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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Buonaventura Genelli.




ihn später den Mißgriff bitter bereuen lassen, infolge dessen ein unbedeutendes Mädchen in sein streng verschlossenes Innere einen Blick werfen durfte… Dieser Gedanke trieb ihr das Blut in die Wangen, sie erhob sich schnell und rief Ernst zu sich. Herr von Walde wandte überrascht den Kopf nach ihr, und sein Auge ruhte einen Augenblick forschend auf ihrem Gesicht; dann verließ er gleichfalls die Bank und stand, als wolle er ihre Annahme bestätigen, plötzlich in seiner ganzen, stolzen Ruhe und Gelassenheit vor dem jungen Mädchen; aber jener düstere, schwermüthige Zug zwischen den Augenbrauen, den der Vater schon beobachtet hatte, fiel ihr zum ersten Male auf und machte ihr denselben Eindruck wie vorher seine Stimme.

„Sie sind gewöhnlich sehr flink im Denken,“ sagte er, sichtbar bemüht, einen leichteren Ton anzuschlagen, und langsam neben Elisabeth herschreitend – sie ging, um Ernst zu holen, der ihren Ruf nicht gehört hatte – „noch ehe man einen Satz völlig geendet hat, sieht man an Ihrem Auge, daß Sie die Antwort bereits auf den Lippen haben. Ihr Schweigen in diesem Augenblick sagt mir also, daß ich vorhin Recht hatte, als ich annahm, Sie würden mich nicht verstehen, weil Sie noch nichts vermissen.“

„Der Begriff von Glück ist so sehr verschieden, daß ich in der That nicht wissen kann –“

„Den Begriff haben wir Alle gemein,“ unterbrach er sie. „In Ihnen schlummert er nur noch.“

„O nein!“ rief sie, ihre Zurückhaltung vergessend, lebhaft und erstaunt, „ich liebe die Meinen von ganzem Herzen und habe das beseligende Bewußtsein, daß ich wieder geliebt werde!“

„Ah, also haben Sie mich doch nicht ganz falsch verstanden! … Nun, und die Ihrigen … das ist wohl ein sehr großer Personenkreis, den Sie da in Ihr Herz schließen müssen?“

„Nein,“ rief sie lachend, „die sind schnell zusammengezählt! Meine Eltern, der Onkel und dieses kleine Menschenkind hier,“ sie nahm den herbeilaufenden Ernst bei der Hand, „das sich sehr breit macht und mit jedem Jahr mehr Terrain erobert… Jetzt müssen wir aber fort, mein Junge,“ sagte sie zu dem Kleinen, „sonst ängstigt sich die Mama.“

Sie verbeugte sich leicht vor Herrn von Walde, es kam ihr vor, als sei der Schatten auf seiner Stirn plötzlich wieder verschwunden. Er zog höflich den Hut vor ihr und reichte Ernst die Hand; dann schritt er langsam hinüber zu dem Pferd, das ungeduldig stampfte, faßte den Zügel und führte es fort.

(Fortsetzung folgt.)



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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_133.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)