Seite:Die Gartenlaube (1866) 553.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

No. 36.

1866.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Ein Naturkind.
Bild aus dem Gebirge von Alfred Meißner.


Arthur Seeburg hatte zwei überglückliche Herbstmonate im Hochgebirge verbracht. Er hatte ein einsam gelegenes Wirthshaus an einem wilden, romantischen See bewohnt. Es wäre schwer zu sagen, ob ihm jetzt, wo er wieder in das Comptoir seines Vaters eingezogen war, die Erinnerung an die herrliche Gebirgsnatur die Stunden mehr würzte oder verbitterte. Nicht die Berge, Almen und Wasser aber waren es allein, welche eine so glühende Sehnsucht in ihm wachhielten. Auf die schöne Vroni, die im Wirthshause bediente, fiel das Hauptgewicht seiner Rückerinnerung. Er hatte sich mit jugendlicher Schwärmerei in das Mädchen verliebt und mit ihr manche Stunde vertändelt.

Vroni war kaum zwanzig Jahre alt, hochgewachsen, schlank, brünett, feueräugig, ein reizendes Naturkind, aber nicht von jener geschminkten Sorte, wie man ihnen auf dem Theater begegnet; auch kein solches, wie Seeburg sich’s dachte, indem er seine Anschauungs- und Empfindungsweise in sie hineindichtete. Seeburg hatte den rührendsten Abschied von ihr genommen. Er weinte und Vroni weinte mit, ohne recht zu wissen, warum. Er hatte ihr tausendmal versprochen, im Frühling wiederzukommen, er bat sie, ihm treu zu bleiben und recht bald zu schreiben.

„Briefe,“ sagte er, „werden mein einziger Trost und vorläufig das einzige Band zwischen uns sein.“

Vroni, die nie einen Brief geschrieben hatte, außer nach Hause, wenn sie ein Paar neue Schuhe nöthig hatte oder ihren Heimathschein verlangte, begriff nicht, was sie zu schreiben habe; da sie aber einen so hübschen und feinen Stadtherrn so dringend darum bitten hörte, versprach sie es doch. Mehrere Wochen waren vergangen. In Seeburg’s Comptoir trafen täglich eine Menge Briefe ein, einer von Vroni war indeß nie darunter. Seeburg wurde ganz verstimmt. „Sie hat doch,“ dachte er, „beim Abschied so viele Thränen vergossen. Warum schreibt sie nicht? Es müßte doch auch ihrem Herzen eine Erleichterung, ja ein Bedürfniß sein.“ Dabei betrachtete er eine Halskette, wie die Gebirgskinder sie tragen, die er auf der Heimreise in München gekauft. „Die sollte ihr gehören, wenn ich die Gewißheit hätte, daß sie meiner gedenkt. Sollte ich sie vergebens gekauft haben?“

Da, als er bereits alle Hoffnung aufgegeben, kam ein Brief an, der ihm gleich als der gewünschte auffiel. Das Couvert, eine selbstverfertigte Arbeit, war von grauem Papier, das mächtige Siegel von ordinärem Lack zeigte einen Helm mit allerlei Federschmuck.

„Das ist der rechte!“ rief Seeburg und las Folgendes:

     „Lieber Herr Seeburg!

Sie werden mich längst vergessen haben. Wie könnten Sie auch an ein so albernes Mädchen denken? Ich denke oft an Sie. Wenn ich unsere Wirthsstube ansehe, die jetzt so still und leer ist, so wünsche ich herzlich, daß es wieder Frühjahr wäre und Sie erschienen wieder unter den vielen Gästen, die wir hier im Sommer haben. Neuigkeiten weiß ich Ihnen nicht zu schreiben, denn bei uns geht nichts vor. Das Einzige, was ich melden kann, ist, daß der Hektor, den Sie so gern gehabt haben, von einem Metzgerhund todtgebissen worden ist. Ich selbst bin gesund und werde Sonntag über acht Tage die Wallfahrt nach Maria-Stein mitmachen. Ich freue mich darauf, weil es dabei immer lustig hergeht. Halten Sie also schön Wort und kommen Sie wieder. Aber den Gradl-Sepp, der Ihnen die Stiefeln gewichst hat, werden Sie nicht mehr sehen, denn der ist zum Militär genommen worden.

Behüt’ Sie Gott! Ich verbleibe stets

Ihre Veronica Schöllerin.“

Also den Brief hatte Seeburg. Er war entzückt. Erst später fing er an, den Inhalt zu prüfen, auch diese Analyse fiel zu seiner Befriedigung aus.

„Solch’ ein Naturkind,“ sagte er zu sich, „trägt seine Gefühle nicht auf der Zunge. Noch weniger bringt es sie durch die Feder aus sich heraus. Gutes Kind! Der alte Hund, der Kellnerbursch gehören bei ihr mit zur Familie. Origineller Stil! Man muß drüber lächeln und ist doch gerührt!“

Auch über die Handschrift ließ er es nicht an Bemerkungen fehlen. Diese war plump, doch nicht ungewandt, schwer, aber deutlich. „Freilich,“ dachte er, „die Hände, die das geschrieben, sind an Arbeit gewöhnt. Arme Hände!“

Seeburg antwortete:.

     „Heißgeliebte Vroni!

Wenn Du wüßtest, welche Freude Du mir gemacht, Du würdest mich nicht so lange nach Deinen Zeilen haben schmachten lassen! Darum laß auch auf Deinen nächsten Brief nicht allzulange warten. Mit größerer Sehnsucht, als je, denke ich an Dich. Wie oft schon hat mir von Dir geträumt! Ich fühle, daß ich nicht früher einen glücklichen Augenblick haben werde, als bis ich wieder in Deinen Armen ruhe. O, wie weit ist es noch bis zum Frühjahr und was kann Alles inzwischen geschehen! Mit Schaudern denk’ ich daran, daß Du mich vergessen könntest. Vroni, glaube mir, Du hast ein treues und glühendes Herz gefunden. Vergiß mich nicht, ich bitte Dich! Unglücklich bin ich, blos weil

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 553. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_553.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)