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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

der Lärm in Nachbars Garten war offenbar sehr interessant für die beiden alten Lauscher gewesen. Sie kehrten Lilli den Rücken zu, und so konnte sie ungesehen durch die Hausflur in ihr Zimmer gelangen. Jetzt schloß sie freilich schnell Laden und Fenster, steckte sogar die buntkattunenen Vorhänge übereinander und vergrub die Augen tief in die Kissen. Der Angstschrei der fliehenden Frau und die Verwünschungen des fürchterlichen Schwarzen drängten sich noch in ihre Träume; sie hatte vorläufig genug von den Herrlichkeiten da drüben.

Wo aber waren sie hin, alle die Schreckbilder der Nacht, als Lilli am anderen Morgen in den Garten trat? Geflohen vor dem Sonnenlicht, das unerbittlich wie die ewige Wahrheit mit feurigem Schwert die Ausgeburten des Dunkels, die zweifelhaften Gebilde des halben Lichts verjagt. Da drüben hob der Thurm sein Zinnengeländer wie eine klare, goldgewebte Spitze in das tiefe Blau des Morgenhimmels. Der Sonnenstrahl tummelte sich auf den bunten Glasscheiben so lustig und harmlos wie auf Tante Bärbchens Stubenfenstern; das sah nicht aus wie Kerkerwände, in denen das Verbrechen haust. Jenseit des Zaunes, wie hier funkelten die Thautropfen sonnenklar und rein an den Blattspitzen, und der Buchenwald hauchte seinen herzstärkenden, morgenfrischen Duft unparteiisch über beide Gärten… Ach, wie erquickend strömte es durch die weit offene Thür in die Hausflur, und wenn man hinausschritt auf die tief ausgetretenen Steinstufen vor der Thür, wie lag das Thal paradiesisch drunten, tief eingebettet zwischen den waldigen Bergen, blühend, und rosig angehaucht vom Frühlicht, wie ein Kind in der Wiege, das seine jungen Augen nach süßem Schlummer lächelnd öffnet! Alle Befürchtungen und Aengste waren wie weggewischt aus Lilli’s Seele; nur die wundervollen Cellotöne klangen noch nach in ihr, sie hatten ihr den Eindruck gemacht, wie ein Blick aus tiefen, schwermüthigen Augen.

Sie ging nach der Laube, in der bei schönem Wetter stets gefrühstückt wurde. Auf dem langen Kiesweg vor dem Eingang derselben wandelte Tante Bärbchen langsam auf und ab. Sie zupfte hier und da ein naseweises Unkraut aus den Gemüsebeeten, oder hob den Zweig eines Johannisbeerstrauches in die Höhe und betrachtete die Träubchen, die noch ziemlich unentwickelt, aber in unglaublichen Massen daran hingen; ihr Johannisbeerwein war berühmt bei Freunden und Bekannten. Drin auf dem weißen Gartentisch der Laube lag das aufgeschlagene neue Testament; sie hatte also, wie sie seit vielen Jahren gewohnt war, ihr Morgencapitel hier gelesen. Den nächtlichen Vorfall erwähnte sie mit keiner Silbe, wahrscheinlich hatte sie ihn verschlafen, desto besser; aber da kam Dorte mit dem Frühstück … wehe, die steifen Bindebänder ihrer weißen Leinwandhaube hingen aufgelöst über dem Rücken! Das war stets ein Zeichen, daß es ihr von innen heraus warm geworden war; das heißt, sobald sie sich ärgerte und ereiferte, riß sie die zierlich geknüpfte Schleife unter dem Kinn auf, warf die Bänder kühn nach hinten, stemmte den rechten Arm auf die Hüfte, und die Sturmcolonne war fertig. Ihr Morgengruß klang so alterirt, daß die Hofräthin sich lächelnd erkundigte, ob sie schlecht geschlafen habe.

„Ach, Sauer ist wieder einmal so bockbeinig!“ entgegnete sie grollend und stellte mit unsicherer Hand die Tassen klirrend auf den Tisch. „Der denkt auch, weil er die Dorfzeitung mithält, er ist nun auch der Gescheidteste, und ein Anderes darf nicht mucksen. … Und wahr ist’s doch, das laß ich mir nicht nehmen! Die Geschichte ist in Erfurt passirt, und meine Frau Pathe war aus Erfurt, die hat sie mir erzählt, und die log nicht. Das war eine Frau, so resolut, vor der konnten zehn Männer wie Sauer nicht aufkommen… Da soll in Erfurt ein General gewesen sein, das war ein wahrer Unmensch. Er hat von früh bis in die Nacht gespielt und getrunken, und sonst noch viel schlechte Streiche gemacht, die ein ordentlicher Mensch gar nicht nacherzählen kann. Der hat einmal einen Ball gegeben, da ist’s wild und wüst zugegangen, und wie in der Nacht die Glocke Zwölfe gebrummt hat, da steht draußen vor der Saalthür ein ganz schwarzer Herr – keine Menschenseele hat gewußt, wie er hereingekommen ist – und läßt den General hinausrufen. Auf einmal ist ein fürchterlicher Spectakel; die Fenster sind von selbst aufgeflogen, es hat gestampft und getrabt, als ob wilde Pferde über Dielen und Treppen liefen, und der General hat jämmerlich geschrieen; und wie die Anderen hinausgekommen sind, da waren die Beiden weg und sind auch nie wiedergekommen. Der kohlschwarze Herr war, mit Erlaubniß zu sagen, der Teufel, und hat den General geholt… Die Geschichte hab’ ich in aller Unschuld dem Sauer erzählt; da wird doch der Mensch ganz grob, wirft seinen Stiefel, den er gerade wichst, auf die Erde und sagt, ich solle nur gleich in den Spittel ziehen; dort glaubten sie noch solches Zeug.“

