlitzten Nasenlöchern in die Bergwerke von Nertschinsk geschickt.

Auf die geistlosen Ballete, welche der Herr Collegienassessor in Scene setzte, wurden ganz unglaubliche Summen verwendet, um das langweilige Zeug genießbar zu machen. Die Wohnung der Dame soll ein Wunder von Luxus gewesen sein und an Reichthum und Geschmack die Einrichtung des kaiserlichen Palastes übertroffen haben. Ihre Benefize brachten ungeheuere Summen ein, denn die hochgestelltesten Personen des Reiches drängten sich, bei dieser Gelegenheit sich der allvermögenden Person zu empfehlen. Einzelne Logen wurden mit Tausenden von Rubeln bezahlt, Madame Chevalier hatte nicht nöthig, sich an solchen Tagen um den Verkauf der Plätze zu bekümmern; man stürmte Haus und Casse, und was nur bei Hof in Ansehen stand oder zu solchem kommen wollte, beeilte sich, der einflußreichen Familie seine Ergebenheit klingend zu beweisen. Wer nicht genug gab, dem wurde die Summe ganz einfach zurückgeschickt, er durfte jedoch gewiß sein, daß ihn die boshafteste Rache für diese Unterlassungssünde bald genug ereilen würde. Unglaublich klingen die Summen, welche die wackere Familie in dieser Weise zusammenscharrte und in’s Ausland sandte.

Wie weit die Macht des Herrn Chevalier ging, möge der Umstand beweisen, daß er es wagte, dem Großfürsten Alexander, dem nachmaligen Kaiser von Rußland, den Besuch der Ballet-Proben ohne Weiteres zu verbieten. Bei allen Staatsministern ging der freche Bursche unangemeldet ein und aus, warf sich mit unverschämter Nonchalance auf das Sopha und redete die höchsten Würdenträger des Reiches mit „bon jour, mon ami“ an. Ganze Stunden ließ die gefeierte Madame das Publicum vor dem Vorhang ruhig warten, wenn es ihr noch nicht gefällig war, zu erscheinen, und war es ihr dann endlich genehm aufzutreten, so wurde sie, statt mit wohlverdientem Pfeifen, mit einem Sturm von Applaus von „dem dankbaren Publicum“ empfangen.

Die ganze Herrlichkeit erreichte freilich ein eben so unerwartetes, als unsanftes Ende. Zwei Stunden nach dem Tode des Kaiser Paul drangen zwei Officiere in das Schlafzimmer der schönen Phryne; ihr Mann war in Engagementsangelegenheiten in Paris abwesend war, zu deren Realisirung er eine enorme Snmme in Creditbriefen und Wechseln mitbekommen hatte. Die Officiere weckten die zarte Schläferin etwas unsanft aus dem Schlummer. Mit ironischer Höflichkeit wurde die Erschurockene bedeutet, sofort aufzustehen und einen Ring mit der Namens-Chiffre des Kaisers und eine kostbare Dose mit dem Bild desselben, auf einen Amor gelehnt, zurückzugeben. Im Nachtkleide stürzt die Heuchlerin, welche noch nicht wußte, daß ihr Beschützer todt sei, und sich in Ungnade glaubte, zu den Füßen der beiden Officiere und ruft mit thränenerstickter Stimme:

„Gnade, Gnade, nehmt Alles, was ich an Schmuck besitze, nur laßt mir diese theuren Andenken!“

Lachend erwiderten die Gesandten, daß sie keine anderen Schmuckgegenstände verlangten, als den Ring und die Dose. Mit eben nicht sehr zarten Spöttereien wurde noch die Wohnung untersucht nach einem Grafen Kutaissow, welchen man bei ihr versteckt glaubte und für den man einen Verhaftsbefehl bei sich trug, dann wurde die Verzweifelnde ihrem Schicksal überlassen, welches leider viel besser ausfiel, als die Elende verdient hatte. Der neue Kaiser ließ sie am anderen Morgen durch Graf Pahlen wissen, daß ihrer Abreise aus Rußland kein Hinderniß im Wege stehe und daß sie ihr ganzes Vermögen mitnehmen dürfe, an welchem tausend und tausend Flüche hingen.

Sie starb in hohem Alter, als Millionärin in Berlin, nachdem sie sich, wie Kotzebue sagt, sehr gelangweilt hatte und sehr fett geworden war.

