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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Mich interessirte der junge Mann im höchsten Grade und ich ging ihm durch mehrere Straßen nach. Gern hätte ich seine Wohnung erspäht, aber plötzlich bog mein Mann um eine Ecke und war im Getümmel verschwunden. Zur bestimmten Zeit erhielt ich meine Musikalien; den Schreiber selbst sah ich längere Zeit nicht, obgleich ich mir Mühe gab, ihn aufzufinden.

Es gehört zu meinen Liebhabereien, zuweilen in irgend eine Kirche zu gehen, wenn kein Gottesdienst ist, wie ich auch zuweilen, wenn ich gerade ein Schauspielhaus offen sehe, hineinschlüpfe und mich im Dunkeln bis auf die Bühne hinauf suche, um mich ein Viertelstündchen zwischen den Coulissen herumzutreiben. In der Kirche bete ich und denke der Zeit, wo ich zum ersten Male an meiner Mutter Hand in die katholische Kirche in Dresden trat, entzückt über den schönen Gesang der Italiener. Im Theater erinnere ich mich an die glückliche Knabenzeit, wo ich alle Obstdreier, welche ich reichlich von Pathen und Tanten erhielt, zusammensparte, um wöchentlich wenigstens zweimal das Theater zu besuchen, und wo ich der Ansicht war, daß die Familie Devrient die wichtigste in Europa, daß überhaupt auf Gottes Welt nichts Schöneres als ein gutes Theater sei; wo ich für jeden dramatischen Dichter, Componisten, für jeden genialen Bühnenkünstler ohne Weiteres durch das Feuer gegangen sein würde und wo ich endlich am Allerseelentage und jeden Feiertag stets einen Kranz auf das Grab des Schauspielers Stein legte, der mich als Jungen zu Thränen gerührt hatte. Glückliche Knabenzeit! – Also ich ging in eine der ältesten, finstersten Kirchen von Paris. Draußen war es drückend heiß, im Schiff der Kirche angenehm kühl. Ich setzte mich ruhig hin und phantasirte. Ein alter Kirchendiener erschien mit schleppenden Schritten, nahm einige buntgestickte Decken von den Altären und legte sie sorglich zusammen, befahl einer Frau in seinem Gefolge, die Spinngewebe nicht wieder zu übersehen, und verschwand gleich einem Schatten hinter dem Hochaltar. Jetzt rauschten Gewänder, frische liebliche Stimmen wurden hörbar, zwei junge Frauen traten ein, einfach, aber fein gekleidet.

„Habe nur keine Angst, liebes Herz,“ sprach die Kleinere, „das macht sich Alles. Siehst Du, hier stehst Du, neben Dir auf dieser Stelle Dein Verlobter. Ich habe ja mit Henri auch vor acht Monaten auf demselben Platze gestanden. Jetzt kniee nieder, so, ganz gut, Alles wird vortrefflich gehen, und setze den rechten Fuß ein wenig vor, meine Mama hat mir das befohlen, dann behältst Du das Hausregiment. Das Mittel ist probat, Henri hat mir noch nie widersprochen. So, zieh’ den Handschuh ab, gieb den Ring hin, richtig; o, meine liebe Helene, Du wirst Alles mit dem besten Anstande durchführen. Wenn Du nur nicht so entsetzlich früh getraut würdest, Ihr werdet gar keine Zuschauer haben.“

„Armand wünscht es so und ich thue Alles, was er will.“

„Thorheit, zu was bist Du denn schön und legst ein neues weißes Gewand an, wenn Dich kein Mensch außer Armand sehen und bewundern soll?“

Die Damen drehten sich um und schwebten an mir vorüber; die Schlanke, welche Helene genannt wurde, war keine Andere, als das schöne Mädchen, das ich vor mehreren Monaten im Tuileriengarten am Arme eines vermeintlichen Blousenmannes gesehen hatte. Es sollte also am nächsten Morgen getraut werden, und mit wem? Aus der Kirche tretend, begegnete ich einem meiner Bekannten, einem Maler, welcher am Odeontheater angestellt war. Wir begrüßten uns und schlenderten Arm in Arm nebeneinander her.

„Viel zu thun, lieber Duresnelle?“

„Sehr wenig; was wird denn bei uns aufgeführt? Wenn ein Stück nicht geradezu mit Glanz durchfällt, wiederholt man es zwanzig Mal. Die deutschen Bühnenschriftsteller beklagen sich über die abweisenden Manieren der Theaterregenten, sie sollen nur hierher kommen, dann werden sie Geduld lernen. Wer hier nicht Verbindungen hat oder zu einer Clique gehört, dem nützt das größte Talent nichts und Genie ist nur ein Hinderniß. Diese Tage gab mir ein junger Schriftsteller ein reizendes Lustspiel, voll Geist, dabei gemüthlich. Es hat ein Jahr beim Director des Théâtre Gymnase gelegen, jetzt hat er es zurückerhalten. Ich habe vorgestern mit dem Regisseur des Odeontheaters davon gesprochen und der Autor will es ihm geben; vielleicht setzt er bei uns die Aufführung durch.“

