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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

voller hochaufgeschossener Wiesenblumen, und drüben flüsterte sie in den verlockenden Zweigen des Lorbeers, in den Kronen dunkler Granat- und Orangenbäume, die ihre leuchtenden Blüthen auf die Terrasse vor dem Hause und die in den Garten hinabführende breite Steintreppe schüttelten. Drüben rauschte das Brunnenwasser aus der einfachen Holzröhre in eine uralte, grünbemooste Steinmulde, und hier sprangen Fontainen und spritzten ihre Silbertropfen auf den duftig grünen Flaum des englischen Rasens, auf eine wahrhaft orientalische Rosenpracht… Man meinte, auf jenes alte Dach, das sich vertraulich an die Buchenwipfel schmiegte, auf dessen Ziegeln große Büschel Hauswurz nisteten und das zahllose Schwalbennester beschirmten, den ernsten Schatten der deutschen Sage gleiten zu sehen, während drüben ein Stück heiterer, südlicher Poesie waltete.

Früher stand da, wo sich jetzt das neue Haus erhob, ein Gebäude, das dem Haus der Hofräthin glich, wie ein Ei dem andern. Vor Zeiten existirte auch die grüne Hecke nicht. An ihrer Stelle lief eine schöne Kastanienallee den Berg hinab und mündete drunten vor einem hohen Thor, dem einzigen in der ganzen, großen Umfangsmauer. In den Häusern wohnten zwei Vettern, Hubert und Erich Dorn mit ihren Familien. Sie waren sehr angesehen in der Stadt und galten für steinreich. Ihr musterhaftes Zusammenleben war zum Sprüchwort geworden; nie fiel ein Wort des Streites zwischen den zwei Männern. Die Kinder liebten und zankten sich, und die Mütter waren weise genug, Kläger und Beklagte allein fertig werden zu lassen. Der Garten wurde gemeinschaftlich benutzt und zur Sommerzeit aß man stets vereint in dem großen Pavillon, der zu Anfang der Allee stand… Da trat plötzlich eine schwarze Wolke über die beiden Häuser der Eintracht. Ein neuer Geist zog ein und ein fahles Gespenst, der Neid, heftete sich an seine Fersen und folgte ihm unhörbar, als er über die Schwelle schritt. Es war die Sammelleidenschaft, von der die beiden Familienoberhäupter mit einem Mal besessen wurden. Sie nahm liebe Familienbilder von den Wänden und hing dafür alte, verdunkelte Oelgemälde auf; die geliebten Leinenschränke der Hausfrauen wurden in entfernte Winkel gerückt, an ihre Stelle traten hohe Glaskästen mit Mordwaffen aller Arten und Zeiten, vor denen sich die Frauen- und Kinderseelen entsetzlich fürchteten. Das alte Aegypten kehrte ein unter den gemüthlichen Thüringer Dächern, und über seinen unverstandenen Hieroglyphen vergaßen die Sammler, weiter zu forschen im Reich der lebendigen Zungen, in ihren wohlausgestatteten Bibliotheken.

Anfänglich lachten die beiden Frauen über die urplötzliche Sammelwuth ihrer Eheherren. Allmählich aber überschlich Bangigkeit ihr Herz, wenn die sonst so friedliebenden Männer heftig wurden im Streit über den Werth oder Unwerth einer neuen Acquisition; wenn der blasse Neid in den Zügen des Einen und Schadenfreude triumphirend in denen des Anderen erschien; wenn Jeder bei Erlangung einer heißersehnten Antiquität sofort frohlockend in den Ausruf ausbrach: „Was der da drüben wohl dazu sagen wird!“ Die Zänkereien wurden immer heftiger und erbitterter und die Versöhnungsmomente seltener und kürzer. Es geschah auch wohl, daß beide Männer im leidenschaftlichen Wortwechsel beim Mittagstisch aufsprangen. Dann schlug der leicht aufbrausende Erich, die bleichen, entsetzten Gesichter der Frauen und Kinder nicht beachtend, mit der Faust auf den Tisch, daß Teller und Gläser klirrten, und stürzte zornsprühend aus dem Pavillon… Der Schatten der ausgestoßenen Eintracht irrte noch eine Zeitlang wehklagend durch den Garten und entfloh dann für immer… Es ereignete sich nämlich, daß ein entfernter Verwandter von Hubert’s Frau starb; sie war Universalerbin. Nebst vielen Capitalien und Kostbarkeiten fiel ihr auch ein Oelbild zu, ein herrlicher van Dyk. Sie machte es ihrem Mann zum Geschenk, der es stolz und frohlockend seiner Sammlung einreihte. Aber gerade diese Sammlung war der Zankapfel zwischen den beiden Vettern; ihre Zusammenstellung zeigte von keinem besonderen Kennerblick, es war viel Spreu darunter. Diese Schwächen hob Erich, der selbst nicht übel malte, stets mit bitterem Hohn hervor; seine Sammlung verrieth freilich ein feines, kritisches Auge. Nun aber stürzte sein Triumph zusammen wie ein Kartenhaus, als da drüben unter den so oft angefochtenen Copieen plötzlich das kostbare Original erschien; er selbst besaß keinen van Dyk. Mit erblichenem Gesicht – Hubert behauptete stets, es sei von Wuth und Ingrimm verzerrt gewesen – stand er vor dem Bilde; all’ sein Forschen und Prüfen führte immer wieder zu der schmerzlichen Ueberzeugung, daß es echt sei. Mit verdunkeltem Auge sah er Freunde und Bekannte in das Haus da drüben strömen, Jeder wollte das wunderholde Mädchenantlitz sehen, das die längst erstarrte Meisterhand auf die Leinwand gezaubert hatte. Er aß und schlief nicht mehr. Jede Begegnung mit dem Vetter, der stets von dem Bild zu reden anfing, versetzte ihn in fieberhafte Aufregung; er floh zuletzt scheu seinen Anblick, es war ihm unmöglich, jenem Auge zu begegnen, aus welchem der Triumph glänzte…

