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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Herrscherin im Küchendepartement. … Bringt sie das Essen auf den Tisch, so folgt getrost ihrem Wink, denn Ihr geht einen guten Weg; läßt sie sich aber bedrohlicher Weise an, ihre Sagen und Geistergeschichten auszukramen, so lauft, was Ihr laufen könnt, denn da giebt’s kein Ende. … Und nun,“ wandte er sich zu der lachenden Alten, die eigentlich grundhäßlich war, trotzdem aber durch einen Zug von Schelmerei und Humor um Mund und Augen, durch ihren treuherzigen Blick und mittels der fleckenlosen Sauberkeit ihres Anzugs sofort Alle für sich einnahm, „bringe schnell, was Küche und Keller vermögen. Hast ja deshalb die Pfingstkuchen frühe gebacken, damit die Reisenden gleich was Frisches einzubrocken hätten.“

Damit zeigte er nach der Küche und öffnete zugleich die Thür einer geräumigen, hellen Eckstube. Alle traten ein, nur Elisabeth konnte nicht unterlassen, noch einen Blick durch die große Thür zu werfen, die nach dem Hofe führte; denn durch das weiße Staket, das den weiten, von Geflügel aller Art bevölkerten Raum auf zwei Seiten umschloß, leuchteten farbige Blumenbeete und einige spätblühende Aepfelbäume streckten ihre rosenfarbenen Zweige weit in den Hof herein. Der Garten war groß, stieg terrassenartig den Berg hinauf und nahm noch einige Vortruppen des Waldes, eine schöne Gruppe alter Buchen, mit in sein Bereich. Während Elisabeth, wie angefesselt, sinnend im Hausflur lehnte, wurde die Thür eines Seitenflügels geöffnet, und ein junges Mädchen trat heraus. Es war auffallend hübsch, wenn auch fast zu klein von Gestalt, was, wie es schien, die Natur wieder auszugleichen gesucht hatte durch die weitgeöffneten großen Augen, die wie prächtige, schwarze Sonnen flammten. Das üppige, dunkle Haar war mit unverkennbarer Koketterie aufgenestelt und ließ einige zartgekräuselte Löckchen auf die plastisch geformte, bleiche Stirn fallen. Auch der Anzug, obschon sehr einfach im Stoff, zeigte eine fast peinliche Sorgfalt im Arrangement, und der aufmerksame Beobachter konnte mit dem besten Willen nicht annehmen, daß man das Oberkleid lediglich aus Schonung des Saumes in so zierlichen Falten aufgesteckt habe; denn zwei reizend geformte Füßchen hatten eine auffallend feine Toilette gemacht, die sicher nicht bestimmt war, unter dem langen Wollkleid zu verkümmern.

Das junge Mädchen hielt eine Mulde voll Getreidekörner im Arm und warf davon eine Hand voll auf das Pflaster. Alsbald entstand ein großer Lärm; von den Dächern stürzten sich die Tauben, die Hühner verließen unter lautem Gekacker Stangen und Nester, und der Hofhund glaubte bei dem allgemeinen Aufstand sich auch mit einem lauten Gebell betheiligen zu müssen.

Elisabeth war überrascht. Der Onkel war zwar verheirathet gewesen, hatte aber nie Kinder gehabt, das wußte sie genau; wer war also das junge Mädchen, das er nie in einem seiner Briefe erwähnt hatte? … Sie ging die Stufen hinab, die nach dem Hofraum führten, und trat der jungen Fremden einige Schritte näher. „Gehören Sie auch in’s Forsthaus?“ fragte sie freundlich.

Die schwarzen Augen hefteten sich fast stechend auf die Fragerin und drückten einen Augenblick unverkennbar große Ueberraschung aus; dann erschien ein Zug von Hochmuth um die feinen Lippen, die sich noch fester aneinander zu schließen schienen als vorher; die Augenlider fielen halb über die glänzenden Augen, welche sich abwendeten, und ruhig und schweigsam, als wisse sie gar nicht, daß Jemand neben ihr stehe, fuhr sie fort, die Körner in den Hof zu werfen.

In dem Augenblick ging Sabine, das Kaffeebret auf dem Arme, an der Hofthür vorüber. Sie winkte zutraulich der tiefbetroffenen Elisabeth, und als diese näher kam, faßte sie ihre Hand und zog sie in das Haus, indem sie sagte: „Kommen Sie, Kindchen, das ist nichts für Sie.“

In dem Wohnzimmer fand Elisabeth Alle schon so gemüthlich und vertraut zusammen, als hätte man tagtäglich beieinander gesessen. Die Mutter hatte in einem bequemen Lehnstuhl Platz genommen, den ihr der Oberförster an das Fenster gerückt und von wo aus sie einen lieblichen Fernblick durch den Wald genoß. Eine große, getigerte Katze war vertraulich auf ihren Schooß gesprungen und ließ sich mit sichtbarem Behagen das Streicheln der sanften Hand gefallen. Für den kleinen Ernst aber waren die vier Wände des Zimmers eine wahre Fundgrube aller möglichen interessanten Dinge. Er kletterte von Stuhl zu Stuhl und stand eben in wortloser Bewunderung vor einem großen Glaskasten, der eine prächtige Schmetterlingssammlung enthielt. Die zwei Männer saßen auf dem Sopha, eifrig über den künftigen Wohnsitz der Familie berathschlagend, und Elisabeth hörte, wie eben der Onkel sagte: „Nun, wenn sich auf dem Berge kein Quartier für Euch einrichten läßt, so bleibt Ihr einstweilen droben in meiner Stube. Ich richte meinen Schreibtisch und meine sonstigen Habseligkeiten unten ein, und dann bombardire ich die in der Stadt so lange, bis sie mir drüben auf den Seitenflügel ein neues Stockwerk setzen lassen.“

