Seite:Die Gartenlaube (1866) 046.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

den Hintergrund der Landschaft schließt, von dem dunkelgrünen Laubteppich aufsteigend, das Ziel unserer Wanderung, dessen Anblick Justinus Kerner schildert als

„Ein Bild, wie wenn die Wolke bricht,
Die Burg erscheint in blauer Luft,
Als wie erbaut aus Mondenlicht
Zur Leuchte dieser Felsenkluft.“

Jetzt geht’s zu Fuße weiter. Der Fuhrmann beschreibt uns freundlich den rechts sich hinaufziehenden schmalen Bergpfad, als den Weg zum Lichtenstein.

„Ist’s denn noch weit, bis dort hinauf?“

„Ha! so ei Stündle hätt’ de Herre wohl noch z’ steige.“

Es ist ein gar stiller, schattiger Waldweg, der uns aufnimmt. Je höher wir auf der bewaldeten Bergwand kommen, um so steiler wird der Pfad, aber auch um so herrlicher die Aussicht. In den einzelnen Lichtungen, die sich vor uns öffnen, tritt das Schloß auf seiner Höhe immer deutlicher entgegen. Ziegen klettern an der Bergwand behend auf und ab und lassen sich die frischen, saftigen Gebirgskräuter der schwäbischen Alb vortrefflich schmecken.

Unter hohen Buchen fortschreitend, steigen wir höher und höher und erreichen bald das Forsthaus Lichtenstein, das so recht inmitten der Waldeinsamkeit liegt. Und jetzt sind wir auch vor unserem Ziele angelangt! Schnell geht’s in den Schloßpark hinein. Der hohe, runde Burgthurm steigt majestätisch über den Wipfeln der Buchen empor. Die kleine Zugbrücke ist überschritten, die Burgpforte aber verschlossen. „Läuten wir.“

Eine steinalte, gebückt stehende Frau öffnet.

„Grüß Gott, Mütterchen!“

„Hätt’ de Herre Einlaßkarte?“ fragte sie mit dünner Stimme.

„Da haben wir’s!“ platzte ich heraus. „Wir können nur gleich wieder, umkehren, denn hier hilft Bitten nichts. Gar Mancher hat hier schon Kehrt machen müssen, der ohne Einlaßkarte vor das Schloß kam. Daß wir auch nicht daran dachten!“[1]

Doch da hatte mein Freund schon ein Billet, das er, wie er mir später erzählte, schon vorher auf das Entgegenkommendste und in höchst aufmerksamer Weise vom jetzigen Besitzer des Schlosses, dem Grafen Wilhelm von Würtemberg, aus Ulm erhalten. Und so traten wir ein.

„Se komme grod recht, junge Herre!“ sagte das Mütterchen, während sie ein Stöckchen vom Boden aufhob, um ihre Pfauhennen weiter zu hüten. „’s ischt ebe G’sellschaft komme und do kennt Se sich das Schloß z’samme ansehn.“

Richtig! Vor der Wohnung des Schloßverwalters erblickten wir ein paar junge würtembergische Artilleriefähndriche und einen kleinen, dicken, alten Herrn, der sich mit dem Schloßverwalter lebhaft unterhielt.

„Bevor i de Herrschafte das Schloß zeige,“ begann der Schloßverwalter, „führe i Se nach der Trinkhalle.“

„Was, giebt’s hier oben auch einen Gesundbrunnen?“

„Nei, dösch net. De Trinkhalle hat ihren Namen von de dort aufgestellte, alterthümliche Trinkgefäße.“

Der Weg zu ihr geht durch die Schloßanlagen zwischen grünen Hecken hindurch, aus denen uns aus Thon geformte Gnomen entgegenlachen.

Die im unteren Geschoß aufgestellten, aus verschiedenen Jahrhunderten stammenden Schießwaffen interessiren namentlich die uns begleitenden beiden jungen Artilleristen, welche jene am liebsten gleich in praxi probiren möchten. Uns fesselte mehr der eine Treppe hoch gelegene Trinksaal. Zahlreiche, uralte Trinkgefäße, aus denen gar mancher tapfere Cumpan mit derbem Witz gezecht, stehen auf einer Etagère, welche an der den Bau tragenden Säule befestigt ist. Der alte Herr lacht herzlich über einen mächtigen Humpen, den er soeben in der Hand hält und auf welchem der ironische Spruch eingegraben ist: „Das Saufen macht den Leib schwer.“

„Nun, wie wär’s? Ob wohl Einer unter uns den Krug auf Einen Zug leert?“ fragte mein Begleiter.

„Das würde wohl eine schwere Aufgabe sein. Unsere Vorfahren konnten eben mehr als wir trinken.“

„Ah, sieh nur, da auch ein Spruch auf das deutsche Lied und die deutsche Einigkeit: ,Tönt ein teutsches Lied von Nord, find in Süden seinen Port; was Politik, was Herrenland, wo teutsches Lied, da Vaterland‘.“

„Aus diesem Fenschter sehe Sie dort drübe, auf dem vorspringende Felse, die Trümmer der alten Römerburg, welche hier einscht gestanden habe soll, und rechts davon ischt die vom Grafen Wilhelm aufgestellte Büschte des Dichters Hauff,“ erklärt der Schloßverwalter. „Aber meine Herrschafte, wenn’s g’fällig ischt, gehe wir nach dem Schlosse!“ setzte er drängend hinzu.