Eines Morgens scholl ein Schrei des Schreckens und der Erbitterung durch Hubert’s Haus. Da, wo noch gestern zwei süße Mädchenaugen gestrahlt hatten, starrte jetzt die leere Wandfläche hernieder – das Bild war verschwunden. Hubert war außer sich. Er schwur darauf, daß sein Kleinod sich nur um ein Haus weiter verirrt habe, und forderte es geradezu von Erich zurück. Es kam zwischen den beiden Männern zu einem fürchterlichen Auftritt, der nun auch die Leidenschaft in den weiblichen Gemüthern aufrüttelte. Noch nie hatte die Furie der Zwietracht so fessellos durch die zwei Häuser getobt, als in dieser unheilvollen Stunde. Die Streitenden stoben, nachdem von beiden Seiten entsetzliche Worte gefallen waren, auseinander. Zum letzten Mal für dieses Leben, und zwar in einem zornfunkelnden Blick, begegneten sich die Augen, klangen in gegenseitigen Schmähungen die Stimmen aneinander… Noch an demselben Tage erschienen Arbeiter in der Allee; sie rammten genau in der Mitte derselben Pfähle in die Erde ein, die Kastanienbäume fielen unter der Axt; es wurden Sträucher dicht aneinander gepflanzt, und von diesem Moment an liefen die Kinder von beiden Seiten täglich mit der Gießkanne herzu und gossen fleißig und beharrlich, damit die Reiser wachsen sollten, „wachsen bis in den Himmel,“ meinten sie. So entstand die grüne Hecke, und wie sie ihre Wurzeln tief in die Erde senkte und droben ausschlug und trieb, so klammerte sich der Haß um die Herzen der Kinder und wuchs mit ihnen. Es änderte auch nichts an diesem unnatürlichen Verhältniß, als Erich wenige Jahre nach jenen Vorfällen, vom Schlag getroffen, plötzlich starb. Seine Witwe, die ihn leidenschaftlich geliebt hatte, sah man nach seinem Tode nie wieder lächeln. Mit der tiefsten Erbitterung gedachte sie stets „Derer da drüben“, die seine letzten Lebensjahre umdüstert und seine Ehrenhaftigkeit mit einem Makel zu behaften gesucht hatten. Noch im hohen Alter war diese Wunde nicht verharscht; ihre Augen, die längst keine Thränen mehr hatten, sprühten unversöhnlichen Haß, wenn sie ihrem einzigen Enkelkind – das war Tante Bärbchen – die Unglücksgeschichte immer und immer wieder erzählte. Das Kind lernte schon mit seinen ersten Gedanken das „Drüben hinter der Hecke“ fürchten, und daß auch dort der Haß im Athem blieb und forterbte, davon erhielt die Kleine eines Tages einen eclatanten Beweis.

Auch Hubert hatte Enkel; sie wurden vornehm erzogen und hatten eine französische Gouvernante. Der Lärm der spielenden Kinder scholl hinüber in den stillen Garten, wo das einsame Bärbchen seine Puppen herzte, oder den Schmetterlingen nachlief, selbst bis an den gefürchteten Gartenzaun, über den sie, zu des Kindes Erstaunen, sorglos hinflogen. Dann verweilte sie auch wohl einen Augenblick und horchte verwundert den fremdklingenden Lauten, in denen sich die Kinder unterhielten. Einmal stand sie auch da und lauschte. Da rauschte es über ihr; die oberen Zweige der Hecke bogen sich auseinander, und ein trotziges Knabengesicht, aus dem zwei dunkle Augen übermüthig auf sie niederfunkelten, drängte sich durch das Grün. Er starrte die erschrockene Kleine einen Augenblick an, dann schnitt er eine abscheuliche Grimasse.

„Ach, bist Du ein häßliches Mädchen!“ rief er. „Hast ja nur einen Arm! Das ist Gottes Gericht, sagt meine Großmama immer… Ihr habt ja doch das Bild drüben… Bilderdieb, Bilderdieb!“

Tante Bärbchen erröthete noch in ihren alten Tagen, wenn sie daran dachte, daß sie in jenem Augenblick zornig einen Stein aufgehoben und ihn nach dem Knabenkopf geschleudert hatte, der hohnlachend, aber blitzschnell bei der drohenden Gefahr hinter der Hecke verschwunden war. Dieser Vorfall hatte einen unauslöschlichen Eindruck auf sie gemacht; auch in ihrem Gemüth faßte die Erbitterung jetzt Wurzel; der Groll rückte abermals um eine Generation weiter, und die Enkel neigten so wenig zur Versöhnung, wie ehemals die erzürnten Großväter.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 419. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_419.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)