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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Schwiegervater wirken zu lassen, ihm die Geschichte vorzulegen und namentlich ihn auf den Schluß aufmerksam zu machen, wo die Abscheulichkeit der Rachsucht geschildert ist, mit der dieser grimmige falsche Schwiegerpapa das Glück Deines Helden zu zerstören sticht. Es war vorauszusehen, daß der alte Mann von dieser Darstellung zerknirscht werden würde; es war gar nicht möglich, daß er jetzt bei seinem Vorhaben bleiben würde, weil, wenn er dies that, er sich nur in eine desto schrecklichere und scandalvollere Gleichheit der wahren Geschichte mit Deiner Novelle hineinarbeitete – und das konnte er nicht wollen! Herr Färber sah das ein und willigte demgemäß in meinen Vorschlag, seinen früheren Pseudo-Schwiegervater aufzusuchen. Wir gingen zu seinem Hause, wir wurden vorgelassen, wir hatten einen kleinen Sturm von Zorn und Verwünschungen und Drohungen zu bestehen; endlich verschafften sich meine Worte Gehör und zuletzt trat ein, was ich vorausgesehen: der alte Mann legte sich zum Ziele, bekannte sich gefesselt und – rückte mit der Trauungsbescheinigung heraus. Ich habe sie Dir zum Zeugniß mitgebracht, Herz, da ist sie!“

Ernst zog die Urkunde aus der Tasche und legte sie seiner Frau in die Hand.

Diese warf einen Blick darauf, dann heftete sie ihre Augen groß und fragend auf ihren Gatten. „Und ist das Alles wahr, was Du mir da sagst?“ entgegnete sie endlich leisen Tons.

„So wahr wie die Dankbezeigungen des Herrn Färber, der in Entzücken schwimmt, daß ein fürchterlicher Alp von ihm genommen ist. Er segnete Dich für Deine Geschichte. Und Du selbst wirst Dich freuen, so, ohne es zu wollen, das Glück zweier Menschen gemacht zu haben … ich bin sehr froh, durch meinen guten Einfall etwas bewirkt zu haben, was Dir eine kleine Entschädigung, eine Art Schmerzensgeld für den Schrecken sein wird, welchen Du gestern erleben mußtest – nicht wahr, auch Du bist sehr froh, daß die fatale Geschichte noch eine so glückliche Wendung genommen hat?“

„O, ich bin sehr froh darüber!“ sagte Alwine tonlos.

„Aber was das Schriftstellern, das Novellenschreiben angeht, so denke ich, ist Dir nach dieser bitteren Erfahrung beim ersten Versuch völlig die Lust daran vergangen, nicht wahr? Du siehst, das Geschäft hat entsetzliche Schattenseiten – und gelobst mir, nie durch einen weiteren Versuch die Gefahr solcher Schrecklichkeiten wieder heraufbeschwören zu wollen!“

„Wenn Dir daran so viel liegt,“ versetzte Alwine bitter, „so solltest Du mir nicht soviel schönen Stoff einen nach dem andern liefern!“

„Einen nach dem andern … ich verstehe Dich nicht!“

„Du hast mir eben wieder einen Stoff geliefert, und zwar zu einer ‚neuen Griseldis‘.“

„Griseldis? das heißt?“

„Was das heißt, brauche ich Dir wohl nicht zu sagen.“

„Ich weiß nicht, was Griseldis soll?“

„Griseldis hatte einen Gatten, der Parcival hieß. Parcival spielte eine Komödie mit ihr und Griseldis litt darunter unsäglich, weil sie zu einfältig war, zu glauben, daß ihr Gatte sie betrügen und sie blos zum Spiele so grausam leiden lassen könne!“

Ernst lächelte ein wenig betroffen und sagte dann kleinlaut: „Hat das Beziehung auf uns?“

„Ich meine, es hätte Beziehung! Du hast mir eine sehr grausame Komödie vorgespielt! Und hältst Du mich wirklich für so einfältig, daß ich es sogar jetzt noch nicht durchschauen sollte? Du hast mich bewogen, eine Geschichte niederzuschreiben, welche Du kanntest, in der doppelten Absicht, daß mir daraus Verdruß erwachsen und dieser mich von einer Beschäftigung abhalten solle, die nun einmal alle philisterhaften Männer hassen; und dann zu gleicher Zeit, irgend einem Clienten helfen zu wollen, dem Du sonst nicht zu helfen wußtest!“

„Bei dem, was Du mir da sagst, müßte ich eigentlich als ertappter Sünder vor Dir stehen, liebes Kind,“ fiel Ernst etwas verlegen ein, „aber das stolze Bewußtsein, welch’ schlaue kleine Frau ich habe, trägt mich darüber hinweg!“

Er wollte sie bei diesen Worten zärtlich umschlingen und an sich ziehen, aber sie wehrte ihn ab.

