Seite:Die Gartenlaube (1866) 310.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

er empfand seine Gesunkenheit mit tiefer Betrübniß; hätte es ihn auch nicht gerührt und erschüttert, daß Cornelie ihm, dem Flüchtigen, Leichtfertigen, Unwürdigen, ihr Herz so lange treu bewahrt hatte, das allem würde ihn zu ihr zurückgeführt haben, daß er das Bedürfniß eines feineren, besser gesitteten und höhergebildeten Umgangs, daß er das Bedürfniß der Rückkehr in die Welt der Bildung, in die Gemeinschaft mit Wissenschaft, mit Kunst und Poesie und dem Leben der Nation fühlte. Cornelie und ihr Vater boten ihm die Hand zur Rettung, und eben im Zusammensein mit ihnen wurde ihm recht fühlbar, wie viel er entbehrte. Da er aus alter Gewohnheit gern mehr brauchte, als er hatte, und seine Einnahme keine glänzende war, so befand er sich stets bei der Casse der Truppe in Vorschuß und man zahlte ihm gern diese Vorschüsse, um ihn an die Gesellschaft zu fesseln. Günther bot ihm Geldmittel, sich davon zu befreien, er stellte sie ihm auch zur Verfügung, falls er derselben bedürfen sollte, um sich von andern Verbindlichkeiten – er meinte das Verhältniß zu Julien – zu lösen.

An demselben Abend erfuhr diese, daß ihr Geliebter heimlich längere Zeit in einem großen Gasthof bei einem alten Herrn und einer jungen Dame verweilt hatte, welche in den besten Zimmern wohnten; sie stellte sich daraus ohne große Schwierigkeiten etwas zusammen, was dem Richtigen sehr nahe kam; ihre Vermuthungen befestigten sich, als Turn den Besuch wiederholte und darauf seinen Vorschuß zurückzahlte und als er sich gegen sie selbst immer verschlossener zeigte und mit einem Ungestüm benahm, welches allzudeutlich merken ließ, daß er gewissermaßen sein eigenes Gefühl oder Schuldbewußtsein damit zu unterdrücken suchte. Eine Kennerin, wie sie war, hütete sie sich wohl, ihre Vermuthungen zu äußern, bezwang das beleidigte Gefühl der Liebenden, schmiegte sich in die Launen und Unarten unseres Freundes und bewies eine Unterwürfigkeit, Geduld und Zärtlichkeit, die das kälteste Herz gerührt hätten. Aber Turn fühlte sich von dieser Liebenswürdigkeit nur noch beengter und gedrückter, denn er wollte und mußte sich ja den Verhältnissen entziehen, in denen er lebte, und es wurde ihm schwer genug, seiner Neigung zur schönen Julie für immer zu entsagen. Er wußte es ihr nicht Dank, daß sie es ihm durch ihre Freundlichkeit noch erschwerte. Nach ein paar Tagen quälender Unschlüssigkeit beschloß er, klar herauszusprechen, und kündigte ihr mit möglichster Schonung seine Absicht an, aus der Truppe zu scheiden. Er stellte ihr vor, wie er das Leben und den Beruf eines Gauklers verabscheue und nicht länger erträglich finde, sich einer andern, einer Geist und Gemüth beschäftigenden Thätigkeit zuwenden wolle und deshalb von der Gesellschaft und von ihr sich trennen müsse; die Trennung von ihr falle ihm sehr schwer, denn seine Liebe zu ihr sei nicht erloschen, aber es müsse geschieden sein, wenn er nicht der Verzweiflung verfallen solle.

Julie erschrak; es erneuerte sich der Auftritt, den ich vorhin geschildert habe, diesmal jedoch gewaltsamer, als damals. Es dünkte ihr unmöglich, von ihm getrennt zu leben; sie hatte sich wirklich nach und nach so ganz von ihm abhängig gemacht, daß sie den Gedanken gar nicht fassen konnte. Wie er an ihr einen Mangel feiner und tieferer Bildung störend empfand, so fühlte sie sich dagegen durch ihn und seine höhere Bildung gehoben und in ihrem besseren Wesen gefördert; für sie war die Liebe nicht blos wie bei jedem Weib eine innerliche Vertiefung, sondern auch ein Emporsteigen in der menschlichen Gesellschaft. Es half nichts, daß er ihr vorstellte, in’s Nothwendige müsse man sich fügen; sie sah auch das Bild einer Andern vor sich, um deren willen sie aufgegeben werde. Als er fest blieb, warf sie sich fassungslos zu seinen Füßen, umklammerte seine Kniee und bat ihn, er möge sie nicht unglücklich machen, sie könne nicht von ihm lassen; er solle sie mit sich nehmen, wohin es sei.

