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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

unter ihm hat gleichfalls einen solchen Tisch vor sich. Die Herren Repräsentanten, wenn das Haus vollzählig ist, etwa dritthalbhundert an der Zahl, sitzen in Polsterarmstühlen an Pulten ihm gegenüber, und zwar bilden ihre Pulte einen Halbkreis von der Gestalt eines gestreckten Hufeisens.

Begeben wir uns auf die Galerie, um auf eine halbe Stunde den Debatten beizuwohnen. Wären wir mit einem „Member“ bekannt, das uns einführte, so würden wir den Sitzungssaal selbst betreten dürfen. Auf der Galerie bedarf es nicht wie anderwärts einer Eintrittskarte. Blicken wir hinab auf die Versammlung, so fällt uns zunächst die große Ungenirtheit der Herren Gesetzgeber auf. Nur wenige im Frack, viele in Alltagsröcken und den Hut auf dem Kopfe. Nur einige sind auf ihren Stühlen, die andern stehen in lebhafter Unterhaltung in Gruppen beieinander und scheinen sich um die Collegen, welche sich als Redner vernehmen lassen, genau so viel oder so wenig zu kümmern, wie um uns. Wenn man nicht wüßte, wo man wäre, könnte man sich beinahe auf die Börse versetzt glauben oder sich wundern, daß sich nicht schon einer der Gentlemen eine Cigarre angesteckt hat. Daß einige ihr Primchen zwischen den Backenzähnen haben, leidet keinen Zweifel. Zwei oder Drei studiren die Zeitung, einer siegelt einen Brief. Daß einer dem Nationalvergnügen der Yankees, dem „Whittling“ obliege, welches darin besteht, daß man mit dem Federmesser die Stuhllehne oder Pultkante beschnitzelt, bemerken wir nicht, wohl aber, daß einer sich bestrebt, mit demselben seinen Fingernägeln die nothwendig gewordene Verschönerung angedeihen zu lassen.

Das Capitol in Washington.

Ländlich, sittlich, denken wir und stoßen uns auch an der Beobachtung nicht, daß einige stark geröthete Gesichter sich offenbar etwas länger, als bei Tage erlaubt ist, bei dem schottischen Whiskey des Erfrischungszimmers aufgehalten haben. Ein Repräsentant hat unter der Last der Verantwortlichkeit vor seinen Wählern und unter der Masse von Anliegen und Aufträgen aus der Heimath ein saures Dasein, und so wird er wohl eher einer Stärkung seines innern Menschen bedürfen, als andere nicht so schwertragence Sterbliche. Nur möchten wir nicht wünschen, daß ein Redner in unserm Beisein etwas vorbrächte, was einem der rothen Gesichter stark mißfiele. Wir sind keine Liebhaber von Scenen, und wir erinnern uns, daß hier nicht blos das glorreiche Schauspiel der Emancipation des farbigen Volkes aufgeführt worden ist, sondern daß die Wände des Saales auch Dinge von mehr problematischer Glorie, ja recht fatale Dinge, z. B. geschwungene und auf den Rücken von Collegen niederfallende Spazierscepter von Legislatoren, collegialische Ohrfeigen und wohlgemeinte, wenn auch glücklicherweise schlechtgezielte Revolverschüsse zu sehen bekommen haben. Jedes Thierchen hat sein Manierchen, so auch die Junker aus dem Süden, welche dergleichen Liebkosungen auszutheilen pflegten;

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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 780. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_780.jpg&oldid=- (Version vom 11.12.2022)