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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„Sie wissen es, Prinzessin, nach dem Verlust meiner holden Marie, dieses auf Erden wandelnden Engels, die auch Ihnen nahe stand, sind Sie mein einziges Glück; der Verkehr mit Ihnen, wenn auch, ach! durch die Ferne gehemmt, giebt meinem Leben seinen theuersten Werth. Von dem Augenblick an, wo Sie mir schrieben, um mich wie ein süßer Engel des Trostes in meinem Schmerz aufzurichten, ich Ihnen antwortete und so unser Briefwechsel sich entspann, von dem Augenblick an ist aller Inhalt meiner Seele nur noch die Freundin, die mit mir empfindet.

Unser kleiner Plan ist seiner Ausführung nahe gerückt. Er ist Ihre Erfindung, nur ein Gemüth, wie das Ihre, Prinzessin, konnte in der warmen Empfindung für eine tief leidende Freundin einen solchen Plan entwerfen, um ihrem Leiden ein Ende zu machen. Daß er der Erfinderin würdig ausgeführt werde, dafür habe ich alle Sorge getragen. Caroline Flachsland hat mir von Eilsen geschrieben, daß sie dort unter einem andern Namen angekommen und sich daselbst in stiller Zurückgezogenheit halten werde, bis sie Weiteres von mir höre. Ich habe sie heute hierhin beschieden, in der Abendstunde ist sie ungesehen hier angelangt. Herder ist mit anderen Herren zu einer Jagdpartie geladen und befindet sich unter meinen Gästen, unter Einem Dach mit Carolinen! Auf die Entwickelung bin ich gespannt … jedenfalls der kleinen Demüthigung meines jungen Consistorialrathes und Hofpredigers mit Behagen entgegensehend! Nicht allein die kühle Zurückhaltung, worin dieser eitle Mann sich meinem offenen, herzlichen Entgegenkommen gegenüber verhält und meinem Hofe, zu dessen Schmuck ich ihn berief, fern bleibt, hat mich gegen ihn eingenommen. Auch sein Betragen gegen seine Braut ist verletzend für mich. Welches Licht wirft es auf einen Souverain, wenn seine hochgestellten Diener und Beamten, wenn seine Consistorialräthe und Hofprediger vorwenden, ihre Braut nicht zum Altare führen zu können, weil der Landesherr sie zu karg besolde, um eine Frau ernähren zu können! Konnte dieser Mann eine größere Undankbarkeit gegen mich begehen, nachdem ich Alles gethan, um ihm seine Stellung so angenehm und so einträglich zu machen, wie ich irgend vermochte? Aber ich glaube, es giebt nichts Undankbareres in der Welt, als einen Dichter binden und sich verbinden zu wollen; nichts, was mehr eine wolkenhaft sich auseinanderwälzende Expansionskraft besäße, als der Dampf in eines Gelehrten Hirn.

Ich werde diesen Brief morgen mit der Erzählung dessen schließen, wie sich die Sache entwickelt.“

Während der Graf diesen Brief schrieb und darin an den Tag, legte, wie sehr auch er, der berühmte Soldat, der Mann der exacten Wissenschaften, der starke, schöpferische Geist, von der Strömung seiner Zeit beherrscht wurde und im Verkehr mit den tonangebenden Menschen seiner Tage dem Banne jener thränenfeuchten Sentimentalität und Verhimmelungssucht verfallen war, worin alle tiefen „Seelen“ von damals sich spiegelten; während dessen, sagen wir, hatte der Consistorialrath Herder – der Graf hat uns des Mannes erlauchten Namen verrathen – sein Thurmzimmer sich angeschaut. Die Dienerschaft brachte sein Reisegeräth herein und verließ ihn dann, des Generals von Bülow Koffer und Gepäck mit sich fortnehmend. Herder sah nichts Auffallendes an dem Raume; er war nicht einmal ein rechtes Thurmzimmer, er stieß nur an den runden Burgthurm und mochte daher den Namen haben.

Das Einzige, was es von gewöhnlichen Zimmern in alten Schlössern unterschied, war, daß es sehr hoch war und über den durch die dicken Mauern gebrochenen auf den Hof hinaus gehenden kleinen beiden Fenstern eine oben an der Wand herlaufende hölzerne Galerie hatte. An beiden Enden führten Thüren auf diese Galerie, eine niedrige links, eine etwas höhere, aber schmälere, von einem breiten Mauerbogen überwölbte rechts in den Thurm hinein.

Im Uebrigen war es mit der Ausstattung von bürgerlicher Bescheidenheit versehen, die ja dazumal auch in Fürstenschlössern noch herrschte. Eine grüne Tapete, eingelegte Möbel mit blankem Messingbeschlag, einige Kupferstiche an den Wänden, ein Bett mit grün- und weißgestreiften Umhängen von Baumwollenstoff … das genügte damals im Landhause eines regierenden Herrn für die anspruchsvollsten seiner Gäste.

Herder warf den schwarzen Frack ab, um seinen bequemen und wärmeren grauen Jagdrock anzulegen, und nahm seinen Hut, um das Schloß zu verlassen. Er wollte draußen noch eine Stunde die Luft der schönen Sommernacht genießen und still mit sich allein seinen Gedanken nachhängen.

