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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

machen, wenn eine arme Droschke anfährt; weiß wohl, bin etwas zudringlich gewesen, aber so was hilft; nehmen Sie’s nicht übel. Sie haben sich und mir vortrefflich aus der Verlegenheit geholfen! Bin Ihnen dankbar, wahrhaftig, ja!“

Der Oberkellner sah den Fremden mit stolzen Blicken an und sagte mit Nachdruck: „Die Portiers und Kellner im *** Hof machen keine Ausflüchte, mein Herr; sie lassen keinen Menschen auf der Straße schlafen, so lange noch ein Winkelchen im Hotel zum Uebernachten frei ist.“

„Nun gut, gut, wollen nicht streiten! ’s war ein süperbes Winkelchen, das Sie noch frei hatten. Wußte wohl, daß sich’s so finden würde, bin ein alter Prakticus. Aber bitte nun, die Rechnung!“

Wieder warf der Oberkellner dem Fremden einen stolzen Blick zu: „Die Rechnung, mein Herr? Sie haben Nichts zu bezahlen!

Jetzt war es mit der Gelassenheit des holländischen Phlegma zu Ende: „Wa – wa – wie? Nichts zu bezahlen ? Herr, das ist zum Lachen! Fürstlich gelebt und königlich gewohnt, und Nichts bezahlen? Nein, Herr, ich habe keine Zeit und Lust zu Späßen! Ich bitte, die Rechnung!“

„Mein Herr, ich hatte schon drei Mal die Ehre, Ihnen zu versichern, daß wir keinen Platz für Sie hatten. Sie sind abgewiesen im *** Hof, und unser Hotel hat nichts mit Ihrer Zahlung zu schaffen. Und in der That, verzeihen Sie, ich finde es fast unzart, daß Sie in dieser Weise Rechnung fordern. Oder sollten Sie wirklich nicht wissen, wo Sie logirt haben?“

„Nun zum Henker, im *** Hof!“

„Mein Herr, aus einem Sopha des *** Hofs hatten Sie sich Quartier gemacht, und ich würde Sie nicht davon vertrieben haben. Aber Ihr Nachtlager verdanken Sie nicht unserm Hotel, sondern – mein Gott, wissen Sie denn das nicht? Unser gütiges Fräulein hat Ihre Verlegenheit bemerkt, und sie, ja, mein Herr, die Tochter den Hauses selbst hat ihr eigenes Zimmer und Cabinet Ihnen abgetreten, und das begreifen Sie doch wohl, daß wir von Gästen unseres Fräuleins nun und nimmer Zahlung annehmen können.“

„Aber Bester, Liebster, ich bitte Sie! Ihr gütiges Fräulein hat uns ihr Zimmer eingeräumt? Das ist ja eine ganz merkwürdige Geschichte, ja höchst merkwürdig und außerordentlich liebenswürdig! Aber in der That, ich bin in Verlegenheit; ich kann doch nicht fortgehen, wie ein Eindringling, ohne zu zahlen!“

„Läßt sich nicht ändern, mein Herr!“

„Aber ich bitte Sie, Verehrtester, kann denn nicht wenigstens ich und Madame dem Fräulein Aufwartung machen und Dank sagen?“

„Fräulein wird bedauern, sie hat eben kein Empfangzimmer zur Verfügung!“

„Aber dem Herrn des Hauses, ich bitte Sie, Ihrem Herrn werde ich doch einen Besuch machen dürfen?“

„Der Herr wird bedauern, er macht eben seinen Morgenspazierritt!“[AU 1]

„Aber mein Gott, Bester, das ist ja verzweifelt! Ich muß mich doch wenigstens bei Jemandem bedanken können! Oder, lieber Herr, bitte, bitte, danken Sie in meinem Namen und im Namen von Madame und im Namen meiner Tochter, bitte, bitte!“ Und dabei sucht er in kleinlauter Verlegenheit dem Kellner ein Goldstück in die Hand zu drücken.

Mit einer vornehmen Verbeugung tritt dieser zurück: „Mein Herr, von Gästen unseren Fräuleins nimmt kein Diener des *** Hofs ein Trinkgeld an. Uebrigens steht eine Equipage des Hotels mit Ihrem Gepäck vor dem Hause bereit. Reisen Sie glücklich, mein Herr!“

Die Ausgewiesenen gehen zum Wagen und bemerken mit Beschämung, wie auch nicht ein trinkgeldlustiger Kellner und Hausknecht sich sehen läßt. Sie steigen ein und der Lakai schließt den Schlag. Da springt mit strahlender Freude das liebliche Lockenköpfchen von gestern herbei, reicht ein wundervolles Bouquet in den Wagen und flüstert: „Schwester Sannchen läßt das freundliche Fräulein grüßen!“

„Main-Neckar-Bahnhof im Trab!“ ruft der Lakai, indem er sich auf seinen Sitz schwingt. Die Rappen ziehen an, das Kind winkt mit der Hand ein Lebewohl!

