Seite:Die Gartenlaube (1866) 107.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

fehlt, da suchen wir auch die Aufopferungsfähigkeit vergebens.“ Er verglich die gegenwärtige Bewegung mit jener der Befreiungskriege, wo die Begeisterung alles Volk vom Greis bis zur Jungfrau und zum Knaben durchdrungen habe, – „und wenn ich auch den Unterschied der Zeiten und Ziele berücksichtige, so bleibt das Eine doch ein schlimmes Zeichen, daß gerade in der Jugend, und besonders im größten Theil der studirenden, das Ideale gescheut, wenn nicht gar belächelt wird.“ Die Schleswig-Holsteiner nahm er aus, die ihren besseren Geist auf den Schlachtfeldern gezeigt hätten und für die er seine Sympathie ja öffentlich genug ausgesprochen hat. Daß er den Bestrebungen des Nationalvereins zugethan war, ist wohl bekannt. „Den Nordamerikanern,“ sagte er im Verlaufe des Gesprächs, „habe ich lange Zeit, als eitel geldmachenden Menschen, trotz des vielen Vortrefflichen ihrer Staatseinrichtungen, nicht viel zugetraut, wenn sie sich einmal in einem großen Kampf bewähren sollten. Jetzt ziehe ich den Hut vor diesem Volke. Es hat sich eben in wahrhaft antiker Großartigkeit gezeigt, daß die Freiheit fähig ist, Menschen zu erziehen, die bei aller materieller Betriebssucht im Frieden, wenn es ihr Höchstes, das Bestehen ihres Staates und ihre Unabhängigkeit gilt, zu bewunderungswürdigem Heldenthum sich aufschwingen können. Daß aber jeder ihrer Feldherren und ihrer Präsidenten nach vollbrachter Pflicht ein Cincinnatus ist, das ist mir das Höchste.“

Vom Schooß der jungen Mutter klang schon lange das liebliche, feine Stimmehen des Enkelkindchens zum Großvater herüber, und die Aermchen arbeiteten um so eifriger, je eifriger dieser sprach. Vor der Hand bestand das ganze Wörterbuch des fröhlichen Kindchens aus „Het-het-het!“ und doch drang diese einfachste Sprache so wirksam in die Herzen, daß die ganze Gesellschaft ihm lauschte. Und wie nun gar der glückliche Großvater! Da mußte ein Bißchen geherzt und gekost werden. Und welche Aeuglein leuchteten aus dem lieben Gesichtchen! Die vier Augen, die sich jetzt so selig anlachten, verriethen ihre Verwandtschaft deutlich genug.

Indeß war die Mittagszeit herangekommen, der Regen schlug noch kräftiger, als vorher, an die Fenster, er hatte sich, wie der Volksmund sagt, „völlig eingelegt“. Wir mußten da bleiben. Die Gesellschaft zerstreute sich, die Frauen halfen zur Herrichtung des Mittagstisches. Ich war mit Rückert bis zum Beginn der Mahlzeit meist allein.

Wie früher schon oft, lenkte sich unsere Unterhaltung auf einen uns Beiden theuren Mann, der Rückert’s Jugendgenosse und mir ein väterlicher Freund gewesen war, auf Karl Barth.

Den meisten Lesern der Gartenlaube wird dieser Mann vielleicht kaum dem Namen nach bekannt sein, obwohl er erst 1853 gestorben ist und in seiner Blüthezeit zu den besten Kräften seines Faches gehörte. In Rückert’s Gedichten steht folgendes Ghasel „an den Gevatter Kupferstecher Barth“:

„Wenn Du Dich gestochen müd’ am Stechtisch,
     Wie ich mich gesprochen matt am Sprechtisch,
Laß uns sitzen, sprechen und ausstechen
     Reinen Rheinweins eine Flasch’ am Zechtisch.
Freien Künsten stehen wir zu Diensten;
     Laß uns ihnen dienen nicht zu knechtisch!“

Dieser Künstler gehörte zu den seltenen Menschen an Begabung und an Charakter. Nur ein halbes Jahr älter, als Rückert, rief er 1812 in Frankfurt a. M. mit seinen damaligen Strebegenossen Cornelius, Xeller und Amsler die Idee einer nationalen Kunsterhebung in’s Leben und traf im Frühling 1817 mit Rückert in Rom zusammen. Dem dort geschlossenen Freundschaftsbunde sind Beide durch das ganze Leben treu geblieben. Später ließ er sich in Hildburghausen nieder, wo ich ihn achten und bewundern lernte. Nach seinem Tode – der ein gewaltsamer war: zu Guntershausen stürzte er sich in einem Anfall von Irrsinn aus einem Fenster und starb zu Kassel – erzählte man ein seltsames Begegniß zwischen ihm und dem Papst Pius dem Siebenten. Ich hatte es damals als Stoff zu einem Gedicht benützt, kam aber auf diesen Vorgang, den Barth selbst als ein heiliges Geheimniß bewahrt hatte, jetzt zurück, da ich gern Genaueres darüber erfahren hätte.

