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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

Aus dem Tagebuche eines Verbannten.[1]
1. Witt’s Flucht aus Zweibrücken.

Die provisorische Regierung der Rheinpfalz hatte mich 1849 zum Civilcommissar für die drei Cantone Homburg, Landstuhl und Waldmohr ernannt, und meine Thätigkeit in dieser Richtung wie bei andern Vorfällen hatten mich schließlich nach Einrückung der preußischen Armee und nach Besiegung des noch nicht organisirten Aufstandes unter der Anschuldigung des Hochverrathes und der bewaffneten Rebellion in den Kerker geführt.

Aus dem Gefängnisse von Neustadt a. H. nach der Festung Landau gebracht, wurde ich von da nach Zweibrücken in das Criminalverwahrungshaus weiter befördert. Mehrere hundert Männer der Pfalz mit einigen Braven aus andern Gauen Deutschlands barg dieser citadellenartig gebaute Kerker, den man zum Staatsgefängnisse umgewandelt hatte: viele der angesehensten Bürger des Rheinlandes, Mitglieder der Ständeversammlung, Bürgermeister, Redacteure politischer Blätter, Gerichts- und Verwaltungsbeamten, Officiere der Insurrection, Posthalter, Pfarrer und Lehrer, Techniker, Candidaten aller Facultäten und Studenten vermischt mit Gutsbesitzern, Handelsleuten, Industriellen und Handwerkern. An guter Gesellschaft fehlte es wahrlich nicht. Aber es fehlt in einem Gefängnisse – an der frischen, freien Luft. Und Freiheit ist die Vorbedingung körperlichen und geistigen Wohlseins für den denkenden und fühlenden Mann. Hierzu kam der Gram über die Niederlage unsrer heiligen Sache, und die wenigen Hoffnungen, die wir verzweifelnd noch hegten, schwanden allmählich dahin nach der Kunde der Pariser Junikatastrophe, nach Napoleon’s Erhebung zum Präsidenten der französischen Republik und der Wiederherstellung des alten Regime in den deutschen Staaten.

Die lange Untersuchungshaft und eine animose Behandlung der Anklage mit Quälereien aller Art, wie leider dies bei politischen Processen fast überall vorzukommen pflegt, erhöhten noch die den politischen Gefangenen eigenthümliche Reizbarkeit, die sich psychologisch durch die Seelentrauer über den Sieg der feindlichen Partei und die Leidenschaften einer niedergeworfenen Revolution erklärt.

Unsere Freunde, die nicht die Schweiz oder den französischen Boden erreicht hatten, schmachteten in den Casematten von Rastatt und Landau. Der Kriegszustand war proclamirt worden und die Standgerichte häuften in raschen Executionen ihre Opfer. Wir armen Wehrlosen ballten ohnmächtig die Fäuste und erbebten vor dem eigenen Loose, vor den Folgen einer leidenschaftlichen Anwendung der drakonischen Gesetze des Code pénal und der Einsetzung eines Specialgerichtshofes.

In Rastatt, in Landau und an andern Orten suchte man auszubrechen, und hier und da gelang ein kühner Plan. Auch uns kam der Gedanke an Flucht. Wir, das heißt ich und eine Anzahl Strudelköpfe, beschlossen nun einen gewaltsamen Ausbruch in Masse und hatten folgenden Plan verabredet, der im Momente der Ausführung den Mitgefangenen eröffnet werden sollte.

Hierzu war die Zeit der täglichen Promenade im äußern Rundhofe und Garten zwischen dem Hauptgebäude und der Ringmauer ersehen. Wenn die Säle und Hallen zu diesem Behufe an dem bestimmten Tage geöffnet würden, sollte von den Eingeweihten den einzelnen Abtheilungen das Vorhaben mitgetheilt werden und den Aengstlichen oder wenig Compromittirten, die sich dem Ausbruche nicht anschließen wollten, überlassen bleiben, ruhig und passiv sich zu verhalten. Die Andern hätten sich sofort wehrbar zu machen. Als improvisirte Waffe waren die Stäbe eines eisernen Treppengeländers bezeichnet, welche mit einigen Axthieben und Hammerschlägen, wozu man die Werkzeuge in der Küche und Holzkammer finden konnte, leicht loszulösen waren. Während dieser Operation sollten alle Angestellte, der Verwalter Klühenspieß und die Beschließer, überwältigt und gebunden in einen innern Saal gebracht werden. Dann sollte das äußere Thor des Haupthauses, das in den Rundhof führt, geöffnet werden und die Theilnehmer hätten langsam, als ob nichts vorgefallen wäre, hinauszutreten und die gewohnten Reihen zum Spaziergange zu bilden. In diesem Momente hatte die Militärabtheilung, welche die untern Räume des Inspectionshauses, das über dem einzigen nach außen führenden Thore erbaut ist, besetzt hielt, den äußern Hof und Garten mit Wachposten rings um das Hauptgebäude garnirt, um die Spaziergänger, die stets nach einer Richtung gehen mußten, näher zu überwachen und etwaige Annäherung an die überdies sehr hohe Ringmauer zu verwehren.