War vielleicht der kleine Engel es gewesen, der mit seiner Bitte den Fremden ein Asyl geöffnet hatte? Wie dem auch sein mochte, die Ehre des Hotels war gewahrt. Es hatte Gastfreundschaft in zartester Weise geübt und lieber selbst die Zeche gezahlt, um nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, daß es unter falschem Vorwand die Gastfreundschaft versagt habe.

Die alte holländische Notabilität zählt diesen Liebesdienst zu den freundlichsten Erinnerungen ihren Lebens.

A…x.




Blumen- und Vogeluhr. Ohne daß man damit den hohen Werth der Erfindung der sogenannten Nürnberger Eier durch Peter Hele, oder den großartigen Geschäftsbetrieb der Uhrenfabrikation in der französischen Schweiz, oder gar die Verdienste eines Mannhardt, eines Elliot Smith um Vervollkommnung der Chronometer nur im Mindesten unterschätzen will, verdient doch jene sehr bekannte Thatsache bemerkt zu werden, daß Gärtner oder sonst aufmerksame Blumenfreunde sich sehr leicht eine sogenannte Blumenuhr verschaffen können, welche durch Oeffnen und Schließen der Blüthenkelche zu gewissen Stunden und Minuten die Zeit sehr genau bestimmt, und wer dann nur einigen Sinn für das Pflanzenleben besitzt, wird durch die Freuden reichlich belohnt, die ihm die ordnungsliebenden Kinder der Flora täglich und stündlich gewähren. Doch ein noch viel lebhafteres Interesse, als die Blumenuhr, bietet uns, besonders Jenen, die viel in der freien Natur leben, z. B. dem Jäger, der etwa keine Taschenuhr besitzt, die Vogeluhr, die im Ordnungssinn der kleinen, befiederten, allerliebsten Sänger begründet ist und nebenbei recht viel Ergötzliches enthält. Nach der unermüdlichen Nachtigall, die durch ihren schmetternden, flötenartigen Gesang die stille, feierliche Nacht verschönert, ist der lebhafte, muntere Fink der früheste der Vögel; er giebt das weithin vernehmbare Signal zur allgemeinen Reveille; sein Gesang geht dem Aufgang der goldenen Sonne voraus und ertönt schon von 11/2–2 Uhr an. Von 2–21/2 Uhr läßt die schwarzköpfige Grasmücke ihren Flötengesang erschallen, der mit dem der Nachtigall rivalisiren würde, wäre er nicht so kurz und abgebrochen. Von 21/2–3 Uhr hört man den Wachtelschlag, den kurzen, eindringlichen, welcher mit seinem entschiedenen, raschen „Weg vom Bett, weg vom Bett!“ die Langschläfer zu mahnen scheint, an ihr Tagewerk zu gehen, weil Morgenstunde Gold im Munde habe. Von 3–31/2 Uhr läßt die rothbäuchige Grasmücke ihren melodischen Triller erschallen, der den aufmerksamen Hörer, selbst wenn er mit noch so geringem musikalischem Talent ausgerüstet wäre, jedenfalls viel mehr erbaut, als die unablässigen Trillerstudien einer ob auch noch so liebenswürdigen Nachbarin, welche diese geisttödtenden Uebungen mit einer unverwüstlichen Geduld und Ausdauer nach Czerny, Hummel, Bertini, nach Louis Plaidy, Chopin oder gar nach dem frommen Abbé Liszt vornimmt, der einstens in den Armen der süßen Lola den Becher der Freude bis auf den Boden leerte und nun der Welt um so leichter „Ade!“ sagen kann, da die schönen Tage von Aranjuez bereits vorüber sind und ihm jedenfalls neben seinen priesterlichen Amtsgeschäften so viel Zeit bleibt, statt seiner symphonischen Dichtungen und ungeheuerlichen Transcriptionen für Piano Oratorien über wunderbare Legenden zu schreiben.

Von 31/2–4 Uhr erhebt die schwarze Amsel ihre Stimme, die sich bekanntlich durch ihr musikalisches Gedächtniß selbst mit dem genialen k. bairischen Hofpianisten Hans v. Bülow, der dem Münchener Publicum einen gewissen Standpunkt klar zu machen versuchte, in einen Wettstreit einlassen könnte. Von 41/2–5 Uhr läßt die Schwarzmeise ihren eigenthümlich schrillen Ruf ertönen, welcher jedoch kaum mehr für Waidmannsohren genießbar erscheint. Nun aber fängt erst recht das Lamentabel an. Von 5–51/2 Uhr beginnt ein Erzspitzbube, der grauschmutzige Sperling, zu pipen, dieser geflügelte, ungezogene Schusterjunge – nur lange nicht so musikalisch, als man diesen kleinen Pechfinken überall findet – dieser unersättliche Räuber, der da ist ein Feinschmecker, ein Faulpelz, ein Tumultuant, ein echter Proletarier, Communist und Arbeitseinsteller, aber dabei äußerst keck und ergötzlich in seinen unverschämten Späßen, gerade wie übermüthige Musikanten, diese Lockvögel des Teufels, auf einer Bauernkirchweih, wenn sie naturwüchsigen Bauern von Ober- und Niederbaiern, die nach Lasaulx den eigentlichen Krystallisationskern Baierns bilden, „Tusche“ aus allen Löchern ihrer Blasinstrumente blasen, so daß man sein Gehörsorgan ernstlich gefährdet glaubt. Doch kaum hat der nasenweise Pfälzer Krischer sein Mark und Bein durchdringendes Geschrei ertönen lassen, als auch schon von allen Seiten die Morgenglocken erklingen und die segenbringende Spenderin alles Lichts die Vogeluhr für den weitern Tageslauf entbehrlich macht.




