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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

auf uns gekommen ist, läßt sich am leichtesten auf das der Volksmasse schließen.

Der Pfarrer von Bürden starb damals Hungers in Hildburghausen; der Schulmeister von Veilsdorf entwich nach Thüringen, „um von gutherzigen Leuten ein Stück Brod zu betteln, weil der größte Hunger im Dorfe herrschte und fast kein Mensch mehr im Orte war“; den Superintendenten von Eisfeld führten die Soldaten auf den Markt, zogen ihn da bis auf das Hemd aus und jagten ihn so aus der Stadt. Das Dorf Stelzen, hoch am Thüringerwald, wurde auf Michaelis 1632 bis auf Kirche, Schule und Hirtenhaus abgebrannt. Der Pfarrer meldete seine Noth nach Eisfeld, indem er klagt, daß ihm nichts übrig geblieben sei, als „seine acht kleine, arme, nackte, hungerige Kindlein“, – und er unterschrieb sich: „unterdienstwilliger und gehorsamer armer verbrannter Pfarrer daselbst“.

So war das Brennen und Morden durch das ganze Land gegangen, von Itzgrund an bis zu den letzten Dörfern am Thüringerwald, wo der Feind von Norden her einbrach und alles Erreichbare verwüstete, und von der Nähe Kronachs an, das Herzog Bernhard von Weimar dreimal belagerte, um dem Coburger Lande von dieser seiner gefährlichsten Seite Schutz zu bringen, und dreimal vergeblich und nur mit dem Siegerübermuth die Raub- und Mordlust der Besatzung und der gesammten Bevölkerung vermehrend, bis zu dem Verheerungsgebiet von Königshofen, das in diesem Kriege abwechselnd bald in den Händen der Schweden, bald in denen der Kaiserlichen war.

Aber noch höher stieg das Elend des Landes, als die Veste Coburg selbst in die Hände der Kaiserlichen fiel. Nach einer Belagerung vom 20. Oktober 1634 an wurde sie am 28. März 1635 dem kaiserlichen General-Wachtmeister v. Lamboy übergeben.

Noth und Elend, schreibt 1635 die Chronik, waren nun auf das Höchste gestiegen. Das Land war ganz mit fremden Soldaten überschwemmt, im Amte Römhild lagen die thunischen, gallasschen, hatzfeldischen und andere Regimenter, in Heldburg vom adelshofischen und anderem Volk, in Neustadt und Eisfeld lagen Ungarn und des Oberst Forgatsch Croaten und in den Coburger Dorfschaften die Lamboy’sche Reiterei. Dazu kam noch Feldmarschall Piccolomini, der mit vielem Geschütz der Veste nach Königshöfen zog, um dieses den Schweden zu entreißen. Wie die Hyäne hinter Löwen und Tiger her, um zu verschlingen, was diese übrig gelassen, brach nun noch Generalfeldzeugmeister Marchese de Grana von der linken Kronacher Gegend her in’s Land. Die Bauern machten in all ihrem Jammer damals noch einen guten Unterschied zwischen ihren Drängern, sie nannten den Wallenstein den großen Feind, den Lamboy den kleinen Feind und den Marchese de Grana den Kehraus: er nahm, was er noch fand. und hinterließ die Hungersnoth und die Pest. Wer noch fliehen konnte, suchte in der Fremde, die Meisten in Thüringen, das Leben zu fristen. Fast alle Schulen standen leer, weil die Kinder zu Grunde gegangen waren, viele Pfarrer mußten sich von Tagelöhnerarbeit, von Holzhacken und Dreschen ernähren, wo es überhaupt noch Etwas zu dreschen gab, denn auch vieles Land blieb öde liegen, überwuchert mit Dornen und Disteln, die meisten Häuser wurden verwüstet, die Scheunen selbst rings um die Stadt Coburg abgerissen und vom Feind und Freund als Brennholz benutzt. Außerhalb der Stadt Coburg war im ganzen Land kein ganzes Haus mehr zu finden, und – es sind nur wenige Worte, aber sie drücken das Gräßliche jener Zeit ganz aus: „sind damals mehr als fünfhundert Kinder auf den Gassen todt gefunden worden, ohne die alten Leute, die der Hunger gefressen. Es war auch sonderlich erbärmlich, daß eine Frau von Roßfeld eingebracht wurde, welche ihren Nachbarn ermordet hatte, in der Meinung, ihn zu essen.“

Als endlich der Abschluß des Prager Friedens zwischen dem Kaiser und Sachsen auch dem Lande Coburg einige Ruhe verhieß, kehrten die Entflohenen zu ihren Heimstätten zurück, und die Regierung, die indeß, nach Johann Casimir’s Tode (1633), an seinen Bruder Johann Ernst übergegangen war, wandte alle möglichen Mittel an, um den Anbau der ganz verödeten Fluren wieder zu bewerkstelligen. Sie hatte im Jahre 1636 bedeutende Getreidevorräthe in Thüringen angekauft und forderte nun ihre Aemter und Gerichte auf, den Bedarf jeder Gemeinde und die Transportmittel, die dieselbe zur Herbeiführung jener Vorräthe liefern könne, anzugeben, aber auch zugleich über den damaligen Zustand derselben, namentlich wie viel von Aeckern bestellt, wie viel „Mannschaften“ noch vorhanden und was an Feldern und Häusern wüst stehe, zu berichten.

