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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

der Stall seine Einfassung bildet, zum Schutz des Publicums größtentheils mit eisernen Säulen und Glaswänden umgehen. Tritt der Besucher an das Gitter heran, so bemerkt er gewöhnlich zunächst nichts als die ruhige glatte Wasserfläche. Beide Thiere haben sich – sei es aus angeborener Bescheidenheit oder aus Liebe zu philosophischer Gründlichkeit – auf den Boden des Wassertümpels zurückgezogen. Plötzlich jedoch taucht aus der geheimnißvollen Tiefe ein so ungeschlachter Kopf auf, daß seines Gleichen in der ganzen Natur nicht zu finden ist, außer bei andern Flußpferden. Aus Nasenlöchern und Maul wird die Luft mit gewaltigem Schnauben ausgestoßen, als sei hier das Urbild einer Locomotive vorhanden. Dann saugt das Ungeheuer eine Ladung frischer Luft ein, verschwindet eben so plötzlich unter dem zusammenplatschenden Wasser und die vorige Stille tritt wieder ein. Der Wärter belehrt uns, daß dies das Weibchen des Pärchens war! Wir sind ihm für diesen Wink zu besonderem Danke verpflichtet, denn ohne seine Andeutung hätten wir dieses Wesen nimmermehr zum „schönen“ Geschlecht gerechnet. Eine Zeit lang harren wir erwartungsvoll, da erscheint der Kopf des zweiten Thieres, durch bedeutendere Größe und dunklere Färbung als das Männchen gekennzeichnet. Man hat dasselbe gewöhnt auf den Namen Hermann zu hören. Der dicke Hausherr wiederholt genau dieselben Manöver, welche vorhin seine Schöne ausführte, und verschwindet nach kurzem Verkehr mit der Oberwelt ebenso schnell wieder, als er emportauchte. Jetzt können mehrere Minuten vergehen, ehe die Ruhe der dunkeln Fluth unterbrochen wird. Der Unkundige kann das Bassin mehrere Male umwandeln, ohne das geringste Leben in demselben zu ahnen. Um so mehr wird er dagegen überrascht, wenn jetzt mit einem Male das Pärchen gemeinschaftlich zum Vorschein kommt, wie auf Commando, in rührender Harmonie schnauft und pustet, dann Luft schluckt und – patsch – wieder gemeinschaftlich verschwunden ist. In dieser friedlichen, einförmigen Weise verläuft das Leben des Pärchens den lieben langen Tag hindurch, wenn nicht der Wärter durch Einwerfen von Futter in den Stall die Thiere zum Heraussteigen veranlaßt und hierdurch dem schaulustigen Publicum den vollen Anblick derselben verschafft.

Eine entsprechend breite und starke Treppe, mit derben Querleisten versehen, erleichtert den plumpen Ungethümen das Herausklettern. Zuerst kommt wieder der fast viereckige Kopf zum Vorschein; ihm folgt ein dicker, aufgeschwollener, wulstiger Hals, dann ein Rumpf, der einer ungeheuern lebendigen Walze gleicht und von vier unverhältnißmäßig kurzen und stämmigen Beinen getragen wird. Jetzt ist das ganze Thier sichtbar, arbeitet sich mühsam auf seiner Treppe hinauf und wackelt unbehülflich in den Stall. Hier beginnt es sofort mit urkräftigem Schmatzen seine Mahlzeit.

„Manchmal,“ sagt unser Berichterstatter, „läßt es uns dabei eine Extravorstellung genießen, indem es auf Nilpferd-Weise seine Losung giebt. Dies hat schon damals, als das erste Nilpferd nach London gelangte, viel andächtige Zuschauer gehabt und man konnte in Berichten von da lesen, daß das Thier mittels eines besonderen Muskelapparates seinen Koth im Kreis herumspritze; ebenso fehlte es auch nicht an teleologischen Erklärungsversuchen hierfür. Die letzterwähnte Thatsache ist ganz richtig, der Muskelapparat aber eingebildet, denn die ganze, allerdings höchst sonderbare Erscheinung wird nur dadurch hervorgebracht, daß das kleine, offenbar aber sehr kräftige Schwänzchen mit großer Energie dabei hin und her geschwenkt wird. Im Stall der Amsterdamer Nilpferde wirkt das ganz komisch und unschädlich, dahingegen kann es sehr verhängnißvoll werden, wenn das Thier jenes Experiment etwa im Bassin ausführt, das von einer reichen Menge Zuschauer umstanden ist. Es hält dann wohl, ohne weiter sichtbar zu sein, die betreffende Gegend aus dem Wasser heraus und wehe Denjenigen, die etwa ungewarnt in der Schußlinie stehen.

