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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

von den Franzosen erwischt. Nehmen Sie der Madam hier die Mainzer Zeitung mit, ich habe sie eben geholt. Und nennen Sie mich nicht so vornehm Amalie – Male heiß’ ich und dabei bleibt’s. Sind Sie beim Papa gewesen, Mamsell Dorchen?“

„Der Papa hat Besuch,“ erwiderte Dorothea, reichte dem Vetter noch einmal mit einem Lebewohl, das allerdings von der Gegenwart der alten Frau kälter klang, als selbst diese erwarten konnte, die Hand und ging an der Thür der Mutter vorüber nach ihrem eigenen kleinen Zimmer, das weiter zurück lag.

„Ich will Ihnen etwas sagen, Herr Lieutenant Ortenburg, Sie werden’s der alten Male, die es gut mit Ihnen meint, schon nicht übel nehmen.“ Der gewöhnlich harte Ton der alten Frau klang in diesem Augenblicke wirklich wohlwollend, man hätte ihn in seiner Art zärtlich nennen können. „Lassen Sie sich die Liebesgedanken auf Dorchen vergehen. Ja, ja! Sie denken wohl, ich bin blind? Wenn die Mama mit ihrer Brille nichts sieht, ich sehe Alles! Aus Ihnen und der Dorche kann nichts werden und wenn Ihre Altvordern seit Erschaffung der Welt zum alten Limburg oder zum Frauenstein gehört hätten, wie Sie vielleicht glauben. Das ändert nichts. Und selbst wenn die Mama ‚Ja‘ sagte, der Papa würde beim ‚Nein‘ bleiben und obendrein seinen Fluch drauf setzen, wenn Sie etwa nach seinem Tode noch Lust zu der Heirath verspürten. Reiten Sie also in Gottes Namen fort und am Besten, wenn Sie gar nicht wiederkommen!“

Die letzten Worte sprach sie wieder mit der vollen Härte, die man an ihr gewohnt war, und wenn sich Hermann, der sein Geheimniß mit Zorn und Scham von ihr errathen und in dieser Weise behandelt sah, noch Mühe geben wollte, den Grund der trostlosen Aussicht, welche sie ihm so bestimmt eröffnete, von ihr zu erfahren, so stand sie ihm nicht einen Moment Rede, sondern ließ ihn mit der Mainzer Zeitung, die sie ihm für die Tante gegeben hatte, stehen.


2.

Als der Elsasser, wie Hermann Ortenburg den eifrigen Besucher des Hauses statt mit seinem Namen beharrlich nannte, in das Zimmer des Hausherrn trat, fand er denselben auf seinem krummbeinigen Lehnstuhl vor dem Schreibschranke so in Geschäften vertieft, daß er ihm bis auf wenige Schritte unbemerkt nahen konnte. Er hatte natürlich, wie es sich schickte, angeklopft und auf das Herein! gewartet, da es aber ausgeblieben war, hatte er vermeint, es überhört zu haben, und war bescheidentlich eingetreten. Gern wäre er bis an den Schrank gekommen und hätte dem Senator und Handelsherrn über die Schulter geblickt, um zu entdecken, ob es gemeine Stadtangelegenheiten, oder eigene waren, die ihn so ganz in Anspruch nahmen, aber er hielt es doch für passend, sich durch ein decretes Räuspern anzukündigen. Das that ihm aber gleich wieder leid, denn der alte Herr fuhr bei dem ersten Laute zusammen, wie ein auf unrechten Wegen ertappter Mensch, warf schnell Einiges an Papieren und was es sonst sein mochte, in ein Fach und schloß dasselbe erst hastig zu, ehe er sich überzeugte, wer da sei.

„Ah, Herr Stamm!“ sagte er aufstehend.

Der Elsasser verrieth durch keine Miene, daß ihm das Betragen des Senators aufgefallen war. „Ich bitte um Verzeihung, Herr Hartinger,“ sprach er, indem er sich würdevoll verneigte, „ich habe angeklopft und glaube auch Ihre Erlaubniß zum Eintritt gehört zu haben.“

„Zu jeder Zeit, auch ohne Anklopfen, willkommen!“ versicherte Hartinger. „Setzen Sie sich. Kommen Sie auf das Kanapee. Haben Sie mit meiner Frau gesprochen?“

„Noch nicht, Verehrungswürdigster,“ erwiderte Stamm. „Ich will denn doch erst versichert sein, daß die Hauptperson kein Veto einlegt. Auch werde ich durch dringende Geschäfte auf einige Zeit von Frankfurt abgerufen, denke aber in kurzer Zeit wieder hier zu sein und dann meiner Werbung einigen Nachdruck geben zu können. Ich bitte Sie, bis dahin, wie Sie mir versprochen haben, Ihrer Mademoiselle Tochter nichts davon zu sagen. Darf ich darauf rechnen?“

„Was Johann Jakob Hartinger versprochen hat, das hält er auch! Ich bin vom alten deutschen Schlage, Herr Stamm.“ Er sagte das mit einer Betonung, die wohl ihren Grund in dem Vorwurfe hatte, den er in dem Gespräche mit seinem Neffen gefunden zu haben glaubte.