Die Hofräthin unterdrückte mit Mühe ein Lächeln, denn Dorte war sehr leicht beleidigt.

„Wie bist Du denn aber auch auf ein so entsetzliches Thema gekommen, Dorte?“ fragte sie.

„Ja, ich meinte,“ entgegnete die alte Köchin, indem sie mit dem Zipfel ihrer blauen Leinenschürze kühlend über ihr erhitztes Gesicht strich, „der Lärm heute Nacht sei doch gerade so gewesen, als ob der Böse eines arme Seele hole.“

„Welcher Lärm?“ fragte die Hofräthin verwundert. Lilli bog das Gesicht über ihre Tasse; die Wetterwolke war im Begriff, sich über ihrem Haupt zu entladen. Den Verweis der Tante fürchtete sie nicht, gern hätte sie ihn hingenommen, denn sie war schuldig; allein der Gedanke war ihr überaus peinlich, daß ihre mütterliche Freundin um ihretwillen Verdruß haben werde.

„Daß Gott erbarm, Frau Hofräthin,“ rief Dorte und schlug die Hände über den Kopf zusammen, „haben Sie denn den Heidenrumor nicht gehört? Drüben ist’s ja d’runter und d’rüber gegangen, Sauer meint, die Liebste habe vielleicht ausreißen wollen und sie hätten sie dabei erwischt… Du lieber Gott, in der armen Person ihren Schuhen möchte ich auch nicht stecken! Mit dem da drüben ist nicht gut Kirschen essen.“

„Ist er denn wirklich ein solcher Bösewicht?“ fragte Lilli aufathmend, und innerlich lachend über die verschiedenartige Auffassung der nächtlichen Scene.

„Na, den sollten Sie einmal hören, wenn er seine Leute auszankt; ich hör’s bis in meine Küche. Aber am Zanken hat der auch noch lange nicht genug, Blut muß er sehen; Sie können mir’s glauben, der hat nur deswegen im vorigen Jahr den Krieg mitgemacht – Sauer meint’s auch.“

„Nun, da mag er doch wohl andere Gründe gehabt haben,“ sagte die Hofräthin. „Er ist ja selbst bei Oeversee verwundet worden und soll in einem sehr elenden Zustand wieder hierhergekommen sein… Uebrigens, Dorte,“ fügte sie streng hinzu, „der heutige Zank zwischen Dir und Sauer ist eine gerechte Strafe für euch Beide gewesen. Wie oft soll ich denn wiederholen, daß ihr euch durchaus nicht um das kümmern sollt, was drüben vorgeht?“

Dorte meinte niedergeschlagen, man könne doch nicht immer Baumwolle in die Ohren stecken, und entfernte sich.

(Fortsetzung folgt.)




Ein Kind des Waldes und seine Schule.


Du, mein schönes, deutsches Vaterland, von schneebedeckter Alpenfirn bis wo die Nordsee die grüne Woge rollt, vom rebenumlaubten Rhein bis zu Schlesiens lachenden Landschaften, birgst in deinem Schooße manches holde, poesiegesegnete Thal. Ihr mattenreichen Thäler des felsummauerten Tirols und des Salzkammerguts, ihr tiefschattigen Thäler des waldgrünen Thüringens – wem ginge das Herz nicht auf in lieber Erinnerung; doch wem ginge nicht auch das Herz auf, so er deiner gedenkt, reizende Perle im Kranze deutscher Thäler, smaragdgrünes Tharand!

Am Abhange des ernsten Erzgebirges, in dessen oberen Regionen man den schönen Frühling nur als Sage kennt, wo die Essen dampfen, die Oefen glühen und das Glöcklein des Bergwerks durch todtstille Gegend den wachsamen Ruf ertönen läßt, hat dich die Poesie der Natur hingedichtet als erquickende Oase für Auge und Herz.

Smaragdgrünes Tharand, wenn der Frühling dich mit seinen ersten goldgrünen Locken bekleidet, wie schaust du als junge Frühlingsbraut so lachend aus deinen Bergen; wenn der Sommer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 436. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_436.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)