Ausspruch eines jüdischen Wilberforce. Als die traurige Kunde von dem grausamen Tode Lincoln’s nach der City Londons kam, sagte Baronet Montefiore, der bis zu seinem dreiundachtzigsten Lebensjahre für die Emancipation der Israeliten Palästinas, Aegyptens, Rußlands, Italiens und Marokkos wie ein jüdischer Wilberforce persönlich und mit seinem Gelde gewirkt, folgende schöne Worte: „Lincoln hat die schwarze Race, die Negersclaven von ihren Fesseln befreit und fiel. Ich wollte, Gott gäbe mir die Kraft und Energie eines Lincoln, damit ich die Bande meines Volkes, seine Ketten im gewaltigen, halbcivilisirten Czarenreiche und seine Knechtschaft im barbarischen Marokko lösen könnte. Hunderttausende meiner Brüder harren noch auf einen Erlöser Lincoln; ich würde gern den Tod eines Lincoln sterben, wenn mir ein solches Erlösungswerk für meine weißen Brüder gelänge.“ Und bei diesem jüdischen Wilberforce ist es kein leeres Wort. Montefiore reiste noch in seinem einundachtzigsten Jahre nach Marokko, um den blutigen Verfolgungen von Christen und Juden daselbst Einhalt zu verschaffen.




Die Falschmünzer. (Mit Abbildung.) Wie die Gartenlaube seit ihrem Bestehen der Entwickelung der deutschen bildenden Kunst eine besondere Aufmerksamkeit zugewandt und in jedem Jahrgange eine Reihe vorzüglich bedeutender oder durch ihr Motiv besonders zum Herzen sprechender Schöpfungen deutscher Künstler in gelungenen xylographischen Nachbildungen dem großen Publicum zugänglich gemacht hat, so wird sie fortan diesem Theil ihres Repertoirs noch regelmäßiger ihre Spalten erschließen und gewissermaßen eine Galerie neuerer deutscher Künstler und Kunstwerke eröffnen, deren erstes Stück sie heute ihren Lesern ausstellt. Es ist die Schöpfung eines der talentvollsten Jünger der neueren Düsseldorfer Schule, Carl Joseph Litschauer’s, der, ein geborener Oesterreicher, seine ersten Studien zwar unter der Leitung des jüngst erst verstorbenen bekannten Wiener Malers Waldmüller machte, aber erst in Düsseldorf zu dem wurde, was er jetzt ist: ein Künstler von ungewöbnlicher Kraft der Conception und wirkungsvollster Ausführung in Zeichnung und Farbe, ein Maler, welcher das Genrebild gewissermaßen zur bistorischen Composition zu adeln versteht. Wir denken demnächst unter Vorführung seines Portraits und eines andern seiner vielbegehrten Gemälde Näheres über Leben und Streben Litschauer’s zu berichten und wollen heute nur noch als charakteristisch für seine Art und Richtung hervorheben, daß er sich die Nachtseite der menschlichen Gesellschaft zu einem besondern Studium erkoren und namentlich das Wesen der Verbrecherwelt ergründet hat, wie kaum ein Künstler vor ihm. Seine „Falschmünzer“ – auf deren Geschichte wir im nächsten Artikel zurückkommen – bekunden dies auf den ersten Blick, wie sie in Amsterdam, in dessen Kunstakademie sie zuerst ausgestellt waren, das größte Aufsehen erregten und dem jungen Maler außer der großen goldenen Medaille die böchst selten gewählte Auszeichnung der Mitgliedschaft der erwähnten Akademie eintrugen.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Da ich mich scheuen muß, die bescheidene Tochter in die Zeitung zu bringen, so darf ich auch den Namen des ehrenwerthen Vaters nicht nennen. Der geneigte Leser, der auf Personalien erpicht ist, mag in den reizenden Villen der freien Stadt sich umthun, vielleicht findet er diejenige heraus, in welcher jetzt der ehemalige Gastwirth der Kaiser und Könige in wohlverdienter Ruhe lebt.
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