Es handelte sich nur darum, um unnöthiges Blutvergießen zu ersparen, so schnell wie möglich die Wache des Vorderhauses zu überwältigen. Einer unserer Mitverschworenen, Carl von Loreck, ein kräftiger, muthiger Bursche, Adjutant Willich’s und Hauptmann einer Freicompagnie, der im Gefechte von Annweiler nach tollkühnem Widerstande in die Hände der Preußen gefallen war, hatte sich dazu erboten, aus den Reihen, in den Mantel gehüllt, wie zufällig herauszutreten, dem Posten vor dem Wachhause sich zu nähern, dem Soldaten schnell den Mantel über und ihn also zu Boden zu werfen. Im selben Augenblicke hatte die Sturmcolonne, geführt von Obristlieutenant Straßer, aus den Reihen der Spaziergänger sich zu bilden, mit den unter den Kleidungsstücken verborgenen Eisenbarren in gymnastischem Laufe nach dem Wachhause zu eilen und die zweifelsohne auf der Schildwache Lärmruf heraustretende Mannschaft anzugreifen.

Bei der großen Körperkraft und Gewandtheit Loreck’s, der wahrscheinlich seine Aufgabe glücklich gelöst haben würde, war zu vermuthen, daß die überrumpelte Wache durch die Uebermacht der kräftigen Gegner bald besiegt würde. Jedenfalls waren wir zum Aeußersten entschlossen. Nachdem der Ueberfall gelungen, sollte die Wachmannschaft entwaffnet und eingeschlossen werden. Es bliebe dann nur übrig, das äußere Thor zu öffnen und nach Entwaffnung oder Beseitigung der äußeren Schildwache schnell das freie Feld zu gewinnen und in getrennten Abtheilungen nach den nahen Waldungen zu eilen. Möglichst schleunig sollte dann schließlich die nur zwei Stunden entfernte französische Grenze erreicht werden.

Der Plan war nicht ungeschickt und bei der Isolirtheit des vor der Stadt in ziemlicher Entfernung von den Casernen gelegenen Gefängnisses berechtigt, ein erwünschtes Resultat in Aussicht zu stellen. Dieser Plan, dessen einzelne Theile genau erwogen und geprüft waren und dessen Ausführung wir mit Ungeduld entgegensahen, mußte aus Convenienzrücksichten einigen älteren Männern und Parteiführern zur Genehmigung vorgelegt werden. An der Bedenklichkeit dieser Besonnenen scheiterte die Sache trotz unserer glühenden Einwendungen. Man mahnte dringend vor der Mittheilung an die Masse der Mitgefangenen ab, wo unser Vorschlag jedenfalls die Majorität erhalten haben würde. Man besprach den Gewissenspunkt, das Leben Eines oder des Anderen der Unseligen oder eines armen, der Disciplin gehorsamen Soldaten zu gefährden. Dabei deutete man auf die damals in der Pfalz noch gehoffte Generalamnestie und im schlimmsten Falle auf Freisprechung durch das Geschwornengericht hin.[2]

Ich grollte, mußte mich aber fügen und beschloß nun auf eigene Faust einen Fluchtversuch. Nur wenige der zuverlässigsten Freunde wurden in’s Geheimniß gezogen.

Mir und einigen meiner Schicksalsgenossen war es gestattet, des Nachmittags anstatt des Spazierganges eine Stunde in den Privatzimmern des Gefängnißverwalters Klühenspieß[3] zuzubringen, um uns musikalisch zu unterhalten. Es befand sich dort ein Fortepiano, welchem bald eine Guitarre und eine Flöte zugesellt wurden. Die beiden humanen Appellalionsgerichtsräthe, welche als Untersuchungsrichter functionirten, hatten dies unschuldige Vergnügen erlaubt. Sie konnten solches füglicherweise gestatten trotz der

  1. „Ich löse einige Blätter aus meinem Tagebuche los,“ schrieb uns der Verfasser der obenstehenden Skizze, Hans Holmbach, „das ich während eines vierzehnjährigen Exils geschrieben habe, und sende Ihnen heute zunächst die Schilderung von Carl Witt’s merkwürdigem Entkommen aus Zweibrücken, die ich nach dessen mir in Nancy übergebenen Notizen zusammengestellt habe. Die Gartenlaube, die immer ein so warmes Interesse an den Schicksalen der um der Freiheit willen leidenden Söhne des deutschen Vaterlandes genommen hat, wird diesen Mittheilungen sicher ihre Spalten nicht verschließen.“
    Die Redaction.
  2. Diese Hoffnungen erhielten leider im Gefolge der Zeit nur eine theilweise, beziehungsweise späte und verkümmerte Erfüllung.
  3. Schade, daß die Orthographie dieses Namens nicht Glühenspieß lautete. Ein anderer ominöser Name war der eines der Beschließer oder Géoliers. Er hieß Praxmeier.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 792. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_792.jpg&oldid=- (Version vom 14.12.2022)