„Auch ich, werther Herr Senator!“ versetzte Stamm. „Wir Elsasser sind Deutsche und werden es bleiben, wenn wir auch nicht mehr zum Reiche gehören, sondern einem mächtigern Staate seit hundert Jahren einverleibt sind. Mächtiger, lieber Herr, sehen Sie nicht unwirsch dazu! Wenn auch kleiner, als Deutschland, und nicht so volkreich, aber doch mächtiger, weil eins und untheilbar. Ich nehme keinen Anstand, es für uns ein Glück zu nennen, daß wir Frankreich einverleibt sind, besonders jetzt, wo wir der vollen Freiheit genießen, welche unsern deutschen Brüdern diesseits des Rheines fehlt.“

„Uns nicht!“ entgegnete der Senator ruhig und stolz. „Mag es in den Ländern der Reichsfürsten und in andern reichsunmittelbaren Gebieten beschaffen sein, wie es will, hier in Frankfurt haben wir Freiheit, nicht Pöbelfreiheit, aber eine vernünftige gesetzliche Freiheit, bei der sich Hoch und Niedrig wohl befinden kann.“

Stamm lächelte fein. „Ich habe mich davon überzeugt,“ sagte er. „Man weiß das auch in Paris, wo man die Völker, auf welche Frankreichs welthistorische Mission hinweist, scharf im Auge behält. Frankfurt, die Reichsstadt, die nicht blos frei heißt, sondern frei ist vom Fürstendruck, wie im Innern vom Druck bevorzugter Kasten, steht hochgeachtet in den Augen der großen Nation, und wie sich die Verhältnisse auch gestalten mögen, Frankfurt hat nur Freundschaft von Frankreich zu erwarten.“

Hartinger sah ihn befriedigt an. „Haben Sie Nachrichten aus Mainz?“ fragte er.

„Die besten!“ antwortete Stamm. „Mainz wird capituliren.“

„Die starke Reichsfestung?“ lachte Hartinger. „Damit hat’s gute Wege! Das nennen Sie aber die besten Nachrichten? Freilich, Sie als französischer Unterthan!“

Pardon! Französischer Bürger, wenn ich bitten darf! Unterthanen giebt es in Frankreich nicht mehr. Selbst der siegreiche Feldherr, welcher bald seinen Einzug in die starke Reichsfestung Mainz halten wird, nennt sich erst Bürger und dann General. – Sie, verehrtester Herr Hartinger, als Bürger einer freien Stadt, die keines Fürsten Unterthanin ist, begreifen das stolze Gefühl, welches uns aus gleichem Grunde die Brust schwellt. Ich sollte meinen, daß auch Ihnen die Nachricht, daß dem langen und schmachvollen Unwesen der Priesterherrschaft am Rhein ein Ende gemacht werden soll, keine unerfreuliche sein könnte. Bedenken Sie doch! Von Basel bis da, wo unsere siegreichen dreifarbigen Fahnen am Niederrhein wehen, längs des ganzen Stroms, welche jammervolle Zerstückelung in zahllose kleine Gebiete! Haben Sie vielleicht eine Homann’sche Karte zur Hand? Wär’s nicht ein Segen, wenn dieser erbärmliche Zustand aufhörte und Alles zu einem großen, starken Ganzen vereinigt würde?“

„Gewiß!“ sagte der Reichsstädter. „Aber für Deutschland das Ganze, nicht für Frankreich.“

„Ah! Wer verdächtigt Ihnen die große Nation, daß sie Eroberungen machen will?“ entgegnete Stamm. „Die Zeiten Ludwig’s des Vierzehnten sind auf ewig vorüber. Wie das französische Volk seine Freiheit errungen und siegreich gegen die Tyrannen des Auslandes vertheidigt hat, so will sie auch den freien Völkern die Freiheit bringen, nicht sie unterjochen. Eine Nation, welche zuerst allen Völkern das Beispiel gegeben hat, ihre Rechte zurückzufordern, bietet allen andern, welche unglücklich genug sind, ihre Häupter unter das entehrende Joch des Despotismus zu beugen, Verbrüderung an!“

Wer Herrn Stamm vor einer Viertelstunde gesehen hatte, wie süß und galant er gegen das junge Mädchen seiner geheimen Huldigung war und wie er sich auch gegen den Vetter geschmeidig benahm, der würde ihn im Gespräch mit dem Senator Hartinger für einen ganz andern Menschen gehalten haben, so ernst und würdig von Anfang hatte er sich geäußert, so begeistert flammte er jetzt auf. Seine Worte blieben nicht ohne Eindruck.

„Ich bin von der Reinheit der Absichten überzeugt, welche die Repräsentanten des französischen Volks beseelen,“ sagte Hartinger, indem er Stamm die Hand drückte. „Wenn der große Gedanke, den Sie andeuteten, sich verwirklichen ließe, das vielgetheilte Westdeutschland zu einem starken Ganzen zu vereinigen, ich würde es einen Segen für das Reich nennen. Aber die praktische Ausführung! Mit Waffengewalt ließe sich wohl, wenn Kaiser und Reich, wie leider schon oft, keinen Schutz gewähren, das Land besetzen, aber wird dann ein Vertrag, ein Friede zu Stande kommen,

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