Da wurde es unserm guten Turn wieder zu tragisch, er schwankte; es stand zwar fest bei ihm, daß er sich von der Truppe trennen müsse, aber er wollte es auf einem andern Wege versuchen. Konnte er auf Günther’s Unterstützung noch einen Anspruch machen, wenn er die Tänzerin mit sich nahm? Da schrieb er mir, schilderte den Stand der Dinge und bat mich, ihm, wenn es mir irgend möglich, eine Stelle, so gering sie auch sein möge, und sei es nur ein Schreiberämtchen, zu verschaffen oder wenigstens nachzuweisen; aber es müsse schnell geschehen. Er wendete sich damit an Einen, dessen Können beim besten Wollen zu schwach war, denn mein Einfluß reichte nicht weit. Ich versuchte indessen alles Mögliche, ging zu Dem und Jenem, bei dem ich auf Bereitwilligkeit hoffte, höheren Staatsbeamten und Vertretern von Banken und größeren Instituten, stellte meinen Schützling in effigie vor und beschwor sie, einen fähigen Menschen vom Untergange zu retten. Aber Jeder, der eben ein Stellchen offen wußte, – die Meisten wiesen mich gleich ab, – verlangte Zeugnisse – und die besaß ich nicht – und die Bescheidensten und Gutmüthigsten wollten wenigstens, da ich keine Zeugnisse vorlegte, erfahren, wer und was der edle Mensch eigentlich sei, für den ich petitionire; wenn ich dann stammelte: ein – Künstler, so spannten sie hoch auf, und wenn ich mich weiter expliciren mußte: ein – Akrobat, ein Ringer und Springer, so lachten sie mich aus und schickten mich fort.

Nachdem ich auf diese Weise hinreichend kalten Angstschweiß vergossen hatte, antwortete ich dem armen Turn, daß ich trotz aller Anstrengungen seinen Wunsch nicht erfüllen könne.

Was nun geschah, kann ich nicht mit derselben Gewißheit hinstellen, als das, was ich bisher erzählte; denn es fehlen mir dafür eigene Mittheilungen unseres Freundes. Der schöne Fritz gerieth beim Empfange meines Briefes in die äußerste Bedrängniß. Was nun beginnen? Sollte er sich doch noch an Günther wenden? Unmöglich konnte er ihm zugleich die Sorge für seine Geliebte aufbürden. Sollte er Julien noch einmal sagen, wie es stand, und sich offen von ihr trennen?

Unser guter Fritz war schwach. Er fürchtete Thränen und Zärtlichkeiten von der einen Seite, wenn er das Wort der Trennung ausspräche, und Verletztheit, Zurückbeben und selbst Verachtung von der andern Seite, – wenn er sein Verhältniß zu Julien bekennte. Je länger sein Zwiespalt dauerte, je mehr er daran dachte, was er sein könnte und was er wirklich war, um so werthvoller und nothwendiger schien ihm das, was er entbehrte; die Sphäre feinerer Bildung wurde ihm zu einem Paradies des Zauberhaften, und in diesem Zauberlande trat die Gestalt der reinen und standhaften, durch und durch jungfräulichen Cornelie wie von Strahlenglanz umgeben vor seine Phantasie. Da beschloß er endlich, hinter Juliens Rücken Günther’s Hand zu ergreifen und heimlich zu entweichen.

Das mußte aber behutsam ausgeführt werden, denn er kannte den argwöhnischen Sinn und die scharfen Augen seiner Schönen. Das sicherste Mittel, ihre Aufmerksamkeit einzuschläfern, schien ihm zärtliche Beflissenheit und freundliche Heiterkeit, und so liebenswürdig wie jetzt hatte er sich noch kaum im Anfange seiner Bewerbung gezeigt.

Aber das war gerade das schlechteste Mittel, das er wählen konnte, denn Fräulein Julie besaß Verstand genug, diese Zärtlichkeit verdächtig zu finden und etwas Besonderes dahinter zu suchen. Ihr Verdacht nahm zu und wurde zur Gewißheit, als sie durch einen Zufall, welchen der Leichtsinn unseres Freundes möglich machte, eine Antwort Günther’s entdeckte, deren Inhalt Unterhandlungen bestätigte, und als ein Kundschafter ihr berichtete, daß Turn an der Post einen poste restante-Brief in Empfang genommen habe. Sie erfuhr eines Tags noch mehr: Günther war an einem anderen Platze offenbar verabredetermaßen mit unserm Freund zusammen getroffen und Günther’s letztes leises Wort war gewesen: „also übermorgen Mittag mit dem Schnellzuge.“

Sie zweifelte nicht daran, daß diese Heimlichkeiten einen wichtigen Zweck hätten. Sie machte einen Versuch, den Geliebten zur Offenheit zu bewegen, – ohne Erfolg, – sie warf ihm geradezu vor, er sinne auf Untreue; sie flehte mit leidenschaftlicher Inbrunst, er möge sie nicht verlassen; sie erinnerte jetzt daran, was sie ihm einst gesagt, sie stehe nicht für ihre Leidenschaft, sie werde furchtbare Rache nehmen; er suchte ihre Vorwürfe und Besorgnisse weg zu scherzen. Nun war sie gewiß, daß der Verrath beschlossen sei; zu ihrer Verzweiflung und dem Gefühle tiefster Kränkung kamen knirschende Erbitterung über die erheuchelte Zärtlichkeit des Verräthers und nagende Eifersucht. Jetzt erwog sie unter dem Anschein äußerer Ruhe fürchterliche Pläne. Welcher Art, das ruhte in ihrer Brust. Ob Verrath am Verräther? zugleich Rache an der Nebenbuhlerin? Oder nur die Flucht vereiteln, und Gewalt brauchen statt der Thränen? Ich weiß es nicht.

Sie hatte nicht viel Zeit dazu – nur noch einen Tag – dann war’s „übermorgen“; die Eile, deren es bedurfte, fügte zu den Plänen des Verraths die Hast des Entschlusses.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 310. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_310.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)