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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

des Tages zu. Nichts konnte strahlender sein als sein Gesicht, wenn er vor einem frisch aufgespannten Malertuch stand und sich anschickte irgend ein Bild aus der bedeutenden Sammlung seiner Vorfahren zu copiren. Diese Copien wurden nach ihrer Vollendung auf das Schönste eingerahmt und in dem oberen Saal des Schlosses aufgehängt. Die wenigen, gewaltig ernsthaft blickenden Familienbilder, die hier früher ihren Platz gehabt und welche Melanie höchst respectwidrig die Käfersammlung zu nennen pflegte, mußten sich gefallen lassen in das anstoßende Erkerzimmer verbannt zu werden.

In dem Saal dieser Copien nun pflegte Herr M. Winter und Sommer sein Mittagsschläfchen zu halten. Es war gar zu süß mitten unter seinen Schöpfungen einzuschlummern und zu erwachen – halb blinzelnd eine in unbeschreiblichen Farben prangende Kuh nach Potter, eine Landschaft nach Salvator Rosa, ein Portrait nach van Dyk anzusehen, denn Herr M. malte Alles – um sich zu sagen: „Deine Hand hat sie geschaffen!“ Unbekleidete Figuren zu malen hatte er aufgegeben, bis auf Weiteres, seitdem sein Töchterchen ihn einmal gefragt, als er einen Engel nach Fiesole copirt: „Papa, ist der arme Junge mit den Flügeln in ein blanc manger gefallen? er guckt ja nur noch mit dem Kopf heraus!“ – „Der Kukuk mag wissen, wie sie es anfangen, die Maler, so ein Stück ordinären Fleisches herauszubringen,“ brummte Herr M. nachher, „es ist gewißlich nichts, als ein kleiner Taschenspielerkunstgriff dabei; man geräth aber von selbst nicht darauf. Nun, ich muß mir’s sagen lassen, sobald mir ein Maler einmal in den Wurf kommt.“

Melanie’s siebenzehnter Geburtstag war herangekommen. Das war ein aufregender Tag, dieser 15. Mai! Man feierte an ihm die feierliche Verlobung Melanie’s mit Alphons Dacier, der von Paris herübergekommen war, um einige Wochen im Schlosse zu bleiben. Alle die jungen Freundinnen des Mädchens waren eingeladen, nebst den dazu gehörigen Vätern, Müttern und Brüdern; die Sonne strahlte, der Flieder blühte und wie weiße Schmetterlinge flatterte die Mädchenschaar im Park umher.

Am späten Abend, als es wieder still geworden war, geschah es, daß Melanie sich auf das Bett ihrer Gouvernante setzte. Sie begann sich ihr Haar für die Nacht aufzuflechten und sagte mit einem glücklichen Lächeln: „Das war ein hübsches Fest! Es giebt doch nichts Angenehmeres, als sich zu verloben, und ich bedauerte alle meine Freundinnen, daß sie nicht auch ihre Verlobung feiern konnten.“

Fräulein Köhler zog die Garnitur ihrer Nachthaube ein wenig tiefer über ihre Lockenwickel, lockerte die Stirnbinde, die sie der allzutiefen „Denkerfalte“ wegen allnächtiglich zu tragen pflegte, legte ihre Hände über die Augen und bat: „Liebe, stelle einen Schirm vor das Licht, das Du hereingebracht. Schone meine Augen!“

Eine Secunde später lag die Gouvernante im tiefsten Schatten und der volle Lichtschein traf nur Melanie. Ihr leichtes, spitzenbesetztes Nachtkleid fiel bis auf die Füße herab. Sie standen auf einem kleinen Tabouret. Daß Melanie eine französische Mutter gehabt, zeigten diese Füße. Sie steckten noch in den kleinen rosenrothen Atlasschuhen mit den schwarzen Spitzenrosetten, in denen sie getanzt, und es gab nichts Zierlicheres als die Form dieser Füßchen mit den feinen Knöcheln. Fräulein Köhler’s mit wunderbaren Blumen bestickte Morgenschuhe – ihre zahllosen Nichten versahen sie mit diesem abscheulichen Artikel – hatten das Ansehen einer Wiege für die Füße des jungen Mädchens.

Als das Fräulein noch immer schwieg, sanken plötzlich die Hände Melanie’s in den Schooß, ein Zug von Trauer überflog das reizende Gesicht: „Mein Gott, ich habe ihr gewiß wehe gethan,“ dachte sie, „die Arme hat ja nie ein so schönes Fest gefeiert!“ Unwillkürlich neigte sie sich herab, um ihre Lehrerin zu küssen. „Wie vergnügt war der Papa heut! Nicht wahr, Sie verlassen ihn nie, wenn ich einmal fort bin, und begleiten ihn immer nach Paris, wenn er kommt mich zu besuchen?“

„Gutes Kind! Darüber reden wir ein ander Mal,“ antwortete die Köhler gerührt, „ich habe allerlei Pläne. Du sollst später Alles erfahren. Ja, Du hast Recht, es ist ein schönes Fest, das Du heut gefeiert, aber ich glaube, es wird doch noch schöner sein, wenn – wenn die rechte Liebe dabei wäre, die muß aber bei Dir erst kommen!“

