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(frappez donc un coup général!)“ Nun, der „Wächter des Gesetzes“ sollte nicht länger auf solche von ihm geforderte Generalschläge zu warten haben. Sie geschahen unter seinen eigenen Augen und unter denen seiner beiden Collegen Cadroy und Isnard. An demselben 10. Mai, an welchem Chambon über die Langsamkeit der gerichtlichen Formen seufzte, machte sich eine Bande von Jehuiten und Sonnenburschen aus Marseille nach dem fünf Stunden entfernten Aix auf, mit dem laut ausgesprochenen Entschlusse, die dortigen mit „Jacobinern“ angefüllten Gefängnisse zu säubern (purger). Die Mörder marschirten zu Fuße, weshalb es den Herrn Chambon, Cadroy und Isnard leicht gewesen wäre, dieselben mittels Inmarschsetzung von Cavalerie, welche sie in Marseille zur Hand hatten, zu überholen. Allein die Herren Thermidorier, mit deren Herrschaft ja, wie die „correcte“ Geschichtslüge lautet, die Menschlichkeit in Frankreich wieder zur Geltung kam, dachten gar nicht daran, Leuten, welche die beseufzenswerthe „Langsamkeit der gerichtlichen Formen“ etwas beschleunigen wollten, ein Hinderniß in den Weg zu legen. So „purgirten“ denn die Gesellschaftsretter von damals am 11. Mai 1795 zu Aix tüchtig darauf los. Das mörderische Trauerspiel zerfiel hier in zwei Acte. Im ersten wurden neunundzwanzig Gefangene abgeschlachtet, im zweiten vierundvierzig, worunter zwei Frauen. Die eine derselben, Madame Fassy, stillte gerade ihr vier Monate altes Kind, als die ritterlichen Kämpen für Thron und Altar in das Gefängniß drangen. Man entreißt ihr den Säugling, streckt sie mit einem Pistolenschuß nieder, zerstampft das Kind vor den Augen der sterbenden Mutter und reißt dann die noch Athmende förmlich in Stücke. Einer der Gefangenen hatte in der Todesangst den gescheidten Einfall, den Mördern zuzuschreien: „Ich bin kein Jacobiner, sondern ein Falschmünzer!“ Er wurde verschont. Der Chef der Jehuiten bei dieser Expedition, ein gewisser Rolland, erfreute sich des vertrauten Umgangs mit dem Conventscommissär Chambon, speiste an dessen Tafel und fuhr in dessen Wagen.

Aehnliche Schlächtereien wie in Lyon und Aix fanden statt in Avignon, in Nimes, in Ile, in Sisteron, in Toulon, in Montélimart, in Saint-Etienne, in Montbrisson, in Bourg, in Lonsle-Saulnier und anderen Orten. Ausgezeichnet durch grausames Raffinement war das Verfahren der Mörder am 24. Mai zu Tarascon. Nachdem sie der gefangenen Republikaner in dem Gefängnißthurm, der auf einem hohen Felsen am Ufer der Rhone stand, sich bemächtigt hatten, wollten sie sich mit der bloßen Abschlachtung derselben nicht begnügen, sondern noch dazu ein Schauspiel geben und genießen. Zur Bequemlichkeit der Zuschauer waren längs der Straße, welche von Tarascon nach Beaucaire führt, Stühle und Bänke hingestellt und bald besetzt, insbesondere von Priestern und von Frommen. Dies geschehen, wurden vierundzwanzig Gefangene, einer nach dem andern, von den Zinnen des Thurmes auf die Uferfelsen herabgestürzt, und wenn die Glieder der Unglücklichen an den Klippen zerrissen und zerschellten, brachen die Zuschauer in cannibalische Beifallsbezeigungen aus. Die Behörden der Stadt nannten den ganzen Gräuel in ihrem amtlichen Bericht einen „verdrießlichen Vorgang“, wobei jedoch „nur“ vierundzwanzig Gefangene „verloren gegangen seien“. Dies war geradezu ein Wink für den weißen Schrecken, das Versäumte nachzuholen. Er that es, indem er am 20. Juni abermals in Tarascon „arbeitete“ und noch weitere dreiundzwanzig Gefangene, worunter zwei Frauen, mordete.

Fünfzehn Tage zuvor, am 5. Juni, hatte der Mord für Thron und Altar zu Marseille im großen Style gearbeitet. Hier war der Pintenwirth Robin der General der Jehuiten und Sonnenburschen, welche mit dem Commandanten des Fort Saint-Jean und mit dessen Secretair in vertrauten Beziehungen standen. Der Commandant hieß Pagès, der Secretair Manoly, und Beide waren als leidenschaftliche Contrerevolutionäre bekannt. Dessenungeachtet und obgleich ebenfalls allgemein bekannt war, daß die Jehuiten das Leben der politischen Gefangenen bedrohten, womit das Fort angefüllt war, ließ der Conventscommissär Cadroy die genannten beiden Herren in ihren Stellungen, als wollte er der Mörderrotte die Wege möglichst ebnen. Sie zögerte daher nicht, dieselben zu betreten. Um acht Uhr Abends am bezeichneten Junitage waren die Sonnenkinder im Fort Saint-Jean und an der „Arbeit“, nachdem der Commandant dafür gesorgt hatte, die Gefangenen ja recht vollständig wehrlos zu machen, indem er ihre Kleider durchsuchen und ihnen sogar die Federmesser und Nägelscheeren wegnehmen ließ.

