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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

wo man aus- und einfliegt, wie man nur will… Was thust da, Isidor?“ fuhr er mit strengem Tone fort, „warum bist Du nit da, wo Du hin gehörst?“

„Sorgt nicht, Vater,“ erwiderte Isidor, nicht ohne Zurückhaltung, „daß ich Euch lange zur Last fallen werde. Mit dem Frühesten …“

„Wär’s dann anders?“ unterbrach ihn der Alte. „Wenn das wahr ist, was die Leut’ reden, ist für Dich im Moosrainerhof kein Platz, nit einmal über Nacht… O Bub, Bub!“ fuhr er in unwillkürlich gemildertem Tone weiter, weil er gewahrte, wie Isidor bei diesen Worten noch mehr erblaßte und zusammenzuckend die Hand an’s Herz preßte, „warum thust Du mir solch ein Leidwesen an? Du weißt, wie hart es mich an’kommen ist, Dich studiren zu lassen, ich hab’ mich nur mit der Meinung getröst’, daß es zu Dein’ Glück und Heil sein wird, daß Du das, was Du einmal angefangen hast, auch richtig und fest hinausführst, wie sich’s gehört … aber daß ich das an Dir erleben muß … daß Du mir in’s Haus zurückkommst, in Schand und Spott, wie ein davongejagter nichtsnutziger Knecht … das, Isidor, das ist der Nagel zu meinem Sarg … das druckt Deinem alten Vater das Herz ab…“

Die Stimme bebte ihm, er drückte mit dem Rücken der rauhen Hand an die Augen, als wolle er die Thränen zurückdrängen, aber die widerspenstigen Tropfen glitten doch über die braune Wange herab.

„Vater,“ sagte Isidor feierlich, „bei Allem, was heilig ist, ich habe nichts Unwürdiges begangen …“

„In Deinem Sinn vielleicht,“ entgegnete der Alte, „wir Bauern deutschen uns so was selber aus, und der Sinn ist so viel werth, wie Dein studirter … also sag’, wie’s ’gangen ist.“

Isidor erzählte; anfangs befangen, dann immer ruhiger und sicherer, denn bei jedem Worte trat ihm das Vorgefallene bestimmter in seiner wahren Gestalt entgegen, wie aus fallendem Nebel die Umrisse einer unbekannten Gegend.

„Ist’s das Alles?“ fragte, als er geendet, nach kurzer Pause der Vater. „Und wenn es so ist, was soll nun daraus werden?“

„Der Herr Pfarrer wird seinen Bericht an das Ordinariat erstatten …“

„Was ist das?“

„Der Bischof und seine Räthe, die werden dann auch mich und meine Vertheidigung hören, und ich hoffe zu Gott, das Ende wird sein, daß man mich auf einen andern Posten, vielleicht weit weg beruft, und gewarnt und gewitzigt soll es mir dort gar bald gelingen, den ganzen Vorfall vergessen zu machen …“

„Vergessen zu machen?“ erwiderte der Alte und wiegte sinnend das eisgraue Haupt, „ich will das glauben, Isidor … aber wirst Du’s auch selber vergessen? … O Isidor, lieber Bub,“ fuhr er herzlich fort, während dieser befangen die Augen senkte – er fand nicht Muth und Ton zu dem Ja, auf das die Frage des Vaters wartete. „Ich sorg’, Du wirst ein unglücklicher Mensch … Schau, vor Deinem Vater brauchst kein Geheimniß … ich hab’ Angst, Dein Herz ist nit mehr bei Dein’ Stand, es reut Dich wohl gar … mir kommt’s vor, als wenn ich Recht gehabt hätt’, als wenn Dein Herz unterm Bauernkittel lustiger schlagen thät’, als unter dem heiligen Gewand da …“

Isidor drückte ihm wie unwillkürlich die Hand. „Der Frieden wird denen, die um ihn streiten,“ sagte er feierlich, „ich will redlich um seine Palme ringen …“

„Thu’s, lieber Bub,“ sagte der Alte herzlich, „nur nit auslassen, was einmal ang’fangen ist, dann wird noch Alles gut … Bleib’ also bei mir, so lang Du willst, Isidor, ich kann nit sagen, daß Du so ein großes Unrecht gethan hast! Du hast ja die Hand nit selber zum Schlagen aufgehoben, hast das Blut nit vergießen wollen, Du hast abgewehrt, hast ein Anderes vertheidigt … ich glaub’ immer, ich hätt’s auch nit viel anders gemacht, und kann nit gut stehn, ob mir der Arm nit auch ausgerutscht wär’ … Also gieb Dich zur Ruh, halt’ mit Dir selber und unserm Herrgott Rath und bleib’ in Deiner Stuben, daß das Gered’ ein End’ hat … am Abend komm’ ich wieder’ und such’ Dich heim…“

Er wollte fort, aber Isidor hielt ihn. „Und die Mutter?“ fragte Isidor dringend.