„Ist jetzt Probe?“

„Nein, das heißt, es werden keine Schauspieler da sein, aber eine neue Decoration von mir ist aufgestellt, das Theater wird beleuchtet sein und ich will sehen, wie sich mein Machwerk ausnimmt; es ist eine Gartenscene.“

„Darf ich mitgehen?“

„Sehr gern; da hab’ ich gleich Ihr Urtheil, mein Freund.“

Als wir nach der Prüfung der Decoration, welche vortrefflich gelungen war, auf den dunkeln Corridor traten, der zu dem Sprechzimmer des Regisseurs führt, begegnete uns ein Herr, dessen Züge ich in diesem Dämmerlicht nicht zu erkennen vermochte; der Maler, dessen Auge an diese Dunkelheit gewöhnt war, rief ihm zu: „Nun, haben Sie den Regisseur gefunden?“

„Dank Ihrer Empfehlung, er ließ sich sprechen.“

„Und wie ließ dieser Beherrscher der Geister sich vernehmen?“

„Er geruhte zu versprechen, mein Drama zu lesen; in fünf bis sechs Monaten soll ich wieder nachfragen.“

„Das ist schon viel, also Geduld! Beharrlichkeit führt zum Ziel!“

Der Autor lachte leise, und wir gingen weiter.

„Lieber Freund, wie heißt der junge Schriftsteller?“

„Delisle, aber ich glaube, es ist nur ein angenommener Name.“

„Die Stimme kam mir bekannt vor, sie erinnerte mich an einen Notenschreiber, den ich kenne und der mich interessirt.“

„Delisle ist musikalisch, ein Notenschreiber aber schwerlich.“

„Ist dieser Poet reich oder wenigstens wohlhabend?“

„Er muß Geld haben, denn er ist stets fein gekleidet, wohnt ganz hübsch und hat das sichere Wesen eines Mannes, welcher schuldenfrei ist.“

„Nun, dann hat Ihr Herr Delisle hier einen Doppelgänger.“

„Das ist möglich!“

Am andern Morgen stand ich ungewöhnlich früh auf, kleidete mich rasch an und ging nach der Kirche, in welcher ich gestern die schöne Helene erblickt und – sie möge mir verzeihen – belauscht hatte. Nur wenige Menschen waren in dem Gotteshause versammelt, in der Nähe des ersten Seitenaltares, vor welchem soeben ein junges Paar copulirt wurde. Die Braut war die liebliche Helene, der Bräutigam der junge Mann, mit welchem ich sie im Tuileriengarten gesehen hatte, der Doppelgänger meines Blousenmannes und Notenschreibers. Als das neuvermählte Paar an mir vorüberschritt, fiel ein Sonnenstrahl auf ihre Gesichter, sie strahlten von Glück. Eine größere Aehnlichkeit, als zwischen meinem Manne und dem Armand dieser bezaubernden Helene, habe ich nie gesehen. Ich wünschte im Geiste dem Ehepaare alles erdenkliche Glück und sah, wie es in die elegante Equipage stieg, welche vor der Kirchthür es erwartete.

Wieder vergingen einige Wochen, in denen ich weder meinen Blousenmann, noch die schöne Helene sah. Eines Abends ging ich in das Théâtre Gymnase und traf dort einen mir bekannten Buchdruckereibesitzer. Wir sprachen über Dieses und Jenes, auch über ein eben erschienenes neues Buch, dessen viele Druckfehler damals das Lesepublicum sehr belustigten.

„Das kommt davon, wenn leichtsinnige oder ungebildete Menschen die Correctur besorgen,“ bemerkte mein Bekannter; „in meiner Officin kommt dergleichen nicht vor, ich habe einen Corrector, der nie einen Fehler übersieht, ja oft sogar dem Autor mit seinen Kenntnissen aushilft. Aber lupus in fabula, da ist der Gegenstand meines Lobes. Sehen Sie dorthin!“

Ich folgte der Richtung von Herrn Leoni’s Augen und – unfern von uns saßen in einer Loge Herr Armand nebst Gemahlin.

„Wie, dieser elegante Mann ist Ihr Corrector?“

„Warum nicht? Ich sagte Ihnen ja eben, daß er ein sehr gebildeter Mann ist.“

„Jedenfalls ein sehr fleißiger,“ dachte ich, „aber mein Blousenmann? Unmöglich.“

„An einem schönen Tage erhielt ich ein Billet, in welchem die alte Madame Genton mir meldete, daß sie die beiden Gemächer, welche ich bewohnte, fortan selbst brauche. Ich sah mich also nach einer anderen Wohnung um und fand eine, die mir zusagte, auf der Place de la Concorde, und zum Glück nicht höher, als im dritten Stock. Eines Abends öffnete ich das Fenster und hörte im Zimmer über mir von einer angenehmen Baritonstimme ein deutsches Lied, aber in französischer Uebersetzung, sehr gut vortragen. Auf meine Frage, wer über mir wohne, sagte der Portier:

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 578. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_578.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)