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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„Weil Elisabeth nun und nimmermehr in den Kram da drunten paßt!“ rief ziemlich heftig der Oberförster. „Willst Du das, was Du sorgfältig angebaut hast, unter giftigem Mehlthau oder Reif vergehen sehen – nun, so thue es.“

„Ich habe allerdings,“ entgegnete Ferber ruhig, „bis jetzt die Seele meines Kindes allein in den Händen gehabt und bin, wie es meine Pflicht war, eifrig besorgt gewesen, jeden Keim zu wecken, jedes Pflänzchen, das ausbiegen wollte, zu stützen. Dabei ist es mir indessen nie eingefallen, eine kraftlose Treibhauspflanze erziehen zu wollen, und wehe mir und ihr, wenn das, was ich seit achtzehn Jahren unermüdlich gehegt und gepflegt habe, wurzellos im Boden hinge, um von dem ersten Windhauch des Lebens hinweggerissen zu werden… Ich habe meine Tochter für das Leben erzogen; denn sie wird den Kampf mit demselben so gut beginnen müssen, wie jedes andere Menschenkind auch. Und wenn ich heute meine Augen schließe, so muß sie das Steuer selbst ergreifen können, das ich bisher für sie geführt habe… Sind die Leute drunten im Schlosse in der That kein Umgang für sie, nun, dann wird sich das sehr bald herausstellen. Entweder, es fühlen beide Theile sofort, daß sie nicht für einander passen, und das Verhältniß löst sich von selbst wieder, oder aber Elisabeth geht an dem vorüber, was ihren Grundsätzen widerspricht, und es bleibt deshalb nicht an ihr haften. Und weißt Du denn, ob Elisabeth in späteren Jahren je eine andere Stütze haben wird, als sich selbst, je eine fremde Kraft, welche die Verantwortlichkeit für sie mit übernimmt?“

Der Oberförster warf einen schnellen Blick auf das junge Mädchen, das seine Augen feurig auf den Vater geheftet hielt. Er sprach ihr aus der Seele, der für sie der Inbegriff des Unfehlbaren und der Weisheit war, das lag sprechend in ihren Zügen.

„Vater,“ sagte sie, „Du sollst sehen, daß Du Dich nicht geirrt hast, daß ich nicht schwach bin… Ich habe von jeher das abgenützte Bild vom Epheu und der Eiche nicht leiden mögen, und werde es am allerwenigsten an mir wahr machen… Laß mich getrost in’s Schloß hinunter gehen, Onkelchen,“ wandte sie sich schelmisch lächelnd an den Oberförster, dem die grimmige Falte in möglichster Entwickelung zwischen den Augenbrauen erschienen war. „Sind seine Bewohner herzlos, ei, so setzt das noch lange nicht voraus, daß ich sofort zum Kannibalen werden und mein eigenes Herz unter dem Mühlstein der Grausamkeit zermalmen muß. Wollen sie mich treten und verletzen durch Hochmuth, dann setze ich mich innerlich auf einen so hohen Standpunkt, daß alle Pfeile umsonst nach mir verschossen werden, und sind sie Heuchler, nun, so sehe ich der Wahrheit um so fester in’s sonnige Angesicht und weiß dann desto klarer, wie häßlich jene schwarzen Masken sind.“

„Schön gesagt, unvergleichliche Else, und wäre auch wunderleicht durchzuführen, wenn nur die Leute die Freundlichkeit haben wollten, ihre Masken so handgreiflich zur Schau zu tragen… Wirst Dich schon wundern, wenn Du eines Tages Spreu da findest, wo Du so und so lange auf Gold geschworen hast. Nun, es soll mir eine für Dich freilich nicht eben erfreuliche Genugthuung sein, wenn ich sehe, wie eines schönen Tages das heldenmüthige Küchlein eilig und verscheucht unter die schützenden Flügel des heimischen Daches kriecht.“

„Ach!“ lachte Frau Ferber, „da kannst Du warten, Du kennst unsern kleinen Eisenkopf schlecht! … Aber laßt uns einen Entschluß fassen. Meiner Ansicht nach wäre es passend, wenn Elisabeth sich morgen den Damen vorstellte.“ –

Tags darauf, und zwar Nachmittag gegen fünf Uhr, stieg Elisabeth den Berg hinab. Ein schön gehaltener Weg führte durch den Wald, der in dem Park gewissermaßen aufging. Kein Gitter trennte den ersten, herrlich gepflegten Rasenplan, der mit seinen feinen, elastisch auf- und abwehenden Gräsern wie ein duftiges, grünes Gefieder dalag, von dem mit knorrigen Wurzeln bedeckten Waldboden.

Elisabeth hatte ein frischgewaschenes, helles Muslinkleid angezogen und ein weißer, runder Strohhut bog sich leicht über ihre Stirn. Der Vater gab ihr das Geleite bis an die erste Wiese, dann schritt sie allein muthig vorwärts. Keine menschliche Seele begegnete ihr auf dem langen Wege durch die reizenden Anlagen; ja, es schien, als flüstere es hier im Laub der Boskets tiefer, als droben im Walde, und als hüteten sich selbst die Vögel, allzulaut zu werden. Sie erschrak vor dem Knirschen des Sandes unter ihren Füßen, als sie in die Nähe des Schlosses kam, und wunderte sich über sich selbst, wie diese bängliche Stille sie mit einem Mal so verzagt mache.