Bald standen wir auf der über einen tiefen Felsspalt sich spannenden Zugbrücke der Burg. Der Castellan erzählte, daß von jenem Schlosse, welches der Dichter Hauff in seiner romantischen Sage schildert und worin der 1513 durch den schwäbischen Bund aus seinem Lande Vertriebene unglückliche Herzog Ulrich von Würtemberg Zuflucht und Pflege gefunden haben soll, mit Ausnahme des Brückenkopfs, nur die Fundamente vorhanden seien, auf denen sich das jetzige Schloß erhebt. Auf den Grundfesten des alten 1802 als baufällig abgebrochenen Schlosses, da, wo später ein Försterhaus errichtet wurde, hat Graf Wilhelm von Würtemberg im Jahre 1842 von dem unlängst in hohen Jahren verstorbenen Heideloff das jetzige Schloß erbauen lassen. Es ruht auf einer, gleich einem mächtigen Thurme achthundert Fuß über dem Honauer Thale und der Albstraße einzeln aufsteigenden Felsennadel, die nur durch diese Zugbrücke mit der Albebene verbunden ist. Von unten aus hat das Schloß das Aussehen, als müsse es jeden Augenblick in’s Thal hinabstürzen.

Treten wir nun in dies Schloß ein, um das die Sage ihren unverwelklichen Kranz geflochten, auf dessen Stätte einst das holde Fräulein von Lichtenstein wie eine liebliche Fee waltete, die Hauff so poetisch mit allem Zauber weiblicher Anmuth schildert.

„Dös ischt die Waffenhalle, auch Tyrnitz genannt,“ belehrte der Castellan, nachdem wir die Freitreppe zur Burg hinaufgegangen waren; „die Waffen, welche Sie hier aufgestellt sehen, sind wie alle übrigen im Schlosse aufgestellten alten Gegenstände vom Grafen selbst g’sammelt.“

Es ist ein prächtiger Rüstsaal mit vielen Armaturstücken aus den verschiedensten Zeiten: Hellebarden, Partisanen, Lanzen, Schwerter, Dolche, Rüstungen etc., darunter manches höchst kunstvoll gearbeitete Stück.

In dem stillen Raume der kleinen Burgcapelle, durch deren gothische, mit Glasmalereien geschmückte Fenster das Tageslicht nur matt hineinfällt, werden wir fast andächtiger gestimmt, als in einem großen Dome.

„I führe Sie jetzt nach dem Hirschzimmer, das Sie ganz besonders interessiren wird, weil es vollständig reschtaurirt und genau ebenso hergerichtet ischt, wie es sich vor dreihundert Jahren zur Zeit des alten Lichtenstein befand. Aber, bitte, treten Sie immer auf die schwarzen Fliesen (der Fußboden ist schachbretartig quadrirt), weil die weißen erscht geschtrn neu gestriche wurde.“

„Also vorgesehen, meine Herrschaften!“

Die eben so lange wie breite Hirschstube hat ihren Namen von dem alten, in den Felsen eingehauenen Gelaß der ehemaligen Hirschstube und dient als Versammlungs- und Speisesaal. Auch hier sind in den Fenstern alte Glasmalereien angebracht. Auf die Wände sind al fresco Figuren und viele Denk- und Trinksprüche gemalt, darunter auch der von der Partei des Herzogs Ulrich häufig gebrauchte Spruch: „Hie gut Würtemberg allweg“.

„Ei, da ist ja oben an der Decke ein Champagnerkelch befestigt, wie wir ihn von solcher Höhe noch nie gesehen.“

„Jo, ’s ischt e selt’nes Stück, das der Graf von seinen Reisen mitgebracht. Der Kelch mißt in der Höhe nicht weniger als vier Fuß.“

Unser Führer zeigt uns nun eine Menge anderer Zimmer, von denen wir nicht begreifen können, wie sie alle in der kleinen Burg Platz gefunden: die Königsstube, das Wappenzimmer, den großen Rittersaal u. a.

Im Musikzimmer verweilen wir länger.

„Hier ischt e altes Clavier mit Glockengeläute.“ Kling, klang, tönt’s, wie der Castellan die betreffenden Tasten anschlägt.

Dann kam das Zimmer mit den Todtenmasken historisch-berühmter Männer wie Cromwell, Robespierre, Napoleon etc. an die Reihe und endlich stiegen wir in den einhundertundzwanzig Fuß hohen Thurm, sahen noch die auf diesem als kleines Thürmchen gebaute Sternwarte und befanden uns schließlich auf der Zinne

  1. Das Innere des Schlosses und seine Anlagen haben bisher nur Wenige gesehen, da dasselbe dem allgemeinen Zutritt verschlossen ist. Wir glauben deshalb, daß der gegenwärtige Aufsatz, welcher theilweise als eine Illustration zu Hauff’s Lichtenstein gelten kann, unseren Lesern um so willkommener sein wird.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_046.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)