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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Eben hatten die Mädchen den Jodler begonnen, der nie fehlend sich den Gesängen des Landvolks anschließt, als der Wechselgesang ihrer wohllautenden Stimmen durch eine dritte unterbrochen ward, welche auf diese Benennung keinerlei Anspruch machen durfte. Neben der Scheune hatte das letzte Fenster des steinernen Gebäudes sich geöffnet und ein ältliches städtisch gekleidetes Frauenzimmer lehnte sich heraus.

„Wollt Ihr wohl schweigen mit Eurem einfältigen Gesang!“ rief sie zankend. „Schickt sich das in aller Frühe? In der Nähe des Friedhofs und der Kirche?“

„Warum soll sich’s nit schicken, Fräulein Amelie?“ erwiderte die Jüngere und wandte den Kopf mit schelmischem Lachen nach der Zürnenden. „Die Todten im Freithof schlafen gar gut, die macht’s nit irr, wenn man ihnen eins vorsingt, das ihnen vielleicht einmal selber Freud’ gemacht hat, und wann’s was Unrechts wär’, neben der Kirch’ zu singen, thät’s unser lieber Herrgott gewiß nit leiden, daß sich die Grasmuck’ dort gerad’ mitten über’s Portal setzt und drauf los singt, als wenn die ganze Kirch’ wegen ihr da wär’ … Ist ja noch kein Gottesdienst in der Kirch’ …“

„Du bist eine Raisonnirerin, Fränz,“ entgegnete das Fräulein, „ich kenne Dich schon, und wenn Du nicht still bist, werde ich’s Seiner Hochwürden, dem Herrn Pfarrer, sagen! Hast Du nichts Gescheideres zu thun? Giebt’s keine Arbeit mehr im Haus? Schickt sich das für eine Bauerndirn’, daß sie sich putzt wie ein Pfau und stundenlang frisiren läßt?“

Ueber die Züge des Mädchens flog ein leichtes Roth, halb der Erregung, halb der Beschämung. „Die Arbeit ist längst geschehn,“ sagte sie dann, „ich bin schon vor Tag hinaus in den Anger und hab’ Grünfutter hereingeholt für die Kühe; was es sonst giebt, das will da die Kathrin’ für mich verrichten … und das bissel Putzen darf mir die Fräul’n nit übelnehmen, sie weiß ja, daß ich eine von den Kanzeljungfern sein muß, heut bei der Priminz …“

Das Fräulein warf das Fenster zu und rief noch einige Worte … „Jawohl,“ klang es, „möcht’ auch wissen, wie Du dazu kommst …“ mehr war nicht zu verstehen.

Das Mädchen erröthete noch tiefer, senkte den Blick unbeweglich in den Schooß und schwieg. Die Genossin dagegen fuhr desto emsiger in ihrem Geschäfte fort. „Laß’ Dich nit anfechten, Franzi,“ sagte sie dann, als ihr die Stille unbehaglich ward, „die Fräul’n red’t gar viel, wenn der Tag lang ist; sie müßt’ keine Pfarrerköchin sein, wenn sie nit zanken that’! Derentwegen wirst Du doch die Schönste sein von alle Jungfern … Das aber kann ich selber nit laugnen, Franzi, daß ich auch für mein Leben gern wissen möcht’, wie Du zu der Ehr’ kommen bist. Der Moosrainer Isidor … will ich sagen, der hochwürdig Herr Priminziant ist der reichste Bauernsohn im Dorf und zu den Kranzeljungfern werden sonst immer nur die reichsten und fürnehmsten genommen.“

„Ich weiß wohl, Kathrin,“ sagte Franzi, „ich bin nur eine arme Bauerndirn’, aber wie ich dazu ’kommen bin, das kann ich Dir schon sagen … Du weißt es halt nit, daß ich nit da im Dorf daheim bin; ich weiß selber nit recht, wo ich mei’ Heimath hab’ … ich bin als ein klein’s Kind zu München drinn’ vor eine Kirchenthür hingelegt worden, die Stadt hat mich haben müssen und hat mich auf’s Land ’geb’n in die Kost. Da hat mich die Moosrainerin g’sehn und weil sie kein Kind gehabt hat und der Isidor bald fortgesollt hat in die Studi, hats’ mich in’s Haus genommen und aufgezogen wie ihr eigenes Kind …“

„Was Du mir nit sagst!“ rief Kathrin und hielt vor Verwunderung im Haarflechten inne. „Wie bist aber nachher als Dirn’ in den Pfarrhof ’kommen? Da wär’ ich doch lieber auf dem Moosrainerhof. als bei dem städtischen Zankeisen … Verzeih’ mir’s Gott, wenn’s eine Sünd’ ist, aber die Fräulen ist einmal zu bös!“

„Ja, ja, sie ist wohl scharf und hitzig,“ erwiderte Franzi mit begütigendem Lächeln, „aber ein gutes Herz hat sie doch und wie sie mit ihrem Herrn Vetter hierher ’kommen ist auf die Pfarr und hat mich g’sehn, da hat s’ gleich ein besonderes Wohlgefallen an mir gehabt und hat nit geruht, bis die Moosrainerin Ja gesagt und mich ihr überlassen hat. Und so ist’s kommen; ich bin mit dem Isidor schier aufgewachsen wie ein Geschwister, und wie er jetzt ein geistlicher Herr worden ist, hat’s die Bäurin und der Bauer nit anders gethan, als daß ich als Kranzeljungfer dabei sein sollt … und der Isidor hat’s auch selber verlangt!“

„Um so größer ist die Ehr’,“ sagte Kathrin und nahm das Brautkränzel, um es in den nun völlig geflochtenen Haaren zu befestigen.