Unter vielem bombastischen Geschwätz versteckt, geben die erwähnten Broschüren doch ein überaus lebendiges Bild der Schreckenszeit unter Kaiser Paul. Man weiß kaum, wer sich mehr vor dem Andern gefürchtet, ob der Kaiser vor dem Volke, oder das Volk vor dem gewaltigen Tyrannen. „Aus einem sumpfigen Moraste stieg,“ schreibt Kotzebue, „jener blutrothe Palast empor, den Paul bewohnte, rings von tiefen Gräben umgeben und mit Kanonenschlünden bepflanzt; jeder Zugang führte durch ein Wachthaus. In den dunklen, labyrinthischen Gängen standen, düster vom Lampenlicht beleuchtet, schwer bewaffnet, Posten an Posten. Hinter dem fest verschanzten Cabinet des Monarchen war eine kleine Küche angebracht, worin er sich seine Speisen von einer deutschen Köchin bereiten ließ, die er zu seiner Geliebten erhoben hatte. Ueber dem Bette des Kaisers hing ein Engel – kein Schutzengel.“

Soweit Kotzebue! Allein auch schon diese überaus zahme Andeutung auf die verhängnißvolle Todesart des Kaisers erregte die Wuth eines dortigen Correspondenten, der mit frecher Stirn folgende Berichtigung drucken ließ:

„Was Herr von Kotzebue mit diesen mysteriösen Worten – ‚ein Engel – kein Schutzengel‘ – sagen wollte, ist uns wirklich unverständlich und klingt in unseren Ohren seltsam. Von dem plötzlichen Tode des Monarchen weiß man nur so viel, daß die giftigen Dünste einer Alles verheerenden Feuchtigkeit schon lange seiner sonst so starken Gesundheit drohten, allein Niemand durfte es, ohne den Monarchen zu erzürnen, wagen, ihn auf die drohende Gefahr der mephitischen Dünste aufmerksam zu machen, da das Palais gewissermaßen sein Steckenpferd war. So vermehrte sich sein übler Zustand von Tag zu Tag zusehends, ein Stickhusten raubte ihm schon einige Nächte vor seinem Tode Schlaf und Ruhe! Bei Tage und in freier Luft fühlte er sich zwar leichter und er war dann bei munterer Laune, allein dies konnte doch die Gefahr nicht tilgen, die seine Gesundheit untergrub. Am 11. März, als er sich kaum zur Ruhe gelegt, fand sich der fatale Stickhusten auf’s Neue wieder ein, und ehe noch der schnell herbeigerufene Leibarzt erschien, machte ein plötzlicher Stickfluß seinem Leben ein Ende. So ruhe denn sanft, guter, biederer verkannter, wahrlich verkannter Mann! Die Schuld alles des Bösen, dessen man Dich angeklagt, tragen diejenigen, die Dich umgeben und die Dein vortrefflicher Sohn nach dem Wunsche der ganzen Nation von sich und den Stellen, die sie bekleideten, entfernte. Ruhe sanft! und einst beim Erwachen, beim Wiedersehen, reichen Alle, die Dich verkannt, Dir brüderlich zur Versöhnung die Hände, treten mit Dir vor den Richter Aller und werden laut ausrufen: ‚Herr, er ist nicht schuld, er wollte immer nur das Gute, das Gerechte! Strafe die, so seine Gewalt mißbrauchten!‘“

Klingt diese Grabrede nicht wie Ironie auf einen Mann, der in tyrannischer Willkür Tausende knuten und nach Sibirien schleppen ließ, der mit Menschenschicksal und Menschenwohl spielte, wie es ihm seine blutige Laune eingab, der z. B. einen Unglücklichen auf die Festung schleppen ließ, weil er, unbekannt mit den neuen Verordnungen über die Kleidertracht, derselben entgegen, dem Kaiser in den Weg trat? Nach vier Jahren, in denen er vollkommen im Kerker vergessen worden war, wurde der Arme entlassen und seiner Familie, welche ihn längst todt glaubte, zurückgegeben! Niemand wußte ihm auch nur zu sagen, warum er arretirt worden sei.

  1. Briefe eines Franzosen an einen Deutschen etc. Von Masson. Basel 1802. – Nöthige Erläuterungen etc. von einem Freunde der Wahrheit. Leipzig 1802. – Geheime Nachrichten über Rußland. Coblenz 1802. – Kurze und gelassene Antwort des Herrn von Kotzebue auf eine lange und heftige Schmähschrift des Herrn von Masson. – Das merkwürdigste Jahr meines Lebens, von Kotzebue etc. etc. etc.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 570. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_570.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)