Elisabeth legte den Reisemantel ab und war der alten Sabine behülflich, den Kaffeetisch herzurichten. Auf die Glückseligkeit, die ihr ganzes Herz erfüllte, war soeben der erste Schatten gefallen. Mit Unfreundlichkeit war man ihr noch nie begegnet. Daß sie dies dem Liebreiz ihrer Gestalt, der Reinheit und Kindlichkeit ihres Wesens verdanke, deren Einfluß sich oft die rohesten Gemüther nicht zu entziehen vermögen, davon hatte sie freilich keine Ahnung. Sie hatte das so hingenommen als eine Sache, die sich ganz von selbst verstehe, da sie es ja mit allen Menschen wohlmeine und nie sich eine Unhöflichkeit gestatte. Ihre Ueberraschung und Freude, ein junges Mädchen von gleichem Alter hier zu finden, waren zu groß gewesen, als daß ihr nun die Zurückweisung nicht doppelt wehe thun sollte. Auch hatte das schöne Gesicht der Fremden ihr lebhaftes Interesse geweckt. Das Gemachte in der Erscheinung war ihr als solches durchaus nicht aufgefallen, da sie selbst das Verlangen gar nicht kannte, ihr Aeußeres durch besondere Hülfsmittel der Toilette zu heben. Die Eltern hatten ihr stets gesagt, sie möge ihren Geist bereichern, so viel sie könne, und sich bestreben, immer besser zu werden, dann würde auch ihre äußere Erscheinung nie abstoßend sein, gleichviel welche Form die Natur ihr verliehen habe.

Das Nachdenkliche in Elisabeth’s Zügen fiel der Mutter sogleich auf. Sie rief sie zu sich, und Elisabeth wollte ihr die Begegnung erzählen, aber schon bei den ersten Worten drehte sich der Oberförster nach ihr um. Eine tiefe Falte erschien zwischen den buschigen Augenbrauen und machte das Gesicht finster und grimmig.

„So,“ sagte er, „hast Du die schon gesehen? … Nun, dann will ich Euch auch erzählen, wer und was sie ist. Ich habe sie vor mehreren Jahren in mein Haus genommen, um eine Stütze für Sabine im Hauswesen zu haben. Sie ist eine Verwandte meiner verstorbenen Frau und hat weder Eltern, noch Geschwister. Ich wollte ein gutes Werk thun und habe mir damit eine Ruthe aufgebunden, die mich züchtigt, ohne daß ich gesündigt hätte … Schon in den ersten Wochen merkte ich, daß in dem Kopf auch nicht Ein gesunder Gedanke stecke … nichts als ein Wust von überspannten Ideen und ein unglaublicher Hochmuth. Ich hatte nicht übel Lust, sie wieder dahin zu schicken, wo sie hergekommen, aber da lamentirte die Sabine und bat vor, obgleich sie am allerwenigsten Ursache dazu hatte. Denn das junge Ding machte ihr schwer zu schaffen, war naseweis und kehrte bei jeder Gelegenheit die Verwandte des Herrn gegen die alte Dienerin heraus… Ich drückte ihr den Daumen auf’s Auge, so viel ich konnte, und ließ sie tüchtig schaffen und arbeiten, um ihr den Hochmuthsteufel auszutreiben, und da ging’s auch eine Zeit lang erträglich… Da lebt aber drüben auf Lindhof – das ist die ehemals Gnadewitz’sche Besitzung, die der Universalerbe an einen Herrn von Walde verkauft hat, – seit ungefähr einem Jahre eine Baronin Lessen. Der Besitzer selbst, der weder Frau noch Kinder hat, ist so eine Art Alterthumsforscher, reist viel und läßt deshalb seine einzige unverheirathete Schwester durch die genannte Dame beschützen – Gott sei’s geklagt! denn seitdem ist Alles dort auf den Kopf gestellt. … Wenn mir früher gesagt wurde, das ist ein Frommer, da hatte ich Respect und nahm meine Kappe ab; jetzt mache ich eine Faust und möchte am liebsten die Kappe über Augen und Ohren ziehen, denn die Welt hat sich verkehrt. … Die Baronin Lessen gehört auch zu den Frommen, die vor lauter gottseligen Wandels hart, grausam und engherzig werden, die Denjenigen, der nicht immer die Augen heuchlerisch am Boden hat, sondern sie aufschlägt nach oben, wo er seinen Gott sucht, hartnäckiger verfolgen, als eine Meute das Wild… In dies Gehege ist denn nun meine vortreffliche Nichte auch gerathen; ein besseres Feld für all’ das Unkraut in ihrem Kopfe konnte es nicht geben, und da haben wir denn nun auch die allerliebste Bescheerung. Sie hatte mit einer Kammerjungfer da drüben Bekanntschaft gemacht und brachte ihre ganze freie Zeit dort zu. Anfangs hatte ich kein Arges, bis sie auf einmal mit Bekehrungsversuchen anfing... Da sollte die Sabine nicht fromm sein, weil sie nicht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_019.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)