„Freilich wohl,“ erwiderte Franzi und lächelte still beglückt vor sich hin, „was mich aber am meisten dabei freut, ist, daß der Isidor noch an mich gedenkt hat. Er ist wohl alleweil gut mit mir gewesen und freundlich, es ist lang her, viele Jahr, daß ich ihn nimmer g’sehn hab’, er ist ja alleweil fortgewesen, ich kann mir schier gar nit einbilden, wie er jetzt aussehn muß … aber daß er das gute Herz noch hat, wie damals, das weiß ich wohl, sonst hätt’ er mich nit zur Kranzeljungfer verlangt …“

Kathrin nestelte an dem Krönlein herum; Franzi hielt einen Augenblick inne, dann aber lachte sie lustig und glockenhell auf, wie man wohl zu thun pflegt im Vergnügen über einen plötzlichen heitern Gedanken.

„Was lachst?“

„Mein’, es sind nur Dummheiten,“ sagte Franzi, etwas zögernd. „Wie Einem so was nur einfallen kann! Hab’ ihn jetzt eben leibhaftig vor mir gesehn, den rothbackigen Buben mit dem braunen Krauskopf, wie er mit seinem kleinen Wägerl, das er sich selber geschnitzt hat, auf dem Rasenplatz im Moosrainerhof herumfuhr und nicht nachgab, bis ich mich hineingesetzt hab’ und hab’ mich von ihm herumkutschiren lassen… Dabei hatt’ er ein Kränzel gemacht aus Haselblättern, die hatt’ er mit den Stielen aneinandergesteckt und setzt’ mir das Kränzel auf und sagte, so wollt’ er mich herumfahren, wenn ich erst einmal seine Bäurin sei …“

„Das ist freilich anders ’kommen,“ entgegnete Kathrin, „ein Kränzel hast wohl auch gekriegt von ihm, aber das rechte nit! Wer weiß, vielleicht wär’s gescheidter gewesen, er wär ein Bauer ’worden und hätt’ Dich geheirat’t frisch vom Fleck weg…“

„Aber, Kathrin!“ rief Franzi und wandte sich mit einer Geberde des Schreckens und einem Blick des Vorwurfs nach ihr um. „Wie kannst so was nur denken, geschweig’ sagen … das ist ja frevelhaft!“

„Was soll dabei Frevelhaftes sein?“ entgegnete die Andere trocken. „Seinem Vater, dem alten Moosrainer, wär’s gewiß nit zuwider g’wesen, wenn’s so ’gangen wär’ … ich hab’ davon läuten hören, daß es ihm schwer genug fallt, daß sein einziger Sohn ein Geistlicher worden ist und daß der schöne schwere Hof, wenn er einmal die Augen zumacht, verkauft wird und in fremde Händ’ kommen soll… Meinetwegen aber, mir kann’s recht sein, ich werd’ doch nit Moosrainerbäurin und die Kranzeljungfer ist fertig und den möcht’ ich sehen, der was an ihr auszusetzen hätt’!“

Die Geschmückte erhob sich und blickte befriedigt in die Spiegelscherbe, welche die bäurische Zofe ihr reichte und sie dabei an den Schultern herumdrehte, um sie von allen Seiten zu beschauen. „Es thut’s wohl,“ sagte sie lächelnd, „und ist auch Zeit, daß ich mich auf den Weg mach’! Behüt’ Dich Gott, Kathrin,“ fuhr sie fort, indem sie der Genossin beide Hände hinstreckte, „ich dank’ Dir schön für Deine Müh’ und laß Dich’s halt nit gar zu stark verdrießen, daß Du daheim bleiben mußt … ich bring’ Dir schon was Rechtes mit vom Bescheidessen …“

„Ja, ja,“ sagte die Magd lachend, „es ist nit das erstemal und wird nit das letztemal sein, daß ich daheim hock … sorg’ nur, daß Du selber recht vergnügt bist und mir nachher viel erzählen kannst. Sie wandte sich dem Hause zu, an der Schwelle aber blieb sie stehen und blickte der Forteilenden nach, bis sie hinter der Mauerecke verschwunden war. „Ein gutes Leut, die Franzi!“ sagte sie vor sich hin. „Was wohl aus ihr werden wird? … So viel ist auf jeden Fall gewiß, eine schönere und richtigere Bäurin hätt’s nit geben können für den Moosrainerhof.“

Das Mädchen schritt indessen fort, durch das schmale Kirchhofgäßchen auf den Dorfplatz und wollte sich der Schmiede zuwenden, die gegenüberlag, als sie mit einmal mit leichtem Aufschrei zurücktrat, denn das Hasel- und Hollundergebüsch am Wege rauschte auseinander und ein starker, stämmiger Bursche verstellte ihr den Weg. Der damals noch übliche braune Leibrock mit dem rothen Leibel und schwarzen Ledergürtel ließ ihm nicht minder gut, als die weiten Lederhosen, die blauen Strümpfe und der niedrige, breitkrämpige und breit bebänderte Hut. Aus der ganzen Erscheinung sprach wohlgeübte Kraft, nicht ohne einen Zug wilden und trotzigen Bewußtseins derselben.

„Was erschrickst’ an mir?“ sagte er in barschem und doch im Anschaun unwillkürlich etwas gemildertem Tone. „Fürchtest,

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