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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

und hat namentlich in neuester Zeit einen außerordentlichen Aufschwung genommen. Es werden daselbst dreihundert verschiedene Sorten Violinen und gegen zweihundert Sorten Violinbogen gemacht. Die ersteren werden hauptsächlich nach Mustern von Stradivari gefertigt und zwar zu sehr verschiedenen, theilweise fabelhaft billigen Preisen, welche nur durch die außerordentliche Theilung der Arbeit möglich sind, z. B. Kindergeigen zu zwei Thalern das Dutzend; gewöhnliche Geigen von dritthalb bis zweihundert Thaler pro Dutzend. Eine sehr billige Sorte dieser Instrumente, die übrigens oft seltsam bemalt wird, wandert nach dem fernen Amerika, wo sie dem Indianer und Neger das Leben erheitern hilft. Aber auch bessere Arten werden in Menge nach Amerika versendet. Ferner sind Rußland und England und nach diesen, Italien ausgenommen, alle europäischen Länder Absatzgebiete für die Neukirchner Fabrikate. Man berechnet den jährlichen Umsatz der Neukirchner Gegend in diesem Artikel, einschließlich der Blasinstrumente, auf anderthalb Millionen Thaler, und die Anzahl der jährlich dort fabricirten Streichinstrumente beläuft sich auf mindestens dreißigtausend Stück. Desgleichen erzeugen Neukirchen und Umgebung an Darmsaiten gegenwärtig wohl zwanzigmal so viel, wie ganz Italien, nämlich für 500,000 Thaler jährlich, und beziehen die dazu nöthigen Därme zum größten Theile aus Norddeutschland (Berlin, Königsberg) und aus Dänemark und England.

In Bezug auf Meisterwerke des Violinbaues haben jetzt die Instrumente von Vuillaume, Mirmont und den Gebrüdern Gand in Paris, sowie von Sitt in Prag, Lemböck und Bittner in Wien, Grimm in Berlin und einigen andern tüchtigen Künstlern den meisten Ruf. Vuillaume, welcher wie Mirmont und alle berühmten französischen Geigermacher in Mirecourt geboren ist, wird von den Meisten für den größten unter ihnen gehalten. Er hat die gewissen Liebhabern willkommene Manier, seinen neuen Instrumenten durch Abkratzung des Lacks und durch sonstige höchst getreue Nachahmung alter Violinen das Aussehen zu geben, als wären sie schon lange, lange Zeit in Gebrauch gewesen und einer Sammlung von Alterthümern entnommen. Daß dies beim Verkauf später zu manchem Betrug führen muß, ist natürlich.

In England werden viele ordinäre Instrumente aus Deutschland feiner ausgearbeitet, öfters sogar mit frischen Hälsen versehen und sorgfältiger lackirt, dann aber zu viel höheren Preisen verkauft. Ueberdies giebt es in England einige geschickte Wiederhersteller und tüchtige Kenner der alten ausgezeichneten Violinen. Für diese ist London der bedeutendste Handelsplatz. Das Haus Puttick und Simpson in London hat oft in einem einzigen Jahre zwei- bis dreitausend Streichinstrumente der bessern und besten Arten zu versteigern. –

Die Violine ist bekanntlich mit vier Saiten bespannt, welche die gleiche Länge (etwas über 12’’ Pariser Maß), aber verschiedene Dicken und dem entsprechend verschiedene Gewichte haben. Sie werden auf die Töne g, d1, a1, e2 gestimmt, also immer um eine Quinte auseinander; die entsprechenden Schwingungszahlen pro Secunde sind: 196, 294, 440, 659; die betreffenden Spannungen 121/2, 122/3, 133/4, 1715/16 Zollpfund. Das a1 der dritten Saite mit 440 Schwingungen pro Secunde dient vermittelst der Stimmgabel zur Stimmung der übrigen Saiten. Die Tonhöhe sinkt, wenn das Gewicht der Saite zunimmt, und zwar so, daß z. B. die Schwingungszahl im Verhältniß von 4:3 abnimmt, wenn sich das Gewicht der Saiten im Verhältniß von 9:16 erhöht. Die außerordentlich große Anzahl von Tönen, welche die Violine giebt, wird, wie Jedermann weiß, dadurch hervorgebracht, daß der Spieler durch Andrücken der Saiten an das Griffbret die Länge der schwingenden Theile derselben verkürzt. Durch einen schwächeren Druck auf die Saiten, welcher das Mitschwingen ihres untern Theils noch erlaubt, werden die Flageolettöne erzeugt.

