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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

„Rund heraus,“ erklärte ich jetzt entschlossen, „wenn ich selbst Ihnen meine Hand anböte.“

Sie stand stolz auf und sagte scharf: „Sie wählen Ihre Zeit recht passend und zu diesem Zwecke war’s freilich nöthig, daß Sie mich davon unterrichteten, wie es um meinen Vater steht; denn das macht Ihren Antrag unwiderstehlich.“

Das war mir doch etwas zu viel und auch ich gerieth in den Harnisch.

„Denken Sie, gnädiges Fräulein,“ sagte ich grimmig, „was Ihnen beliebt, aber es läge wohl nicht minder nahe, zu glauben, daß ich jetzt mit meinem Antrage hervortrat, um Ihrem Vater noch eine schwere Sorge vom Herzen zu nehmen und ihn noch um seinen Segen zu bitten. Da Sie so wenig im Stande scheinen, mich zu verstehen, so betrachte ich mich als abgewiesen. Ihren Vater werde ich noch besuchen, damit er nichts davon gewahr werden möge, daß sein Wunsch nicht in Erfüllung geht.“

Ich ergriff Stock und Hut, warf mich in den Wagen und fuhr nach Hause. Mein Ingrimm ließ mich lange nicht einschlafen und als ich früh erwachte, blieb ich sehr gegen meine Gewohnheit halb träumend liegen. In diesen Morgenbetrachtungen erschien mir die Sache doch etwas anders als am Abend vorher. Erstens stellte sich die ungnädige Schöne meiner Phantasie jetzt höchst anziehend dar. Sie war doch in der That sehr hübsch und ihre zornige Aufwallung that ihrer Schönheit keinen Eintrag. Ich sah das glänzende Auge blitzen, die schlanke Gestalt schien wie gewachsen, die bebende Lippe sprach wie geflügelt. Zum Andern aber begann ich zu begreifen, daß die Form, die ich so schlau gewählt zu haben meinte, recht ungeschickt und verletzend gewesen war und daß, trotz der fatalen Situation, hier, wie überall im Leben der gerade Weg der richtige und die Sprache des Herzens die wahre gewesen wäre. Ich dachte indessen, in meine Hagestolzideen zurückfallend: wer weiß, wozu’s gut ist! und beschloß, keinen neuen Versuch zu wagen.

Während ich noch mit solchen Gedanken im Bette lag, wurde die Glocke geläutet. Ein Bote holte mich zum Major; es gehe sehr schlecht mit ihm, ich möge doch ja recht schnell kommen. Ich zog mich an und folgte, noch dämmerte der Morgen kaum, in der Krankenstube war Licht. Therese stand in dem Zimmer, das ich durchschreiten mußte, um in jene zu gelangen. Ich verbeugte mich kurz und wollte vorübergehen, als sie mich zögernd anredete: „Herr Doctor … bitte! … seien Sie mir nicht bös … ich war nur augenblicklich verletzt …“ Sie faßte nach meiner Hand, die ich ihr bereitwillig überließ, indem ich antwortete: „Nicht ganz mit Unrecht, ich hatte es dumm genug angefangen, ich habe das Werben noch nicht gelernt; statt vom Herzen zu sprechen, das mich zu Ihnen drängt, schwatzte ich von den traurigen Umständen, die Sie bewegen sollten, sich mir zu vertrauen.“ Ich hatte noch nicht vollendet, als Therese weinend ihre beiden Arme um meinen Hals schlang. Trotz meiner Ungeübtheit in ähnlichen Situationen, verstand ich ohne Mühe, was dies bedeutete, und fand mich mit Ergebung in die Umstände; auch hinderte mich als einen in der Anatomie Wohlbewanderten das zweifelhafte Licht in der Stube nicht daran, die Gegenden zu finden, welche man zu küssen pflegt. Wir mochten in dieser Beschäftigung die Geduld des alten Herrn ein wenig auf die Probe gestellt haben; er ächzte laut.

„Wollen wir mit einander vor den Vater treten?“ bat Therese.

Jetzt überfiel mich eine kleine Angst. Sollte sie meine Hand blos ihres Vaters willen annehmen? Ich frug sie leise; aber sie lächelte und verneinte es, als ich meine Frage wiederholte, sehr entschieden. Hätte ich noch mißtraut, so mußte ich mich bei der rührenden Scene, die nun folgte, eines Andern überzeugen. Als Therese in ihrer wunderlich einfachen Weise zum Major sagte: „Der Doctor will mich heirathen; ist Dir’s recht?“ vergaß er auf einige Minuten seiner Schmerzen und legte tief bewegt unsere Hände ineinander. Allerdings war er kränker, als den Tag zuvor, aber die Tochter hatte offenbar in dem Wunsche, mich bald wieder zu sehen, etwas übertrieben, und ich, der es sonst einem Patienten sehr übel vermerkte, mich unnütz vor meinen gewöhnlichen Ausgängen zu belästigen, ich war dies Mal nicht eben bös darüber, verschwendete vielmehr während der nächsten acht Tage bis zum Tode des Majors viel Zeit an seinem Bette. War nun die Gelegenheit eine sehr sonderbare für den Abschluß einer Verlobung gewesen, so war sie um so günstiger für die Liebe; denn ich durfte mit meiner Freundin so lange beim Kranken sitzen, als ich wollte, und hatte das dankbare Amt eines Pflegers und Trösters, und je verlassener Therese sich fühlte, desto inniger schloß sie sich mir an.

