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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Ich war damals ein siebzehnjähriger Gärtnerbursche und kaum über die Grenzen des kleinen Landes hinausgekommen. Kein Wunder, daß mich die Neuigkeit ganz besonders packte, denn der einzige Schweizer, den ich bis jetzt gesehen, ein Kammerdiener des Herzogs, war nach Kleidung und Sprache ja doch kein rechter Schweizer mehr; aber jetzt sollte ich richtige Schweizer sehen und sogar Schweizerinnen, die direct von ihren ewigweiten und himmelhohen Bergen herkamen.

Wirklich war der Eindruck, den diese Landleute aus den Alpen auf die zum Einzug der fremden Gäste herbeigeströmten Landleute um Rosenau machten, ein wildfremder. Ich kehrte von einem Dienstgang zurück, als sie bereits im Wirthshaus eingerückt waren. Das Wirthshaus war aber damals noch die Gärtnerwohnung und meine Frau Prinzipalin fungirte zugleich als Wirthin. Diese brave Frau, die wegen ihrer guten Küche sich schon manches gerechte Lob verdient, war außer sich über „das fremde Volk“, von dessen Kauderwälsch man kein Sterbenswörtle verstehen könne. „Das ist ein ewiges Gsi und loset und gangt nume und überha und i ka nüt und dazu Lachen und Gesichtermachen, daß kein Mensch daraus klug wird. Gehe einmal in die Stube zu ihnen, Christian, und sieh’, ob Du’s ‘rausbringst, was sie wollen.“

Ich gehorchte und fand die merkwürdigen Leutchen am Tisch vor einer Schüssel voll Suppe sitzen. Von den beiden Mannsbildern war der eine wohl ein Fünfziger, der andere ein hoher Zwanziger; von den Schweizerinnen waren nur Zwei da, deren Alter mit dem der beiden Männer ungefähr zusammenstimmte. Nur letztere zeichneten sich durch eigenthümliche Tracht aus. Sie lachten über die Suppe, die sie nicht essen könnten, weil sie „grußerlich schlecht“ sei, und der eine Mann sagte: „Wie’ ist guet in der Suppa, Bier nüt!“ Da hatt’ ich’s heraus: man hatte ihnen bittere Biersuppe vorgesetzt, während ihnen süße Weinsuppe besser schmeckte.

Wie ich nun mit dieser meiner Entdeckung in die Küche eilte, sprang eben das dritte der Schweizermädchen aus dem Hause, das in meinem Alter sein mochte. Ich blickte dem lustigen Wesen nach, und die Köchin, die das gesehen, meinte: „Das wäre Eine für Sie, Christian!“

– „Das kleine schwarze Ding?“ – Mit diesem fragenden Ausruf geht eigentlich die Geschichte an, die ich erzählen will. Tausend Male dachte ich später daran zurück, als ich durch Lust und Leid erkannt hatte, was manchmal ein Blick und ein Wort für des Menschen Leben bedeutet. Ich kann nicht sagen, daß „die kleine Schwarze“ mich, wenigstens anfänglich, allein zu den Fremden hingezogen hätte. Das Fremde an sich äußerte eben seinen Reiz, und weil ich sah, wie oft die Leute in Verlegenheit kamen, weil sie sich nicht verständlich machen konnten, so gab ich mir große Mühe, sie verstehen zu lernen, und wurde ihnen bald eine unentbehrliche Hülfe. Und nachdem ich erst ihre Namen kannte, den alten Michel und den jüngern Rudolph, die alte Aenni, die jüngere Grit (Margaretha) und die jüngste Gritli, so war ich auch ihrer Aller Christian, und das gegenseitige Vertrauen bahnte nun den natürlichsten Weg zu der Vertraulichkeit, welche die Jugend, d. h. Gritli und mich, ganz wie von selbst immer öfter und näher zueinanderführte.

Gritli hing durch viele Herzensfäden mit ihrer Berner Heimath zusammen. Wenn wir in den prächtigen Anlagen der Rosenau lustwandelten und ich mich immer von Neuem des Anblicks der wäldergrünen Höhen und der dunklen Thäler erfreute, mit denen der südöstliche Thüringerwald unserm fränkischen Hügelland imponiren zu wollen schien, weilte ihr Geist immer in der großartigeren Heimath und bei den Ihrigen. Sie war die älteste von sieben Geschwistern, denen nur die Mutter noch lebte, seit ihr Vater, dessen Liebling sie gewesen, verunglückt. Sie erzählte mir das oft unter bitteren Thränen. „Ach mein Vater! Wie es Brauch bei uns ist, ging er im Jänner zu Holze. Die Cameraden standen oben, zum Fällen der Bäume, mein Vater unten am Hang, um die herabstürzenden Stämme zu lenken. Ohi! Ohi! geht der Ruf von oben, ein Stamm kam und, Schicksal, fiel über meinen Vater. Nur wenig Minuten, und er hatte sein junges Leben ausgeathmet, und todt wurde er uns in Haus getragen. Wie habe ich allezeit gebetet, daß der Himmel uns vor solchem Unglück bewahre, aber ich hab’s doch noch erleben müssen, daß sie auch meinen ältesten Bruder todt in’s Haus gebracht haben.“

