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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Die blaue Tiefe.[1]
Von Karl Vogt.
III.
Der Schlangenstern. – Die Wurzelfüßer. – Der Medusenstern. – Die Naturforschercommission auf Spitzbergen. – Der „Thon“ des Telegraphenplateaus. – Wärme und organisches Leben in der blauen Tiefe. – Reichstes Leben in der Tiefe der Polarzone. – Die Grenze zwischen Thier und Pflanze. – Frühere größere Meerestiefe. – Die Augenkoralle und Feilenmuschel in den „Seewäldern“.

Hält man das gewonnene Resultat fest, daß ein aus einer Tiefe von mehr als eintausend Faden gefischtes Tau einem nicht minder reiches Leben zur Grundlage diente, als irgend ein nahe an der Oberfläche gelegener Punkt, so wundert man sich dann nicht mehr über einige andere Funde. Wallich, wenn ich nicht irre, ein in England naturalisirter Deutscher, machte die Reise des Bulldog zur Legung des englisch-amerikanischen Telegraphentaus mit, wobei er fleißig sondirte. Mitten im atlantischen Ocean hingen sich in 1260 Faden (7560 Fuß) Tiefe mehrere Exemplare eines Schlangensternes an die Leine. Ich gebe hier dem Leser, der diese seltsamen Wesen, welche zu den Stachelhäutern gehören, vielleicht nicht kennt, die Abbildung eines solchen Schlangensternen (Fig. 3) von unten. Man sieht in der Mitte des glatten, runden, kleinen Körpers den Mund in Gestalt eines fünfstrahligen Sternes zwischen dessen Strahlen hellere Flecken liegen.

Fig. 3. Schwarzer Schlangenstern.

Fünf lange, nach allen Richtungen biegsame, meist in seltsamen Windungen sich krümmende Arme, die reichlich mit vier Doppelreihen von Stacheln besetzt sind, gehen von der kleinen Scheibe aus. Wallich begnügte sich nicht damit, zu constatiren, daß diese Schlangensterne, welche nur kriechen, nicht schwimmen können, in solchen Tiefen hausen. Wenn sie dort leben, müssen sie fressen; was sie gefressen haben, müssen sie im Magen haben, und da sie keine Zähne besitzen, müssen die gefressenen Substanzen noch ziemlich unversehrt sein. Wallich untersuchte also den Mageninhalt seiner Schlangensterne mit dem Mikroskope. Nun wird uns das Leben dort unten schon anschaulicher. Auf dem Grunde bis zu 3000 Faden (18000 Fuß) hat Wallich mikroskopisch kleine Kalkschälchen gefunden, die aus mehreren zusammengehäuften, nach und nach wachsenden Kugeln bestehen – Schälchen, welche das System unter dem Namen Globigerina kennt und die zu den sonderbaren Wurzelfüßern (Fig. 4) gehören, deren Körper nur aus einem Schleimklümpchen zu bestehen scheint, das nach allen Seiten

Fig. 4. Globigerina.
Sehr stark vergrößert.

wurzelartige Fortsätze aussendet, mittelst welcher es sich bewegt und ernährt. Schälchen dieser Globigerinen finden sich in Menge in dem Magen unseres Schlangensternes, viele davon enthalten noch den lebendigen Körperinhalt. Der Schlangenstern lebte also auf Kosten einer mikroskopischen Thierwelt, welche dort unten ihr Wesen treibt. Auch dies ist kaum wunderbar; der Schlangenstern steht zwar zu seiner Beute etwa in demselben Verhältniß, wie der Walfisch zu den zolllangen nackten Weichthieren und kleinen Krebsen, die er tonnenweise verschlingt, aber Walfisch und Schlangenstern nähren sich doch hinlänglich.

Der Schlangenstern ist ein hoch organisirtes Thier. Er hat einen Vetter, den Medusenstern (Fig. 5), der mit seinen vielfach verzweigten Armen im Wasser schwimmen kann, aber doch meistens an dem Boden rankt. Zieht man ihn aus dem Wasser, so rollt er seine Arme und Ranken so gegen den Mund hin ein, wie es unsere Abbildung zeigt, die ihn vom Rücken aus darstellt.

Fig. 5. Medusenstern.
Von der Rückseite.

Man findet diese Medusensterne stets nur in gewisser Tiefe – sie nähren sich wie die Schlangensterne – es kann uns deshalb kaum wundern, wenn wir hören, daß Capitän Roß bei seiner Entdeckungsfahrt im südlichen Eismeere einen lebenden Medusenstern aus 800 Faden (4800 Fuß) Tiefe hervorzog, der sich an die Sondirleine geklammert hatte.

In demselben Jahre, wo ich das Glück hatte, mit Dr. Berna eine Fahrt um die Nordsee machen zu können, weilte auf Spitzbergen eine große, von Schweden ausgerüstete Expedition, unter welcher der unternehmende Dr. Torrell und sein Gefährte Dr. Malmgrén die vorragendsten Mitglieder waren. Diese Expedition hat mit seltener Ausdauer alle nur irgend erdenklichen Mittel in Bewegung gesetzt, um die Natur der nördlichsten Insel und Küste Europas nach allen Richtungen hin zu durchforschen. Es ist ihren unermüdlichen Anstrengungen gelungen aus 1400 Faden (8400 Fuß) Tiefe eine Menge von Thieren heraufzuholen, die heute im Reichsmuseum von Stockholm ausgestellt sind. Dabei befinden sich, nach Keferstein’s Bericht, mehrere kleine Krustenthiere, eine Schnecke, eine Kalkkoralle, eine Seewalze oder Seegurke, ein kleiner Herzigel, fünf Arten von Ringelwürmern, ein Meerschwamm und mikroskopische Thierchen und Pflanzen, Wurzelfüßer und Bacillarien oder Diatomeen – also eine förmliche Repräsentation aller niederen Thierclassen, die im Meere ihr Wesen treiben.

Fig. 6. Cylichna.

Die kleine Schnecke (Cylichna), von welcher wir hier die größte bekannte Art abbilden (Fig. 6), gehört in die Nähe der Blasenschnecken (Bulla) und zu den wesentlich nordischen Formen, die in südlichen Meeren kaum repräsentirt sind.

Als man zum ersten Male mit der Brooke’schen Maschine Proben des Meeresgrundes bis zu 10,000 Fuß Tiefe von dem sogenannten Telegraphenplateau heraufholte, welches sich zwischen Cap Clear in Irland und Cap Race in Neufundland untermeerisch erstreckt, wurden Proben des „Thones“, wofür die Officiere den Grund ansahen, an Professor Ehrenberg in Berlin und Professor Bailey in West-Point geschickt, um ihn mikroskopisch zu untersuchen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 710. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_710.jpg&oldid=- (Version vom 11.11.2022)
  1. S. Nr. 36 u. 39.