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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

No. 9.

1866.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Goldelse.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


Ueber die Stirn der Baronin flammte es abermals dunkelroth. Aber sie bezwang sich. „Mein Gott!“ rief sie, um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, „da habe ich über der dummen Geschichte ganz und gar vergessen, zu sagen, daß Emil von Odenberg herübergekommen ist. Er war zu Pferd, ist sehr naß geworden und wechselt gegenwärtig seinen Anzug… Darf er seine Auswartung machen?“

Eine hohe Gluth flog über Helenens Wangen, und aus ihren Augen brach ein leuchtender Strahl des Glückes. Allein sie sagte kein Wort, sondern senkte das Gesicht tief herab, um die Zeichen ihrer inneren Erregung zu verbergen.

„Gewiß,“ erwiderte Herr von Walde. „Beabsichtigt er, länger hier zu bleiben?“

„Einige Tage, wenn Du es erlaubst.“

„Ganz recht… Nun, wir werden ihn ja bei Dir sehen, wenn wir zum Kaffee kommen.“

„Er wird sehr glücklich sein… Wenn es übrigens gefällig ist, so kann die Uebersiedelung sogleich vor sich gehen; denn meine Kammerfrau meldete mir, als ich aus dem Wagen stieg, daß Alles zum Empfang meiner lieben Gäste bereit sei.“

Hier erhob sich Elisabeth und rüstete sich zum Fortgehen. Herr von Walde, der dies bemerkte, richtete einen fragenden Blick auf die Baronin. Ohne Zweifel erwartete er, daß sie das junge Mädchen auffordern würde, mitzukommen; die Dame fand jedoch in diesem Augenblick, daß der Gärtner den Blumentisch im Fenster diesmal doch zu reizend arrangirt habe, und vertiefte sich förmlich im Anschauen einer Gruppe Azaleen, wobei sie dem jungen Mädchen den Rücken zukehrte.

Elisabeth verabschiedete sich mit einer tiefen Verbeugung, nachdem Helene ihr mit unsicherer Stimme, aber in herzlicher Weise gedankt hatte. Draußen im Corridor kam ihr Herr von Hollfeld entgegen. Bei ihrem Anblick verdoppelte er seine Schritte; zugleich fuhr sein Blick wie ein Blitz nach allen Seiten hin, als wolle er sich versichern, daß kein Lauscher in der Nähe sei. Ehe sie sich dessen versah, hatte er Elisabeth’s Hand erfaßt, drückte einen glühenden Kuß auf dieselbe und flüsterte: „Wie glücklich bin ich, Sie wiederzusehen!“

Elisabeth’s Betroffenheit war so groß, daß sie im ersten Augenblick keine Worte finden konnte. Sie zog aber schnell, als sei sie gestochen worden, ihre Hand zurück, und er schien sehr damit einverstanden zu sein; denn Helenens Zimmer wurde in dem Augenblick geöffnet, und Herr von Walde trat heraus. Hollfeld nahm, als sähe er erst in diesem Augenblick Elisabeth, den Hut leicht vor ihr ab, wobei seine Züge wieder einen völlig fremden Ausdruck hatten, und ging seinem Verwandten entgegen.

Elisabeth war außer sich über diese Komödie. Zuerst die empörende Vertraulichkeit, die ihr das Blut wallen machte vor Entrüstung, und dann die Verleugnung derselben vor dritten Personen. Ihr Mädchenstolz war tief verwundet. Sie schalt sich, ihn nicht auf der Stelle hart angelassen und seine Dreistigkeit gerügt zu haben. Eine helle Röthe stieg ihr in das Gesicht aus Scham darüber, daß ein Mann in der Weise sie berührt hatte … es war ihr, als brenne die Stelle noch, auf der die heißen Lippen geruht; sie ließ eilends den Strahl einer Fontaine im Park über ihre Hand sprühen, um den vermeintlichen Flecken wegzuspülen.

In großer Aufregung kam sie nach Hause und klagte der Mutter unter Thränen des Unwillens die ihr widerfahrene Beleidigung. Frau Ferber war sehr verständig und besaß einen ruhigen, klaren Blick. Sie erkannte sofort aus Elisabeth’s Entrüstung, daß hier nicht die mindeste Gefahr für das Herz ihres Kindes zu befürchten sei, und war beruhigt. Aeußere Anfechtung ließ sich abwehren, nicht aber der Jammer, den eine unglückliche Neigung heraufbeschwört.


9.

Am andern Nachmittag war Elisabeth eben im Begriff mit dem Nähkorb in den Garten zu gehen, als am Mauerpförtchen geläutet wurde.

Im Hinblick auf die gestrige Scene war ihre Verwunderung wohl sehr begründet, als sie beim Oeffnen der Thür Bella vor sich sah. Hinter der Kleinen standen Miß Mertens und der Herr, mit dem sie neulich Abends die Begegnung gehabt hatte. Bella reichte ihr beim Eintritt sogleich die Hand, machte aber ein scheues, verlegenes Gesicht und sagte kein Wort. Elisabeth errieth jetzt, sehr erstaunt, den Grund ihres Kommens und suchte ihr über das Peinliche der Situation hinwegzuhelfen, indem sie ihre Freude aussprach, die Kleine in ihrem Heim begrüßen zu können, und sie aufforderte, mit in den Garten zu kommen. Allein Miß Mertens trat vor.

„Machen Sie es Bella nicht so leicht, Fräulein Ferber,“ sagte sie. „Es ist ihr ausdrücklich anbefohlen worden, Ihnen der gestrigen Unart wegen Abbitte zu thun … ich muß darauf bestehen, daß sie spricht.“

Diese mit großer Bestimmtheit gesprochenen Worte, mehr

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_129.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)