Der Major starb. Die ernste Trauerzeit verstrich und allmählich kehrte meine Braut wieder zu ihrer jugendlich frischen Heiterkeit zurück; ja nach und nach kam ein rechter Schalk zum Vorschein. Lange schon hatte sie mich damit geplagt, an unserem Hochzeitstag wolle sie mir etwas erzählen, daß ich schaudere, und mich auf meine Fragen, ob sie doch die Maske gewesen, lachend bis zur Hochzeit vertröstet. Ich war wirklich neugierig geworden. Was erfuhr ich nun, als wir nach der Trauung und einem Frühstück mit einigen Bekannten in den Wagen stiegen, um eine kleine Hochzeitsreise zu machen?

Kurz vor dem Maskenballe ging Therese mit ihrer Freundin Laura Mengs eines Tags spazieren; ich fuhr an ihnen vorbei.

„Sieht er nicht aus,“ sagte Laura, „als ob ihn die ganze Welt nichts anginge? Er soll ein ausgemachter Hagestolz sein; er könnte die reichsten Partieen machen, die Goldfischchen schwimmen ihm nur so zu, aber er behandelt alle so, als wollte er sagen: ‚Ihr seid meine Patienten, gut, aber damit Basta!‘“

„Ja,“ antwortete mein Schlauköpfchen, „da mag er ganz Recht haben, er wird seine Leute schon kennen, und da sie ihm nachlaufen, so weicht er vor ihnen aus. Ich würde das ebenso machen.“

„Nun,“ gab Laura zur Antwort, „wenn die Mädchen vor ihm ausweichen, so würde er sich erst recht nicht um sie kümmern.“

„Es käme darauf an,“ entgegnete Therese wieder.

Und was beginnen die Mädchen? Sie wetten miteinander, Therese soll mit mir auf dem Maskenball – ein guter Bekannter hatte zufällig verrathen, daß ich ihn besuchen wolle – oder bei sonst einer Gelegenheit ein Gespräch anknüpfen und sich dann von mir zurückziehen. Sie behauptete, ich würde sie aufsuchen und heirathen. Wenn ich sie heirathe, so bekommt sie, wenn es fehl schlägt, bekommt Laura – was? – zwei Tafeln Chocolade! Ja, um zwei Tafeln Chocolade wurde meine würdige Person verwettet. Ist’s nicht schauderhaft? Und der Spaß war gelungen und ich war im Besitz der Dame, weil es ihr beliebte, mit ihrer Freundin zu wetten! Wahrlich, es wurde mir himmelangst, es fröstelte mich ordentlich. Aber es kam noch ein Bekenntniß hinterdrein.

Therese hatte mich schon oft vorbeifahren sehen und nebenbei von meinen Curen gehört. Ein Arzt ist überhaupt für ein Frauenzimmer ein Beglücker der Menschheit, ein Märtyrer christlicher Aufopferung, ein Sieger über Leben und Tod. Die schöne Equipage stach meinem Schatz in die Augen, mein Ruhm schallte ihr in die Ohren, denn eitel war auch mein Schätzchen ein wenig, sonst hätte sie nicht zu Eva’s Geschlecht gehören müssen; meine sonstige Persönlichkeit fand gleichfalls Gnade vor ihren Augen, und so war jene curiose Wette zugleich ein schlauer Vorwand, um einmal in meine Nähe zu kommen. Jedes Frauenzimmer kann, auch in der Leidenschaft und wo das Herz mitspielt, mit klügster Berechnung, mit zähester Beharrlichkeit handeln. So meine Maske, da sie wahrnahm, daß eben ihre kühle Manier mich reizte und daß ich nach ihr suchte, als sie mir entwischt war. Ihr eigenes Verlangen wuchs freilich ebenfalls, je länger eine zweite Gelegenheit zum Verkehr auf sich warten ließ, aber dessen ungeachtet beobachtete sie auch dann, als die Krankheit ihres Vaters mich mit ihr zusammenführte, dieselbe Regel, mir durchaus nicht entgegen zu kommen, und das um so mehr, als sie bemerkte, daß ich immer eifriger wurde, je mehr sie sich mir entzog; ja sie war, als sie meine deutlich hervortretende Leidenschaft gewahrte, ihres Sieges gewiß, voller Uebermuth die Veranlassung gewesen, daß ihr Vater mir zu verstehen gab, meine Besuche seien nicht mehr nöthig, und sie behauptete, sich höchlich darüber amüsirt zu haben, wenn ich nachher durch die Straße fuhr und nie versäumte, hinauf zu grüßen, was mir übrigens kaum noch erinnerlich ist. Bei der zweiten und tödtlichen Krankheit des Majors dachte sie natürlich nicht mehr so geflissentlich an’s Ränkeschmieden, aber ihr System hielt sie doch fest. Als ich mit meiner Werbung hervortrat, hatte sie vielleicht noch unbewußt unter Mitwirkung ihres Planes gehandelt, obschon es ihr auch keine Freude machen konnte, mich so steif wie von einem Geschäft sprechen zu hören, wo sie dachte, ich würde ihr auf meinen Knieen Liebe schwören. Da ich aber davonging, erhielt sammt dem Herzen das System einen Stoß und die Planmacherei war zu Ende.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_404.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)