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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

No. 4.

1866.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Goldelse.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


Frau Ferber trat zu den am Fenster Stehenden und nach der Lindenallee Hinabblickenden. Auch sie sah durch das Glas und fand das Gesicht der unten auf dem Ruhebett ausgestreckten jungen Dame überaus lieblich; sie hob besonders den Ausdruck von Seelengüte hervor, der „die Züge verkläre“.

„Ja,“ sagte der Oberförster, „gut und mildthätig soll sie auch sein. Als ich hierher kam, war die ganze Umgegend ihres Lobes voll… Aber auch darin hat sich das Blättchen gar sehr gewendet, seit die Baronin Lessen das Regiment im Hause führt. … Da kommt kein Almosen mehr unter die Armen, das nicht erst mit dem Muckerthum auf der Goldwage gelegen hätte… Wehe dem armen Bittsteller, er kriegt keinen Pfennig Unterstützung, und noch spitze Bemerkungen obendrein, wenn es sich nämlich herausstellt, daß er lieber beim Pfarrer in Lindhof die Predigt hört, als in der Schloßcapelle, wo ein Candidat – der Hauslehrer bei der Baronin – allsonntäglich Feuer und Schwefel und alle erdenklichen Höllenqualen von der Kanzel herab auf die Häupter der Gottlosen schleudert.“

„Solche Zwangsmaßregeln sind ein sehr übles Mittel, den christlichen Sinn im Volke wieder zu erwecken,“ meinte Frau Ferber.

„Sie schlagen ihn vollends todt und füttern dafür die Heuchelei groß, sage ich!“ rief zornig der Oberförster. „Schon deshalb, weil sie selbst dazu das Beispiel geben… Da lesen sie jederzeit in der Bibel von der christlichen Demuth und werden doch von Tag zu Tag hochmüthiger und anmaßender; ja, sie wollen einem sogar weismachen, ihr hochgeborner Leib sei schon aus einem ganz anderen Stoffe, als der ihrer niederen Brüder in Christo… Wenn Du Almosen giebst, so lasse Deine linke Hand nicht wissen, was Deine rechte thut, so steht geschrieben … ein Huhn macht aber wahrlich nicht mehr Geschrei um sein eben gelegtes Ei, als diese Leute um ihre milden Thaten. Da giebt’s Collecten, Armenlotterieen u. dergl. m., wobei die ganze Umgegend unaufhörlich gebrandschatzt wird; wenn es aber gilt, da zu nehmen, wo am meisten zu finden ist, im eigenen Geldbeutel, da hört der Spaß auf, wie man zu sagen pflegt… Da drunten in dem Hause da bimmelt das Glöckchen so und so viel Mal des Tages; dann heißt es in der Umgegend – denn man hört’s weit und breit – ‚jetzt beten die im Schlosse‘. Das Kämmerlein, in welchem sie nach Gottes Gebot zu ihm reden sollen, ist ihnen zu klein und nicht nach ihrem Geschmack. … Aber mir ist nicht allein das Gesperr ein Gräuel; nein, es ist auch geradezu gottheillos, so mir nichts, dir nichts das Heiligste in die Berufsgeschäfte hineinzuziehen… Jetzt Frage ich, ob die Jungfer, die eben ein glühendes Plätteisen handhabt, oder der Koch, der einen heiklen Braten in der Röhre hat, sich freuen kann, wenn das Glöckchen mit einem Mal anfängt?“

„Ja, in diese Art Andacht setze ich allerdings einige Zweifel,“ sagte lächelnd Frau Ferber. „Und ist Herr von Walde mit den Reformen der Baronin Lessen einverstanden?“ fuhr sie fort.

„Nach Allem, was ich in der Beziehung von ihm höre, wahrscheinlicherweise nicht; aber was hilft das? … Der durchstöbert vielleicht im Augenblick die Pyramiden, um Licht in die alten Zeiten zu bringen; daß seine Frau Cousine unterdeß im christlichen Eifer das anrüchige Licht der Gegenwart nach Kräften mit auszublasen sucht, das kann er ja nicht wissen… Er mag übrigens auch seinen ganz gehörigen Sparren haben… Der Fürst von L., dem er sehr nahe steht, soll in früheren Jahren lebhaft eine Verbindung zwischen ihm und einer jungen Dame am Hofe gewünscht haben; er hat, dem Vernehmen nach, die Partie ausgeschlagen, weil das Fräulein nicht die erforderliche Anzahl Ahnen besitze. Ich glaube überhaupt nicht, daß er sich noch verheirathet,“ setzte der Oberförster hinzu. „Er ist nicht mehr ganz jung, hängt viel zu sehr am Wanderleben und soll sich auch im Ganzen nie was aus den Weibsleuten gemacht haben… Ich will gleich meinen kleinen Finger verwetten, daß der da drunten mit dem Buch in der Hand diese meine Ansicht theilt und Lindhof und alle die anderen schönen Besitzungen in Sachsen und Gott weiß, wo noch, im innersten Schrein seiner Seele als unverlierbares Eigenthum betrachtet.“

„Hat er Ansprüche daran?“ fragte Frau Ferber.

„Freilich wohl. Er ist der Sohn der Baronin Lessen. Außer dieser Familie haben die Geschwister von Walde keine Verwandten in der ganzen, weiten Welt. Die Baronin war zuerst mit einem Herrn von Hollfeld verheirathet; aus dieser Ehe stammt der junge Mann da drunten, der durch den frühen Tod seines Vaters Herr von Odenberg, einer großen Besitzung jenseits L., geworden ist. Die schöne Wittwe hat damals gemeint, sie müsse eiligst ihre Freiheit benützen, um wenigstens noch eine Staffel auf der Leiter menschlicher Glückseligkeit und Vollkommenheit zu ersteigen; diese Staffel aber konnte natürlicherweise nur der Freiherrnrang sein, und deshalb wurde Frau von Hollfeld eines schönen Tages die Gemahlin des Baron Lessen. Sein Name war zwar etwas anrüchig, es klebten einige Thatsachen daran, die man in niedrigerer Sphäre spießbürgerlicherweise unehrenhaft nennt, aber das schadete nichts, er war ja auch Kammerherr, der Schlüssel am Rockknopf schließt das Hofparadies auf, und davor müssen sich selbst die gewaltigen Schlüssel des heiligen Petrus verstecken, trotz aller Verheißungen, die sie einst wahrmachen sollen. Der Baron machte übrigens nach

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_049.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)