„Die? Ja, bei der hast Du’s schon auf eine Weil’ verschütt’t; die will Dich nit sehn, die Fräul’n ist ihr so in’s Herz gewachsen; ich glaub’, es wär’ ihr lieber, sie hätt’ den Puff von Dir bekommen, als die hochnasige Person … aber kränk’ Dich nit darum, ich werd’ ihr Alles erzählen, da wird der Zorn auch nit lang dauern, Du weißt es ja, daß sie nirgends zu spät kommen will …“

Er hatte schon die Thürklinke gefaßt, Isidor rief ihm nochmals nach. „Vater,“ sagte er stockend, als dieser erwartend still stand, „ich kann nichts mehr für sie thun; was ich thäte, würde man nur ausbeuten, mich neu zu verdächtigen, aber Ihr werdet sie nicht verlassen … nicht wahr?“

„Du meinst die Franzi?“ sagte der Alte, „… was ist es mit ihr?“

„Weiß ich es denn? Ich habe sie nicht wieder gesehen, aber als ich während der paar endlosen Nachtstunden am Fenster hin und wieder schritt, sah ich Jemand aus dem Hause schlüpfen; ich müßte mich sehr geirrt haben, wenn es nicht Franzi war … das böse Weib hat sie ohne Zweifel noch in der Nacht fortgejagt …“

„Wie werd’ ich sie verlassen?“ entgegnete der Alte und bot dem Sohne mit eigenthümlichem Lächeln die Hand. „Ich hab’ sie ja immer schier so lieb gehabt, wie ein eignes Kind … ich werd ihr nachfragen; im Dorf darf sie nit bleiben, aber ich denk’, ich werd’ schon ein Plätzel ausfinden, wo ihr nit zuweh geschieht!“

Der Tag ging still vorüber, hauptsächlich wohl, weil dem Gerede und der Erregung der Gemüther jede Nahrung fehlte. Von den Personen, die bei dem Vorfalle hauptsächlich genannt wurden, ließ sich keine sehen, denn die Haushälterin des Pfarrers war angegriffen und krank oder gab sich mindestens den Anschein es ;u sein. Die Nacht kam so ruhig, als ob der Tag gar nichts Ungewöhnliches gebracht; früher als sonst sogar ward es still im Dorf und zeitiger erloschen die Lichter.

Nur wer noch eine späte Wanderung gegen den Strom hin zu machen hatte, der mochte gewahren, daß auf dem hinter den Dorfe vorspringenden Hügel noch einiges Leben wachte. Dort lagen die Ruinen einer kleinen Bergfestung, die zum Schutze der Grenze gebaut, im österreichischen Erbfolgekriege aber von den Rothmäntlern ausgebrannt worden und, dürftig wieder hergestellt, allmählich zu verfallen begann. Jetzt sind davon nur die kargen Reste eines Thurmes übrig, damals war ein Theil der Dächer erhalten und es gab noch einige Gelasse, die man zur Noch bewohnen konnte. In der ehemaligen Wachstube am gewölbten Thorgang hatte ein Holzarbeiter mit seinem Weibe sich eingebaut. Er hielt eine Winkelschenke und trieb allerlei anderes heimliches Gewerb. Die Schmuggler, die aus Tirol herüberkamen, fanden da willkommene Herberge, um tagsüber still zu liegen, und wer sonst einer Zuflucht bedurfte in der Gegend, dem bot das winklige, den Einsturz drohende und darinn nicht viel betretene Gemäuer einen sicheren Versteck. Unter den Ruinen der Capelle stand ein kellerartiges Gewölbe noch unversehrt, das einmal eine Art unterirdischer Kirche, eine Krypta, gewesen sein mochte und zu welchem, durch eine hohe Thurmwand verborgen, einige schadhafte und wankende Steinstufen hinunterführten. Schwacher Lichtschein drang von dort herauf und führte über Geröll und Trümmer in die ziemlich ansehnliche Halle.

Eine Schaar Bauersleute aus dem Dorfe und den Einzel-Weilern der Gegend hatte sich hier zusammengefunden; Männer und Weiber standen, kauerten oder lehnten herum, je nachdem an den Wänden entlang und auf den Trümmern sich dazu Gelegenheit bot. Der Wagner, der Bader und der Schneider fehlten nicht; hinter ihnen, in eine dunklere Ecke gedrückt, erhob sich des Moosrainers kräftige Gestalt. Aller Augen waren dem Chore zugewandt, wo sich noch die Trümmer eines ehmaligen Altars erkennen ließen; jetzt stand an dessen Stelle ein aus rohen Baumästen rasch zusammengebundenes Kreuz und vor ihm ein Mann in einem dunklen Mantel, der wie ein priesterartiges Gewand gefaltet war.

In einer Ecke unter einem Sprung des Gewölbes, durch welchen der Nachthimmel schwarz hereinsah, verglimmten die Reste eines Holzfeuers, das den Raum nothdürftig erwärmt hatte und nun seine rothen unruhigen Lichter über die Versammlung warf und über den Mann vor dem Kreuze, der mit ausgebreiteten Armen laute mächtige Worte rief. Obwohl die Züge des Gesichts noch kein so hohes Alter verriethen, war doch der Schädel des Mannes völlig kahl; unter dichten buschigen Brauen flackerte ein Paar unheimlich leuchtender, fast irrsinniger Augen hervor. Seine Stimme klang gedämpft und hohl, aber sie war dennoch stark und es war Etwas in ihrem Ton, was unwillkürlich das Ohr des

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 755. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_755.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2022)