„Nun, wenn sie bei Alphons da ist, dann dürfte es ja einstweilen genug sein,“ lachte das junge Mädchen. „Ich muß ihn freilich erst kennen lernen; es ist recht gut, daß er jetzt einen Monat hier bleibt. Meinen Sie, daß ein Monat genug Zeit ist, um sich lieben zu lernen?“

„Thörin!“ erwiderte die Gouvernante mit Nachdruck, „ein einziger Augenblick genüge, sagen die Dichter! Wie war Dir’s denn zu Muth, als Du Deinen Verlobten zum ersten Male sahst?“

„Lassen Sie mich ein wenig nachdenken,“ erwiderte Melanie und machte ein allerliebstes ernsthaftes Gesicht. „Ach ja, das war, als Mama noch lebte, vor fünf Jahren. Alphons ist sieben Jahr älter als ich, und ich meinte damals, er sähe sehr alt aus und wolle Alles besser wissen als ich. Nachher war er da, als die arme Mama starb, und ich hatte ihn sehr gern, weil er mich so zärtlich zu trösten versuchte und mit dem Papa so viel plauderte, und jetzt finde ich ihn recht hübsch und so unterhaltend und gewandt, wie keinen einzigen der jungen Herren, die ich kenne. Ist das noch nicht die Liebe, die man braucht, um eine glückliche Frau zu werden?“

„Ich denke, nein! Die wirkliche Liebe ist etwas ganz Anderes: ein immer aneinander Denken, ein immer beieinander Sein, ein Treubleiben in Noth und Tod. Nun, das wird Alles noch kommen!“

Das junge Mädchen antwortete nicht sogleich. Sie saß in tiefes Sinnen verloren. Wie hübsch sie in diesem Augenblick aussah, so unberührt von jedem Kummer, so schuldlos, so froh und frisch! Melanie hatte zwar mit ihrer Erzieherin manches Liebesgedicht, manche rührende Geschichte, worin von Liebe die Rede war, gelesen, aber sie gestand sich, daß sie trotzdem noch niemals ernsthaft über die Liebe nachgedacht. Und jetzt war sie doch schon Braut! –

„Die Liebe muß doch sicher die höchste Zufriedenheit sein,“ begann sie nach einer Weile, „und so meine ich, daß ich bereits anfange zu liebe. Ich bin zufrieden mit Alphons, mit Papa, mit mir selber, ich möchte Nichts anders haben und ich freue mich kindisch auf Paris.“

Und die hübschen Finger nahmen ihre unterbrochene Beschäftigung wieder auf, sie flochten das goldbraune Haar ein.

Das Fräulein seufzte. „Mein liebes Kind, wolle Gott keinerlei Prüfung über Dich kommen lassen!“

„Prüfung? Was verstehen Sie darunter?“ fragte Melanie.

„Allerlei ernsthafte Dinge: Kummer, Elend, Noth. Dergleichen besteht nur die echte und rechte Liebe mit Ehren.“

„Ich habe nicht gewußt, liebste Köhler, ob Alphons arm oder reich war, als ich mich mit ihm verlobte: also würde ich ihn genau so angenehm finden, wenn er Nichts hätte, sollte ich denken. Würde er krank, so will ich ihn gewißlich treu pflegen – dann muß er ja bald wieder gesund werden. Und Noth?! Ach, der gute Papa ist ja da und in Noth braucht ja nicht Jeder zu gerathen.“

„Melanie – Du sollst im nächsten Winter in Paris in die Gesellschaft eingeführt werden; Dein Papa will, daß Du vor Deiner Verheirathung ein Wenig von der Welt siehst; glaubst Du nicht, daß ein anderer Mann Dir jemals besser gefallen könnte als Dein Verlobter? Und Du wirst dort gewiß schöne Männer sehen, und geistvolle und liebenswürdige zu Dutzenden.“

„Das weiß ich nicht. Sollte das aber geschehen, nun so würde ich das sofort dem Papa und Alphons sagen, und wir würden schnell abreisen.“

„Das hilft nicht immer, mein Kind!“

„O, wenn ich nur Alphons sehe, liebe ich ihn auch wieder, das weiß ich gewiß! Und ich habe ja auch der todten Mama versprochen ihn zu heirathen – also das sind eigentlich unsinnige Plaudereien, ich weiß gar nicht, wie wir darauf kamen, schade, daß Alphons nicht malt oder singt, das würde Papa mehr Freude machen und mir wäre es auch recht!“

„Nun, das thut Nichts, wenn er Dich nur recht liebt, wie Du es verdienst!“

„O, wir sind doch hübsch genug ihn zu fesseln, liebe Köhler, das ist meine geringste Sorge! Und ich bin auch nicht seine erste Liebe, ich habe ihn neulich darum gefragt, und das ist mir recht lieb, dann weiß er doch, daß die Frauen nicht vollkommen sind, und nimmt mich wie ich bin.“

Es war unmöglich der Sprecherin böse zu sein, wie sie so plauderte, sie sah schelmisch dabei aus wie ein Kind, tausend neckische Geister trieben in den dunkeln Augen und in den Grübchen der Wangen ihr Wesen. Fräulein Köhler unterdrückte deshalb auch

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