Die Saiten der Violine werden, wie die aller andern Streichinstrumente, aus den Gedärmen von Lämmern, Ziegen, Schafen, Katzen etc. angefertigt. Die feinsten Sorten werden durchgängig aus den Gedärmen sehr junger Lämmer – nicht über acht Monate alt – gesponnen. Am tauglichsten hierzu sind die von den im August und September geborenen, weil die beste Zeit zur Fabrikation der Saiten die vom März bis Juli ist. Es lassen sich da die Därme am besten dehnen und zu recht glatten und wohlklingenden Saiten zusammendrehen; auch ist alsdann hinreichendes frisches Wasser vorhanden, um die Vorarbeiten vor dem Spinnen, das Wässern und Abschaben (Maceriren), sowie das zur Entfernung des Fettes dienende Beizen der Därme (in Pottaschelösung) gehörig vornehmen zu können. Die feinsten Saiten bestehen aus nur drei macerirten Lammdärmen. Jetzt werden auch viele feine Saiten aus gespaltenen Gedärmen älterer Thiere verfertigt. Nach dem mehrmals wiederholten Drehen schwefelt man die Saiten und ölt sie mit ein wenig feinem Oliven- oder Mandelöl ein, dem ein Procent Lorbeeröl zugemischt wird, um das Ranzigwerden der andern Oele zu verhüten. Die stärkeren Saiten überspinnt man mit Silber- oder Kupferdraht, um ihr Gewicht zu erhöhen und ihren Ton dadurch entsprechend zu vertiefen. Der Raum erlaubt uns nicht, die vielen einzelnen Arbeiten und Vorsichtsmaßregeln, welche die Verfertigung der scheinbar so einfach herzustellenden Darmsaiten nothwendig macht, noch näher zu detailliren. Daß das betriebsame Neukirchen im sächsischen Voigtlande und seine Nachbarorte in Deutschland die ausgedehnteste Saitenfabrikation aufzuweisen haben, ist schon erwähnt worden. Nach dem Berichte der Gewerbekammer zu Plauen giebt es dort gegen 250 Saitenmacher, welche jährlich gegen 100,000 Schock Saiten von durchschnittlich zwölf bis dreizehn Klaftern Länge verfertigen und deren Fabrikate weithin versendet werden. Die feinsten Saiten werden noch jetzt von Neapel bezogen, wo man zu ihrer Bereitung sehr gutes Rohmaterial hat.

Die Saiten der Violine sind mit dem einen Ende an dem Saitenhalter befestigt, welcher seinerseits vermittelst eines kurzen Saitenstücks von dem Knopf festgehalten wird; jene laufen dann über den Steg und das Griffbret und liegen vor ihrem Eintritt in den Wirbelkasten auf einem Bretchen am Ende des Griffbrets auf, welches man den Sattel nennt. Der eigenthümliche Klang der Saitenschwingungen auf der Violine wird durch den Resonanzkörper hervorgebracht. Dieser besteht aus einer obern, mehr oder weniger gewölbten Platte von Fichtenholz, der Decke oder Resonanzplatte, auch Brust genannt, und aus einer dieser gegenüberstehenden, weniger gewölbten Bodenplatte von Ahornholz. Die schmalen Seitenwände des Resonanzkastens sind aus demselben Holze wie der Boden und werden die Zargen genannt. Decke und Boden sind innerhalb des Kastens durch kleine, eingeleimte Stückchen Holz und zwar in der Gegend des Knopfes, an den Ecken der Zargen und am Halse, mit einander verbunden, um der Violine mehr Festigkeit zu geben. Der Hals ist der an den Resonanzkasten anstoßende, unterhalb des Griffbrets liegende Theil, an dessen Ende der Wirbelkasten befindlich ist. Der Theil des Halses, mit welchem derselbe an den Zargen befestigt ist, wird Haken genannt. Die Decke der Violine hat zu beiden Seiten des Stegs zwei Schalllöcher in F-Form, die sogenannten F-Löcher, welche die Luft im Innern des Resonanzkastens mit der äußern verbinden sollen. Verklebt man dieselben, so wird der Ton des Instruments viel tiefer, hohler und schwächer. Von ganz besondrer Wichtigkeit sind zwei andere Theile der Violine, der Steg und der Stimmstock oder die sogenannte Seele. Der erstere ist bekanntlich ein Bretchen, das auf der Decke der Violine senkrecht aufgesetzt ist und über welches die Saiten hinweggespannt sind. Am obern Rande ist der Steg etwas gekrümmt; außerdem ist er eigenthümlich ausgeschnitten und namentlich an seinem untern Theile so, daß er gewissermaßen zwei Füße hat. Läßt man diese Ausschnitte weg, so giebt die Violine fast gar keinen Ton, weil dann die Uebertragung der Saitenschwingungen auf die Theile des Resonanzkörpers nicht gut von Statten gehen kann. Ziemlich unter dem rechten Fuße des Steges befindet sich innerhalb jenes Kastens der Stimmstock oder die Seele der Violine. Es ist dies ein den Boden und die Decke verbindendes Säulchen von Holz, welches erstlich dazu dient, daß die Erzitterungen des rechten Stegfußes nicht nur auf die Deck-, sondern auch auf die Bodenplatte übertragen werden, und zweitens noch den Zweck hat, diese Schwingungen gegen beide Platten rechtwinklig zu machen. Entfernt man den Stimmstock aus der Violine, so wird der Klang derselben sehr geschwächt. Der Stimmstock macht durch seinen Widerstand den rechten Fuß des Stegs ziemlich unbeweglich; desto lebhaftere Schwingungen kann aber der linke Fuß desselben machen, welcher hauptsächlich die Bestimmung hat, die Resonanz- oder Deckplatte in lebhafte Oscillationen zu versetzen. Von dem letzterwähnten Stegfuße aus läuft unterhalb der Decke nach dem Halse zu eine schmale Holzleiste hin, der Baßbalken, welcher die erregten Schwingungen über die ganze Deckplatte verbreiten hilft und außerdem zur Festigkeit des Instruments, das eine Saitenspannung von mehr als fünfzig Pfund auszuhalten hat, wesentlich beiträgt. Wegen dieser

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 775. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_775.jpg&oldid=- (Version vom 11.12.2022)