Unsere Nilpferde waren etwa drei und einen halben Fuß hoch, als sie in Amsterdam ankamen, sie hatten also ungefähr etwas über die Hälfte ihrer vollen Höhe erreicht. Seit jener Zeit haben sie bedeutend an Größe zugenommen, sind jedoch noch lange nicht ausgewachsen. Man erkennt Letzteres auch deutlich an den Zähnen, die zwar eine ganz respectable Größe und Stärke besitzen, jedoch noch lange nicht ihre volle Entwickelung erreicht haben. Der aufgesperrte Rachen selbst eines solchen noch nicht ganz erwachsenen Thieres bietet einen Anblick, der sich mit Worten nicht schildern läßt, und selbst ein Bild, wie das unserige, obgleich ganz treu, kann nicht den Eindruck der Wirklichkeit geben. Er ist ungeheuer und scheußlich zugleich. Man glaubt sich einem riesigen Ungethüm früherer Erdperioden gegenüber und kann sich nur mit Mühe an den Gedanken gewöhnen, daß diese Geschöpfe eine Berechtigung zur Existenz in der Jetztzeit haben. Die Bestien geben jenes Schauspiel sehr oft, denn im Gegensatz zu ihren Collegen in London und in Paris sind sie so zahm, daß sie sich gern vom Publicum füttern lassen. Tauchen sie so, indem sie das Maul schon unter Wasser öffnen, senkrecht aus der Tiefe, so bleibt vollauf genug Wasser im offenen Rachen zurück, um ein einjähriges Kind darin baden zu können. Ein Mann könnte sich ohne Beschwerde hineinsetzen und ein Sitzbad nehmen; die Eckzähne böten sich dabei als treffliche Vorrichtungen zum Anhalten dar.

Mit ihrem Wärter sind die beiden Flußpferde sehr vertraut. Es war diesem ein Leichtes, das Pärchen zum Aufsperren des Rachens zu bewegen, als der Zeichner unseres Bildes einige Studien nach dieser Stellung zu machen wünschte. Sie warteten ruhig und als ganz vortreffliche Modelle, bis ihnen ihr Freund einmal einen Brodbrocken in das begehrliche Maul fallen ließ. Noch besser ging es, als der Wärter, nachdem sein Brodvorrath erschöpft war, mit einem großen Stück Holz den wackern Hermann an der Oberlippe kitzelte. Dieser sperrte dann im übergroßen Wonnegefühl den Rachen womöglich noch weiter auf, als vorher.

Die Nilpferde gehören, wie auch die Elephanten, zu denjenigen Thieren, welche sich schon viele Jahre vor Erreichung ihrer eigentlichen Größe fortpflanzen. Es scheint diese interessante Thatsache noch wenig beachtet, da man sie in den gewöhnlichen naturgeschichtlichen Werken nicht erwähnt findet. In England wurde vor mehreren Jahren ein Elephantenweibchen von nur sechs Fuß Höhe gezeigt, welches ein säugendes Junges bei sich hatte, und die Amsterdamer Nilpferde haben bereits vier Mal Junge geworfen und zwar regelmäßig ein Jahr nach dem andern, jedesmal eins. Leider konnte man die Jungen der ersten drei Würfe nicht aufbringen. Das alte Thier, welches außerordentlich an das Männchen gewöhnt ist, ward von dem letztern abgesperrt, da man hoffte, es werde sich dann um so eifriger des Jungen annehmen. Es ward jedoch im Gegentheil hierdurch unruhig und vernachlässigte das Kleine so sehr, daß man letzteres wegnehmen mußte. Man versuchte das Junge mit Kuhmilch aufzuziehen, füllte letztere in eine große Gummiflasche und ließ das Thier an derselben saugen. Man erhielt auf diese Weise die Jungen einige Wochen lang am Leben, aber auch nicht länger.

Bei dem letzten, dem vierten Jungen, welches im August vorigen Jahres geboren wurde, ist man glücklicher gewesen. Man wendete bei ihm während der ersten Wochen zwar auch die Gummiflasche an, kam aber dann auf ein viel einfacheres Mittel. Die lauwarme, verdünnte Milch schüttete man in einen Napf, ein Wärter, nicht selten auch der Director des Gartens, Herr Westermann selbst, hielt die Hand hinein und das junge Thier saugte dann, indem es die Finger der Hand in’s Maul nahm, in kurzer Zeit die Milch aus. Dieses Tränken ward in Zwischenräumen von drei bis vier Stunden wiederholt und das Thier gedieh dabei vortrefflich. Man setzt jene Abfütterungen selbst die Nacht hindurch in den angegebenen Pausen fort, und es kommt vor, daß der Director, in dessen Zimmer das Thier wohnt und sein besonderes Bassin hat, deswegen dort bleibt, in der Nacht aufsteht und die Tränkung besorgt, – von einem schon bejahrten Manne gewiß eine seltene Aufopferung! In den Kreisen der Thierfreunde Amsterdams betrachtet man diese Aufzucht des jungen Nilpferdes (der erste Fall bei dieser Thierart) als so interessant, daß man von dem Zeichner unseres Bildes die Operation des Tränkens malen ließ, nachdem man ihn deshalb ausdrücklich nach Amsterdam berufen hatte.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_102.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)