„Es ist unverantwortlich, es ist abscheulich von Dir … ich werde Dir das nie vergessen, Ernst!“

„Aber, Alwine …“

„Mich so betrügen und belügen zu können!“

„Ich that es nicht gern – aber ich sah ein, daß ich etwas thun mußte, um Dich von einem verhängnißvollen Wege abzuhalten.“

„Von diesem Wege hättest Du mich durch Gründe abhalten sollen – aber freilich, ehrliche Gründe gegen meine harmlose Neigung hattest Du nicht und deshalb nahmst Du zu dieser Tücke Deine Zuflucht!“

„Alwine … welches Wort!“

„Du verdienst es! Geh’, ich bin Dir ernstlich böse!“

„So will ich mich auf’s Bitten legen. Mein Mittel, Dich von dieser ‚harmlosen Neigung‘ zu heilen, mag ein wenig scharf und stark gewesen sein … ich will es bekennen … vergieb es mir … jetzt, nachdem es doch gut gewirkt hat!“

Sie antwortete nicht. Als er weiter flehte und bat, schien sie gerührt. „Ich glaube wirklich, daß Ihr gar nicht wißt, wie eine Frau empfindet,“ sagte sie endlich in versöhnterem Tone, „sonst könntet Ihr oft nicht so gegen uns handeln, wie Ihr thut!“

„Nimm das an, Herz, und vergieb mir,“ sagte er froh aufathmend, daß der Sturm vorüberzog. „Und sieh’, ich will Dir auch noch einen mildernden Umstand für mich anführen. Ich habe Deine Erzählung gar nicht drucken lassen!“

„Gar nicht drucken lassen! Was heißt das?“

„Ich habe meinen Freund, den Redacteur, gebeten, nur drei Abzüge von der Geschichte machen zu lassen und mir das Manuscript sodann zurückzusenden. Du siehst, es ist also noch nichts verloren – Deine literarische Jungfräulichkeit ist noch unverletzt, der furchtbare Rubicon, über den keine Rückkehr ist, noch nicht überschritten – Dein Name noch nicht gedruckt. Um meinen Zweck zu erreichen, war es genug, wenn ich drei Abzüge machen ließ, einen für Dich, einen für Herrn Färber und einen für den Herrn Wechselsensal Grüler … mehr sind nicht gemacht worden, und Du kannst frei aufathmen und das niederdrückende Gefühl von Dir schleudern, ein – Blaustrumpf zu sein!“

Alwine war stehen geblieben und hatte ihren Gatten, während er sprach, mit einem Blick äußerster Enttäuschung angesehen. „Was,“ rief sie mit erneutem Zorn aus, „ist das wirklich wahr?“

„Du kannst Dich darauf verlassen!“ antwortete er überrascht, daß diese Mittheilung durchaus nicht den erwarteten, sondern einen ganz entgegengesetzten Eindruck zu machen schien.

„Das ist wirklich stark,“ fuhr Alwine mit einem zornigen Kräuseln ihrer Lippen fort … „nun soll ich den ganzen Schrecken, die ganze entsetzliche Angst umsonst gehabt haben? Meine Arbeit ist nicht einmal gedruckt – es ist Alles nur ein Spiel und eine Täuschung?“

Ernst sah sie höchst erschrocken an. Er sah, daß Alles verloren war. Seine kleine Frau hatte die Autorfreuden geschmeckt, sie hatte trotz der Scene vom gestrigen Abende nicht vergessen, was sie empfunden hatte, als sie sich gedruckt gesehen und ihren Namen an der Spitze eines schönen, glänzend ausgestatteten, berühmten, von der Welt gelesenen Blattes – dies Gefühl, dieser kleine Rausch war oben geblieben trotz und bei Allem – und jetzt, wo man ihr es vernichtete mit der Kunde: es war eine Täuschung, die Dir solche Emotionen machte! fühlte sie es in seiner ganzen Stärke.

Sie setzte sich nieder, blickte zum Fenster hinaus und sagte gar nichts mehr. Ihr Gatte mochte es anstellen, wie er wollte, er erhielt keine Antwort von ihr. Es blieb ihm nichts übrig, als sich ihr gegenüber ebenfalls hinzusetzen und zu erwarten, welche Wendung diese stumme Scene nehmen werde.

Ach, sie fiel sehr unglücklich für ihn aus, die Wendung, welche diese Scene nahm; sehr unglücklich für all’ seine Wünsche, sehr bedrohlich für die richtige Beobachtung seiner Tafelstunde, sehr unheilvoll für die regelrechte Behandlung seiner Braten.

Zunächst war es das Dienstmädchen, welches die Wendung hervorbrachte, denn dieses trat herein, und zwar, um einen Brief abzugeben, den eben der Postbote gebracht hatte und der von einer fremden Hand an Frau Alwine Northof adressirt war. Frau Alwine Northof öffnete ihn mechanisch und warf einen gleichgültigen Blick hinein; aber bald belebte sich der Blick und bald erhöhte sich die Farbe der Wangen, und als sie weiter las, trat ein Ausdruck lebhafter Freude in ihre Züge und endlich reichte sie den Brief ihrem gespannt zuschauenden Gatten mit einem ganz eigenthümlichen Blick auf ihn.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 684. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_684.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)