Endlich hatte sie den Hauptflügel erreicht und erblickte das erste Menschenangesicht. Es war ein Bedienter, der in einem imposanten Vestibüle geschäftig, aber möglichst geräuschlos hantirte. Auf ihre Bitte, sie bei der Baronin zu melden, schlüpfte er die breite, gegenüberliegende Treppe hinauf, an deren Fuß zwei hohe Statuen standen, die ihre weißen Glieder halb unter dem dunklen Laub mehrerer Orangenbäume versteckten. Sehr bald zurückkehrend, meldete er, daß sie willkommen sei, und eilte flüchtigen Fußes wieder voraus, kaum mit der Fußspitze die Stufen berührend.

Beklommenen Herzens folgte ihm Elisabeth. Nicht der sie umgebende Glanz war es, was sie niederdrückte, nein, es war das Gefühl des Alleinstehens in dieser neuen, ungekannten Sphäre. Der Diener führte sie durch einen langen Corridor, an den sich mehrere Zimmer anschlossen, die, außerordentlich reich und elegant ausgestattet, jene tausend Kleinigkeiten in sich schlossen, welche ein unbefangenes und unverwöhntes Menschenkind auf die Vermuthung bringen müssen, es sei in eine Waarenausstellung gerathen.

Der Bediente öffnete leise und behutsam eine Flügelthür und ließ das junge Mädchen eintreten.

In der Nähe des Fensters, Elisabeth gegenüber, lag auf einem Ruhebett eine dem Anschein nach sehr leidende Dame. Ihr Kopf ruhte auf einem weißen Kissen, warme Decken verhüllten fast die ganze Gestalt, die jedoch – so viel ließ sich trotz der Umhüllung beurtheilen – von beträchtlichem Embonpoint sein mußte. In der Hand hielt sie ein Flacon.

Die Dame richtete sich ein wenig in die Höhe, so daß Elisabeth vollständig ihr Gesicht sehen konnte; es war voll und blaß und erschien im ersten Augenblick nicht unangenehm. Bei schärferer Beobachtung jedoch mußte man finden, daß die großen, blauen Augen, von weißblonden Wimpern umrahmt und unter ebenso hellen, in die Höhe gezogenen Brauen liegend, kalt wie Gletschereis blickten, ein Ausdruck, den ein Zug von Hochmuth um Lippen und Nasenflügel und ein stark hervortretendes, breites Kinn keineswegs milderten.

„Ach, es ist sehr freundlich von Ihnen, mein Fräulein, daß Sie kommen!“ rief die Baronin mit schwacher, aber trotzdem hart und spröde klingender Stimme, indem sie mittels einer Handbewegung nach einem ihr nahe stehenden Fauteuil deutete und das sich höflich verbeugende junge Mädchen aufforderte, sich zu setzen. „Ich habe,“ fuhr sie fort, „meine Cousine bitten lassen, sich bei mir mit Ihnen zu verständigen, da ich leider zu unwohl bin, Sie hinüber führen zu können.“

Der Empfang war jedenfalls höflich und zuvorkommend, obgleich sich in Ton und Bewegung der Dame eine bedeutende Dosis Herablassung nicht verkennen ließ.

Elisabeth setzte sich und wollte eben auf die Frage, wie es ihr in Thüringen gefalle, antworten, als die Thür heftig aufgerissen wurde. Ein kleines, ungefähr achtjähriges Mädchen mit fliegenden, etwas röthlichen Locken stürzte herein, in ihren Armen einen niedlichen, zappelnden und quikenden Hund an sich drückend.

„Ali ist so unartig, Mama; er will gar nicht bei mir bleiben!“ rief die Kleine fast athemlos, indem sie den Hund auf den Teppich warf.

„Wahrscheinlich hast Du das kleine Thier wieder einmal zu arg geneckt, mein Kind,“ sagte die Mama. „Ich kann Dich übrigens hier nicht brauchen, Bella; Du machst so argen Lärm und ich habe Kopfweh… Geh’ hinüber auf Dein Zimmer.“

„Ach, dort ist’s so langweilig. Miß Mertens hat mir verboten, mit Ali zu spielen, immer soll ich die alten Fabeln lernen, die ich gar nicht leiden mag.“

„Nun, so bleibe hier, aber verhalte Dich ruhig.“

Die Kleine strich dicht an Elisabeth vorüber, wobei sie deren Anzug von unten bis oben musterte, und stieg auf einen gestickten Fußschemel neben der Spiegelconsole, um eine Vase voll frischer Blumen besser erreichen zu können. In einem Nu verwandelte sich das reizend geordnete Bouquet in ein wildes Chaos unter den kleinen Händen, die sich eifrig bemühten, einzelne Blumen in die feingestickten Löcher der Vorhangsbordüre zu placiren. Bei diesem Arrangement liefen dicke Tropfen der trüben Lache, in der die Blumen gestanden, von den Stielen auf Elisabeth’s Kleid, so

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_051.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)