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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

hatten, wurde ihnen „Halt“ geboten, mit dem Rücken gegen uns gewendet, mußten sie geduldig warten, bis die von unserer Feldwache ausgesendete Visitation-Patrouille erschien, die sie mit zur Feldwache nehm. Die beiden Deserteure berichteten nichts Rühmliches über die Verpflegung der k. k. österreichischen Armee, der Hunger hatte sie im vollsten Sinne des Wortes zur Desertion bewogen. Wir schickten sie in’s Dorf, dort wurden sie gastfreundlich bewirthet. Gleich nach Tagesanbruch wurden wir abgelöst wir marschirten in’s Dorf zurück und fanden erst jetzt die längst ersehnte Ruhe.




Aus dem Mormonenstaat.


Bis jetzt ist über die unter den Mormonen herrschenden Zustände selbst in Amerika nur wenig Positives bekannt, da in der Regel nur solche Leute nach Utah kamen, welche nach Gold und Silber oder Handelsgewinn jagten und sich wenig um sociale Studien kümmerten. Im verwichenen Sommer reiste der Sprecher des Repräsentantenhauses Schuyler Colfax über Land durch alle diese westlichen Gebiete und Staaten, um die dortigen Zustände kennen zu lernen. In seiner Gesellschaft befanden sich einige Journalisten und einer derselben, Samuel Bowles, der Redacteur des Springfield Republican, hat seine auf dieser Reise gemachten Beobachtungen in einem kürzlich erschienenen Buche niedergelegt. Es finden sich in demselben viele interessante Angaben über das Leben und Treiben der Mormonen, und es wird wohl auch für deutsche Leser von Interesse sein, wenn wir ihnen in dem folgenden Auszug etwas Näheres über diese wunderlichen Heiligen und ihr Land mittheilen.

Im Territorium Utah, fünfzehn englische Meilen südlich von dem großen Salzsee, dessen Wasser fünfundzwanzig Procent reines Kochsalz enthält, haben die Mormonen ihre Salzseestadt gegründet, die jetzt ungefähr zwanzigtausend Einwohner zählt und ohne Zweifel als Stapelplatz des Handelsverkehrs zwischen den östlichen und westlichen Staaten der Union einer großen Zukunft entgegengeht.

Von dieser Stadt an erstrecken sich die Ansiedelungen der Mormonen einige hundert Meilen nach Norden und ebenso weit nach Süden, in einer Breite von etwa fünfzig Meilen. Die meisten Ansiedelungen umfassen nur einige hundert Bewohner, die Gesammtzahl wird auf einhundertundzwanzigtausend geschätzt. Die Salzseestadt liegt in einem weiten Thale, das vom Jordanfluß durchströmt und nach Osten von einem kahlen Plateau begrenzt wird. Von dieser Höhe bietet sich dem Auge des Reisenden, der tagelang zwischen den schneebedeckten Gipfeln der Felsengebirge durch rauhe, nackte Thäler und Schluchten gefahren ist, ein entzückender Anblick. Die Stadt ist nach amerikanischer Sitte in regelmäßigen Vierecken angelegt, mit manchen schönen Gebäuden verziert und in allen Richtungen durchsetzt von großen Blumen- und Baumgärten. Um die Stadt hin ziehen sich meilenweit zerstreute Farmhäuser und grünende Felder, zwischen welchen sich die silberglänzenden Gewässer des Flusses und der Canäle hinschlängeln.

Die reiche Vegetation des Thales ist durchaus das Ergebniß der energischen Thätigkeit der Mormonen. Die ganze westliche Hälfte des nordamerikanischen Continents kann nur mittelst künstlicher Bewässerung angebaut werden; der dürre Thonboden, die langen regenlosen Sommer, die trockenen Winde lassen keine Gewächse aufkommen, und die Mormonen mußten erst das feuchte Element künstlich herleiten, um ihre Felder zu befruchten. In dieser Beziehung haben sie Staunenswerthes geleistet. Die Flüsse sind in verschiedenen Höhen abgegraben und das Wasser wird durch eine Menge von Canälen nach den Gärten und Pflanzungen geleitet, selbst durch die Straßen der Stadt strömt das Wasser in gemauerten Rinnen, und die schattigen Bäume, die in tropischer Ueppigkeit grünenden Gartengewächse können nur durch diese beständige Bewässerung erhalten werden. Allein schon genügt der Fluß dem wachsenden Bedürfnisse nicht mehr und es wird jetzt ein großer Canal gegraben, der das Wasser aus dem dreißig Meilen südlich gelegenen Utah-See nach der Salzseestadt führen und neue Anpflanzungen ermöglichen wird.