Von diesen Nachforschungen nun liegen aus Heldburger Archivpapieren die Original-Protokolle des Gerichts Heldburg und eine tabellarische Zusammenstellung der Cent Hildburghausen über sämmtliche zu beiden gehörige Dörfer vor mir.[1]

Trotz mehrfacher Mahnungen der Regierung vergeht doch das ganze Jahr 1636, ohne daß die Gemeinden zur Abholung des Getreides sich entschlossen hätten; im März 1637 schreibt die fürstl. sächs. Geheim- und Kammer-Canzlei zu Coburg an die Gerichte, „daß nun periculum in mora sei wegen der Samenabfuhr in Thüringen“, und so werden denn endlich im April die vorhandenen Transportmittel angemeldet. Schon ein Blick auf dieses Verzeichniß genügt, um den entsetzlichen damaligen Zustand des Landes zu ahnen. In fünfzehn Dörfern der Cent Hildburghausen sind nur vier Karrenführer aufzubringen gewesen, außerdem sechsunddreißig Schubkarren und zweiundsiebenzig Träger; in dreizehn Dörfern des Gerichtes Hildburg gar nur eine einzige Karrenfuhre und außerdem sechsunddreißig Schubkarren und siebenzig Träger. Dazu bemerkt der Hildburghäuser Bericht noch: „Die Leut werden so urplötzlich krank, also daß dieselben dahin sterben und mancher das neue Korn nicht geneust, worauf er sich lang gefreuet. Der liebe Gott wende es zum Besten!“

Das Aktenstück über den Zustand der Dörfer des Gerichts Heldburg führt die Aufschrift:

„Was an Winter- und Sommerfrucht ausgebauet, auf’s Neue bestellt, an Pferden und Mannschaften vorhanden, auch wüst stehet im Gericht zu Heldburg April 1637.“

Da lesen wir u. A.: In Colberg: Ist kein Pferd noch sonst lebendig Vieh allda. Sind noch 4 Männer und 3 Wittweiber am Leben und stehen 23 Wohnhäuser ganz ledig. In Rieth: Ist nicht mehr als ein Pferd in der Gemeinde. Daselbst stehen 60 Häuser ledig, und sind noch 20 Hausgesaß, darunter 11 Männer, am Leben. In Lindenau: Sind noch in Allem 12 Mannschaften und 3 Wittiben vorhanden und stehen hierüber noch 58 Häuser ledig. Und so fort. Am allerschlimmsten sah es in vier anderen Dörfern dieses Heldburger Gerichts, in Poppenhausen, Käßlitz, Schweikershausen und Seidingstadt aus. Das Protokoll sagt: „Liegt Alles öd und wüst, ist auch an keinem Ort nichts an Viehe und ist zu besorgen, diese Dörfer werden künftig ganz wüst.“ In Seidingstadt, das jetzt 300 Einwohner zählt, lebten 1637 noch ein Mann und 3 Wittweiber, in Poppenhausen, jetzt mit 170 Einwohnern, noch 3 Männer, in Käßlitz, jetzt mit 230 Einwohner, noch 4 Männer, und in Schweikershausen, das jetzt wieder eine blühende Gemeinde von 54 Familien und über 200 Einwohner hat, lebte noch ein einziger Mann, „so sich des Schueb-Karrns und Tragens aus Thüringen nehrt“. –

„Summa gantz Vermögens im Gericht Heldburgk ist: 177 Acker Winterbau, 75 Acker Sommerbau, 75 Acker auf’s Neu bestellt, 8 Pferde, 115 Mannschaften, 54 Wittweiber, 550 ledige Häuser“. Also 170 arme Menschen noch, wo heute gegen 5000 glücklich leben! –

Ein nicht viel weniger erschütterndes Bild zeigt uns das „Verzeichnuß derer in der Cent Hildburghausen Dorfschaften anitzt befindenden Mannschaften, Wittiben, auch wie stark dieselbe hiebevor an Mannschaft gewesen, was an Pferden etc. und was öde liegt“.

  1. Im Jahre 1857 wurde das Archiv auf der Veste Heldburg im Meiningischen an die meistbietenden Kaufleute und Krämer der Umgegend verkauft. Ein mir befreundeter Kaufmann in Eisfeld gestattete mir die Durchsicht des Restes der von ihm erstandenen sechs Centner Archivpapiere; es waren im Ganzen über dreißig Centner verkauft worden. Was ich in dem geringen Vorrath, den mein Freund mir noch vorlegen konnte, fand, mußte mich befürchten lassen, daß mit diesem Archive manche wichtige historische Nachricht namentlich über die Zeit des dreißigjährigen Kriegs unrettbar verloren gegangen sein möge. Außer einem sehr interessanten und von der ersten Anzeige bis zur letzten Scharfrichtersrechnung vollständigen Hexenproceß fand ich Privatbriefe, Protokolle und Berichte aus der Zeit von 1567 (von Zeitgenossen Grumbach’s mit Bezug auf diesen) bis 1677 (wo der Hof- und Feldtrompeter von Heldburg um sein Neujahrstrinkgeld mahnt); die wichtigsten Stücke gehören aber der schlimmsten Zeit des dreißigjährigen Kriegs für das Coburger Land an, den Jahren 1635 bis 1637. Von diesen theile ich hier Einiges mit. – Eine Bitte darf ich aber wohl nicht ganz unterdrücken, die Bitte, nunmehr die alten Archive in Deutschland zu schonen; die Barbarei von Seiten kenntnißloser oder gegen Wissenschaft und Volksthum gleichgültiger Beamter gegen sie sollte doch endlich lange genug gedauert haben.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 827. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_827.jpg&oldid=- (Version vom 28.12.2022)