Das schwere Schicksal der Mutter ging meinem Gritli besonders zu Herzen, sie zählte alle ihre Geschwister her, vom zweijährigen Mariannerl bis zum sechszehnjährigen Fritz, und erwog, wie viel sie der Mutter noch Last bereiteten und wie viel sie ihr schon im Haus und Stall und auf Alm und Feld helfen könnten. Der Schluß aber wollte mir mehr und mehr immer weniger gefallen, denn er lautete allemal: „Wenn ich wieder zu Hause komme, werde ich alle Arbeit für die Mutter thun und dann erzählen, wie es in der Fremde ist. Ach, wie viel schöner ist’s doch in der Heimath! Hier sind keine hohen Berge, keine Seen, ach, Alles ist daheim besser und schöner, als hier!“

Ich will mich aber losreißen von diesen Erinnerungen, sonst verirre ich mich zu tief in die liebste Geschichte, die der Glücklichste nur einmal erlebt, in meine Liebesgeschichte. Es vergingen ungefähr drei Jahre. Da kam ein schwerer Schlag. Die Schweizerei war fertig, die beiden Männer waren in die Schweiz zurückgekehrt, und nun erfaßte auch die drei Schweizerinnen die Sehnsucht in die Heimath. Das brachte bittere Tage und harte Kämpfe für mich, aber ich siegte. Mein Gritli blieb, wir hatten einen Helfer gefunden, der wohl erkannte, daß die Trennung zwei Menschen unglücklich machen würde, und das war der Herzog gab mir eine Stellung in der Gärtnerei zu C., die mir gestattete, mein Gritli heimzuführen. Es war recht ein Wort aus ihrem Herzen, als sie mir am Hochzeitstage sagte: „Siehst Du, Christian, Berg und Thal kommen nicht zusammen, aber gute Menschen durch die treue Liebe.“ Einige Zeit später versetzte mein Herzog mich, als die alte Veste restaurirt und aus einem verfallenen Waffenplatz zu einer Kunstburg erhoben und mit freundlichen Anlagen umgeben wurde, dorthin. Wo jährlich Tausende sich das Herz labten an dem köstlichen Ausblick von den Mauern hinüber in die Fernen, da hatte ich innerhalb dieser Mauern für mein Augen- und Herzenslabsal das stille, glückliche Nestchen erworben. Wir lebten, von äußeren Sorgen ungetrübt, zufrieden und einig und, wenn das möglich war, noch inniger verbunden durch ein Kinderpärchen, das unser Glück gar voll machte.

Das Alles mußte ich erzählen, nicht um mich von jeder Schuld an dem nun Folgenden frei zu sprechen, sondern mehr um das Unerklärliche und Entsetzliche desselben für mich anzudeuten.

Fünf Jahre waren uns so dahingegangen, und in dieser Zeit war nur ein Schmerz über uns gekommen: der Tod von Gritli’s Mutter. Seit dieser Nachricht beklagte sie es oft, daß sie ihre Lieben nicht habe wiedersehen können. Trotz eines eifrigen Briefwechsels mit ihren Geschwistern, die immer nur Gutes schrieben, vermochte sie die Sorge um sie nicht niederzukämpfen. Ich beruhigte und vertröstete, und das schien zu wirken. Sie klagte freilich nicht mehr, aber die nun verschlossene Klage arbeitete, ohne daß ich’s ahnte, in ihrem Innern zerstörend fort.

Im Laufe des Sommers (1836) trat zuerst die innere Wandlung an den Tag. Bis dahin ein Muster in der Ordnung ihres Haushaltes und in der Sorge für die Kinder, zeigte Gritli sich mehr und mehr gleichgültig gegen Beide, sie wurde nachlässig in Allem, auch, die sonst immer so schmucke Frau, in ihrem Aeußern. Ich fand sie häufig und später immer mit verweinten Augen, und auf all meine noch so liebevollen Fragen erhielt ich keine Antwort. Nachts verließ sie oft unsere Wohnung und ging in’s Freie, meist auf die Bastei mit dem weitesten Fernblick nach Süden. Ich schlich voll Sorge nach, ohne sie zu stören. Sie sprach leise für sich, aber ich konnte nichts davon verstehen, dann brach sie plötzlich in erschütterndes Lachen und gleich darauf in bitterlichstes Weinen aus, und Beides wechselte so oft, daß ich um ihre geistige Gesundheit in Angst und Bangen gerieth. Und lauschte ich am Tag einen Augenblick ab, wo ich sie ruhiger glaubte, und bat sie dringlich, mir ihren Kummer zu entdecken, so wandte sie sich ab und schwieg. – Jedes theilnehmende Herz wird fühlen, was ich litt. Da war etwas zwischen mich und meine geliebte brave Frau getreten, was ich nicht ergründen konnte, und das mich um so tiefer niederdrückte, als die Erscheinung desselben täglich unheimlicher wurde.

So war der Herbst herbeigekommen. Da, an einem Freitag Nachmittag, ging meine Frau, trotzdem es heftig regnete und sie nur leicht gekleidet war, zu dem Oekonomiegute, das außerhalb der Veste, etwa zehn Minuten vom Thore entfernt ist und wo ein laufender Brunnen auch für Bewohner der Veste das nöthige Trinkwasser bietet, denn innerhalb der Veste ist nur eine Cisterne

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 439. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_439.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)