„Es war wohl ein tiefergreifender Augenblick, doch kann ich mich nicht mehr entsinnen, welche von den zahlreichen jungen Leuten, die wir damals in Rom zusammenlebten, dabei waren. Wir Schriftsteller, Wilhelm Müller, der Schwede Atterbom und ich, hielten uns zu den Künstlern, unter denen viele später weltberühmte Namen waren, wie Thorwaldsen, Overbeck, Amsler und selbst Cornelius. Barth war aber von Allen als der regsamste Geist anerkannt und hieß deshalb „der Wecker“. – Eines Tages schlenderte nun Barth mit einigen seiner deutschen Kunstgenossen, die man damals an ihrer Tracht, dem sogen. altdeutschen Rock und dem Barette sogleich als solche erkannte, die Via di San Croce entlang, als sie schon in der Ferne an der Bewegung der Menge bemerkten, daß ihnen Pius der Siebente von der Kirche Santa Maria Maggiore her entgegen komme. Da bei solchen Gelegenheiten der Papst dem Volke der Straße stets seinen Segen ertheilt, so weichen die Nichtkatholiken klugerweise solchen Acten nach irgend einer Seitengasse aus. Dies thaten jetzt auch Barth’s Genossen; nur er selbst war anderer Meinung. Er sprach: ‚Ei, was kümmert mich der Papst? Ich will sehen, wer mich hindert, ruhig meines Weges zu gehen.‘ Und so that er. Bald aber war er so dicht von Knieenden und von immer drohender Murrenden umgeben, daß er stehen bleiben mußte. So stand er denn, noch immer trotzig das Barett auf dem Haupte, da, als der päpstliche Zug nahte. Als Pius der Siebente bis zu dem einzig Dastehenden und Hauptbedeckten herangekommen war, blieb auch er stehen und blickte ihn lange an. Dann sprach er zu ihm in mildem Ton: ‚Mein Sohn, wenn Du auch einem Glauben angehörst, welcher den Segen des Papstes verschmäht, so wird Dir doch der Segen eines Greises nicht schaden.‘ – Da sank Karl Barth in die Kniee und hielt das Barett vor die weinenden Augen, und Pius der Siebente segnete ihn als Greis, nicht als Papst.“

Wir schwiegen Beide, im Geist bei dem Bilde des armen Dahingeschiedenen. Erst nach einer Weile fuhr Rückert fort: „Sie wissen, daß Barth nicht fähig war, diesen Trotz gegen eine religiöse Sitte aus einem unlauteren Beweggrund auszuführen. Er that es aus der innersten Wahrhaftigkeit seines Wesens; des Papstes wegen die Straße meiden, hieß ihm so viel, als vom geraden Wege abweichen aus Feigheit oder Falschheit. Und ebenso war es nicht Schwachheit, die ihn vor dem Papst niederwarf, sondern die Wahrhaftigkeit seines Herzens gebot es ihm und er folgte ihr mit dem offenen Geständniß seiner Thränen. Ja, er war ein wunderbarer Mensch und verdiente wohl, daß auch die Gegenwart ihn recht genau kennen lernte: sie hat ihm Wenige an die Seite zu stellen.“

Rückert’s Freundschaft hatte offenbar in Barth auch den Dichter geweckt. Niemand hatte Rückert’s Werke gründlicher studirt, als er. In stundenlangem, gewandtestem und klarstem Vortrage, aber nur im Freundeskreise, konnte er über die Gesammt-Idee von Rückert’s Wirken, wie über jedes einzelne seiner Werke, jedes einzelne Gedicht reden, daß wir’s sehr oft bitterlich beklagten, daß dies Alles nur so verflog und nicht dem ganzen deutschen Volke zu Gute kommen konnte, wie es dessen würdig gewesen wäre. Und diese Begeisterung für den Dichter ward in ihm selbst zur Poesie. Als er den jüngsten Theil der „Oestlichen Rosen“ gelesen hatte (1822), schilderte er den Eindruck in einem längeren Gedichte, dessen Nachschrift mit der Strophe schloß:

„Ich dankte Gott ob solchem Hall,
Der Nacht zum Tage lichtet:
Schön ist’s doch auf dem Erdenball,
So lang’ so Einer dichtet!“

Und als ich 1853 Barth den „Weihnachtsbaum“ widmete, that ich’s mit einigen sich diesem schönen Gedanken anschließenden Versen, ohne zu ahnen, wie schon kaum mehr als zwölf Jahre später Beides vereint volle Geltung für den Mann haben solle, dessen Hausbilde wir diese Zeilen weihen: für Friedrich Rückert:

„Einst hat das beste Wort für Dich
Dein Freund an Dich gerichtet:
Wohl freuet man der Erde sich,
So lang’ so Einer dichtet!

Du standest auf der Menschheit Höh’n!
Seit Dein Geist uns entschwebte,
Da fühlen wir’s: wie war es schön,
So lang’ so Einer lebte!“

Wir müssen hier abbrechen; in einer der nächsten Nummern kehren wir noch einmal zu dem Haus des Dichters zurück, leider nicht blos zu erhebenden Erinnerungen, sondern hauptsächlich einer Versündigung wegen, mit welcher sich in jüngster Zeit die Presse am Heiligthum dieses Hauses vergangen hat.



Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_107.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)