Die Häupter der Mormonen waren von Anfang an bestrebt, ihr Volk auf den Ackerbau zu beschränken, eine sich selbst genügende, mäßige und fleißige Landbevölkerung zu entwickeln, die, in kleinen Dörfern zerstreut, leicht durch die hierarchische Organisation beherrscht werden könnte, und dieser Plan ist bisher consequent durchgeführt worden. Die Manufacturwaaren werden von den Staaten des Ostens importirt und nur einige einfachere Industriezweige wurden in der letzten Zeit eingeführt. Mehl, Schinken, Butter, getrocknete Früchte, Garne und Häute werden im Ueberfluß producirt und bilden die Ausfuhrartikel, die theils an durchziehende Auswanderer, theils nach den Bergwerksdistricten der Gebiete Idaho, Nevada und anderer verkauft werden. In den südlichen Ansiedelungen gedeiht auch die Baumwolle und die Seidenraupe.

Als eine hervorragende politische Persönlichkeit wurde Colfax nebst seinen Begleitern mit großer Höflichkeit in der Salzseestadt empfangen, von den Häuptern der Mormonen sowie von manchen „heidnischen“ Bürgern zu Lustpartien und Gastmählern geladen, und so wurde es den Reisenden möglich, werthvolle Aufschlüsse über das Thun und Treiben der sonderbaren Secte zu erhalten. Selbst die Ansichten und Gefühle der in Polygamie lebenden Frauen wurden ihnen nicht ganz vorenthalten, obwohl die Gatten dieselben nur wenig in die Gesellschaft brachten – der einzige Punkt, in welchem sich ihre Gastfreundschaft karg erwies.

„Als Resultat meiner Erfahrungen über die Mormonen,“ sagt Bowles, „kann ich aussprechen, daß ich den Werth ihres materiellen Fortschritts auf’s Höchste schätzen lernte, daß sich die Mormonen wie das ganze Land zu dem Reichthum, den sie geschaffen, und zu der Ordnung, der Mäßigkeit, der Sittlichkeit und Industrie, die sie in diesem entfernten Winkel unsres Continents begründet haben, Glück wünschen dürfen, daß die Vollkommenheit und die Macht ihrer Kirche, der weite Umfang ihrer Verzweigungen, ihr weitreichender Einfluß Staunen erregen, daß die Aufrichtigkeit und der Charakter vieler Häupter Achtung gebieten, daß aber andrerseits mein Abscheu vor ihrer Vielweiberei gestiegen und meine Ueberzeugung von dem barbarischen und entwürdigenden Einfluß dieser Sitte fester geworden ist. Sie üben dieselbe unter den günstigsten Umständen und vielleicht in der möglichst milden Form aus, allein hier wie immer und überall führt die Polygamie stets nur zur Herabwürdigung der Frau. Sie wird einfach die Sclavin, nicht die Gefährtin des Mannes.

„Allein der Mormonismus bedingt nicht nothwendiger Weise die Vielweiberei, sie wurde erst später eingeführt, und selbst jetzt noch widerstreben viele Mormonen dieser Sitte und kaum ein Viertheil, vielleicht noch weniger, übt sie praktisch aus. Schließlich wird auch unter dem Einfluß des wechselnden Verkehrs und der Einwanderung von ‚Heiden‘ nach Utah diese Institution sicher fallen. Nur eine abermalige Flucht und eine vollständigere Isolirung könnte diesen specifischen Charakterzug des Mormonismus retten. Die Führer der Mormonen scheinen auch diese Gefahr erkannt zu haben, und die Colonie, welche sie in den letzten Jahren auf den Sandwich-Inseln gegründet haben, ist wahrscheinlich zu einem letzten Zufluchtsort vor dem Andringen der Heiden bestimmt.“

In den Unterredungen, welche Colfax mit Brigham Young, dem Oberhaupte der Mormonen, hielt, deutete er dem Letzteren an, daß die Bundesregierung ohne Zweifel die religiösen Lehrsätze und die kirchliche Organisation der Mormonen nicht antasten, daß aber der Congreß das Gebiet Utah nie als Staat anerkennen werde, so lange die Vielweiberei gesetzlich erlaubt sei. Er hoffe deshalb, daß die Propheten der Kirche eine höhere Offenbarung empfangen möchten, welche die Polygamie verbiete. Young gab zur Antwort, daß er eine solche Offenbarung mit Freuden willkommen heißen würde, die Polygamie sei auch nicht in dem ursprünglichen Mormonenbuche begründet, sie sei nur ein Privilegium und eine Pflicht, speciell von Gott anbefohlen und durch die Bibel autorisirt. In der Praxis habe sich das Institut trefflich bewährt, denn die Sittlichkeit stehe bei den Mormonen weit höher, als bei den übrigen Christen.

Unter den Gebäuden der Salzseestadt ragt besonders das Theater hervor, das sich, wie Bowles versichert, sowohl an Größe

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_455.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)