Still war es draußen. Alles Leben hatte sich in das Schloß und seine Höfe zurückgezogen; obwohl der Mond aufdämmerte, und ein lauer Abendwind leise die träumenden Wipfel des die Burg einhüllenden Waldes bewegte, obwohl all’ ihren wunderbaren Zauber die Nacht entfaltete: Niemand von diesem kleinen Hofe war dadurch hinausgelockt worden.

Herder wünschte sich Glück dazu, so allein jenen Zauber auf sich wirken lassen zu können. Er durchwanderte die Anlagen; er zog die frische und doch noch so milde Luft, den würzigen Duft des Waldgeruches ein, er sah zur groß und glänzend aufsteigenden Mondesscheibe empor; er beobachtete das Spiel des bläulichen Lichts mit den flüsternd bewegten Blättern und den sanft geschaukelten Seerosen auf den Hexenteichen … aber er war ein wenig unwillig mit sich selbst, daß dies Alles ihn nicht mit jenen Entzückungen erfülle, von denen eine tiefe, schwärmerische, auf der Höhe der Empfindungsfülle jener Zeit stehende Seele sich pflichtschuldigst dabei hätte überströmt fühlen müssen. Daß in solchen Entzückungen nicht das wahre und gesunde Gefühl besteht, kam in ihm nicht zum Bewußtsein, wenn ihm auch die Ahnung davon kam. Zum Bewußtsein aber kam ihm, daß er nicht die Stellung in seinem jetzigen Wirkungskreise gefunden, die ihn auf die Dauer befriedigen und fesseln könne. Der Graf hatte in ihm den geistvollen, in der Aufgangsperiode seines Ruhmes stehenden Mann an sich ziehen, mit dem Egoismus des großen Herrn ihn für sich vorwegnehmen, gesellschaftlich ausbeuten wollen. Herder aber war gekommen mit dem vollen Selbstgefühl, der vollen Ichlebigkeit, die er besaß; er wollte seinem eigenen Leben, seiner geistigen Arbeit nachgehen und er wollte ganz und vollaus seinen Beruf erfüllen. Er wollte als Prediger sich in keine Rücksichten verschlingen lassen, die ihn hinderten, in der Kirche das Wort der Wahrheit zu künden, das Antlitz dem Volke im Schiffe zuwendend, wie den Chorstühlen der Privilegirten und dem fürstlichen Oratorium.

Während Herder diese persönlichen Verhältnisse überdachte, hatte er sich nach langem Auf- und Abwandern endlich ermüdet gefühlt und unfern des Schlosses in der Gegend des obersten Hexenteichs Platz zum Ausruhen auf einer Gartenbank genommen. Er übersah von hier aus einen Theil des Burghauses, das den Hauptbau des kleinen Schlosses bildete, und das obere Stockwerk des sich rechts daran schließenden runden Thurmes. Der Mond stand hell und voll über dem Gebäude … und – Herder rieb die Augen, um dann schärfer hinzusehen – oben auf dem flachen, nur von einem Zinnenkranz umgebenen Dache des Thurmes, das ein oft benutzter Aussichtsstandpunkt war, sah er eine helle weibliche Gestalt, die, zwischen einem Paar der Zinnen, die Hände auf diese gelegt, stille dastand und in die Nacht hinauszublicken schien.

Die Erscheinung war überraschend, doch auch erklärlich; es konnte eine Person vom weiblichen Hofgesinde da oben die Nachtluft genießen wollen. Was für den jungen Hofprediger nur Auffallendes, Aufregendes dabei, das war, daß die Umrisse der Gestalt, ihre Haltung ihn eigenthümlicher Weise an seine Braut erinnerten. Diese Erinnerung war mit keinem Gefühle verbunden, welches seine Stimmung rosiger machte. Sein Verhältniß zu der unglücklichsten Freundin in Riga, aus deren Armen er sich vor zwei Jahren gerissen, und jetzt das zu seiner Braut Caroline Flachsland war nicht so, daß er darin die Ermuthigung zu gesteigertem Selbstbewußtsein sehen konnte. Er hatte mit glühender Seelenschwärmerei Carolinen zu Füßen gelegen und Beide hatten sich ausgiebigst verhimmelt. Aber zarter Frauensinn ist realerer Natur, um aus bloßer Verhimmelung auf die Dauer Befriedigung zu schöpfen. Was der Hofprediger seelenhafter im Sinne idealer Freundschaftshingabe gedeutet sehen wollte, hatte Caroline einfacher und klarer, vielleicht auch ein wenig praktischer aufgefaßt. Der Briefwechsel, den Beide führten, war deshalb eine Quelle unsäglichen Schmerzes für Caroline geworden. Bald von Hoffnungen, bald von Gedanken der Entsagung bewegt, bald neuen Ergüssen der Leidenschaft und dann wieder tiefer Niedergeschlagenheit sich hingebend, befand die Arme sich in einem Zustande rastloser Pein, die verschärft wurde durch die Misère einer höchst drückenden äußeren Lage, worin sie sich befand.

So war das Verhältniß Herder’s zu Caroline Flachsland, die in ihrem Aufenthaltsort Darmstadt an einer unvermählten, am

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_088.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)