Es saßen damals, noch von der rothen Schreckenszeit her, auch zwei Prinzen im Fort Saint-Jean gefangen, der Herzog von Montpensier und der Graf von Beaujolais, Söhne des Duc d’Orleans-Egalité. Sie waren Ohrenzeugen, zum Theil, vom Fenster ihres Gefängnisses aus, auch Augenzeugen der gräßlichen Schlächterei und Montpensier hat in seinen Memoiren schaudernd davon erzählt. Er bezeugt ausdrücklich, daß die Jehuiten lauter gut und modisch gekleidete, meist junge Männer gewesen seien, und er konnte sich dieselben aus nächster Nähe betrachten, da ein Dutzend in die Kerkerzelle der prinzlichen Brüder eindrang, um daselbst den Commandanten und dessen Adjutanten, die sich zum Scheine hatten gefangen nehmen lassen, zu verwahren. Die gefangenen und dem Tode bestimmten Republikaner waren in verschiedenen Abtheilungen in den Casematten des Forts eingepfercht. „Wir hörten,“ erzählt der Prinz, „die Pforte eines der Kerker im zweiten Hofe einschlagen und sofort vernahmen wir Rufe des Entsetzens und herzzerreißendes Geröchel, übertönt von wildem Freudengejauchze, so daß uns das Blut in den Adern erstarrte.“

In der ersten Casematte, welche sie erbrochen hatten, schlachteten die ritterlichen Kämpen für Thron und Altar fünfundzwanzig Gefangene ab. Es muß eine wahre Höllenbreughel-Scene gewesen sein, dieses beim Schein von etlichen Fackeln unter der düsteren Wölbung der Casematte vollbrachte Gewürge. Das beklagenswertheste der Opfer war ein blutjunger Mann, welcher, in der Armee an der Grenze für sein Vaterland fechtend, mit Urlaub nach Marseille geeilt war, um seinen gefangenen Vater zu besuchen, und sich nun gerade bei diesem befand. Die Mörder erschlugen den Greis erst, nachdem sie ihm den Sohn in den Armen erdolcht hatten.

Zwei volle Stunden wirthschaftete die Mordbande ganz nach Belieben in den Räumen von Saint-Jean. Und wo war und was that inzwischen Monsieur Cadroy, der Repräsentant des thermidorischen „Regiments der Menschlichkeit“? Er ging harmlos und friedsam in den Straßen von Marseille spazieren. Noch mehr, er hatte dem Platzcommandanten der Stadt, welcher Generalmarsch schlagen lassen und eine Compagnie Grenadiere zum Schutze der Gefangenen in das Fort schicken wollte, Beides untersagt. Um sieben Uhr Abends brüllten in Saint-Jean Kanonen. Die Jehuiten waren daran, mit Kartätschen durch die Thoröffnung eines der Gefängnisse zu feuern. Auch warfen und schoben sie, wie der Herzog von Montpensier berichtet, Pakete angezündeten Schwefels und Bündel entflammten Strohes durch die Luftlöcher der Casematte, um die unglücklichen Insassen zu ersticken.

Endlich, um halb neun Uhr, erschien Cadroy, welchem der Platzcommandant der Stadt keine Ruhe mehr gelassen hatte, mit seinen beiden soeben aus Toulon gekommenen Collegen Chambon und Isnard im Fort, d. h. zunächst vor der Zugbrücke, welche die Jehuiten aufgezogen hatten. Als sie, von einer ausreichenden Anzahl von Grenadieren und Husaren gefolgt, befahlen, daß die Zugbrücke niedergelassen werden sollte, und der Ruf: „Da sind die Volksrepräsentanten!“ erscholl, schrie einer der Sonnenburschen: „Ich kümmere mich den Teufel um sie! Kommt, Cameraden, an’s Geschäft! Wir werden bald damit fertig sein.“ Indessen wurde doch die Zugbrücke niedergelassen und die Conventsdeputirten betraten die blutdampfende Mordstätte. Dem Bericht des Herzogs von Montpensier zufolge hätten sie es gethan mit dem an die Mordbuben gerichteten Zuruf: „Im Namen des Gesetzes, laßt ab von dieser gräßlichen Schlächterei! Hört auf, euch einem gehässigen Rachegefühle hinzugeben!“ Allein es ist wohl zu bemerken, daß der Prinz dieses nicht als Augen- und Ohrenzeuge, sondern nur vom Hörensagen meldet. Dagegen ist durch actenmäßig feststehende Zeugenaussagen eine erdrückende Wucht von Schuld auf Cadroy’s Haupt gehäuft. Als der thermidorische Conventscommissär den inneren Hof des Forts betrat, wo die Cantine sich befand und wo das Würgegeschäft noch immer fortging, rief er den Mördern zu: „Was macht ihr für einen Lärm? Könnt ihr, was ihr thut, nicht geräuschlos thun? Hört auf, zu schießen! Das macht Lärm und bringt die Stadt in Alarm.“ Dann trat er in die Cantine mit den Worten: „Sonnenkinder, ich bin an eurer Spitze; ich werde, wenn es sein muß, mit euch sterben. Aber hattet ihr nicht hinlänglich Zeit zu eurem Geschäfte? Hört jetzt auf,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 283. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_283.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)