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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Rosel kauerte noch immer unter dem alten Tische; das Herz schlug ihr, als ob es ihr die Brust zersprengen wolle, und sie wagte nicht, sich zu rühren, aus Furcht entdeckt zu werden. Die Gedanken jagten sich ihr durch’s Hirn, und der erste war jedenfalls den Platz zu fliehen, sobald das unbemerkt geschehen könne, und, so rasch sie ihre Füße trugen, nach Wellheim zurückzukehren. Das sonst so besonnene, charakterfeste Mädchen überließ sich indeß nicht lange diesem ersten, lähmenden Eindruck des Schreckes, und je mehr sie nachdachte, desto mehr schwand die Furcht vor irgend einer ihr selber drohenden Gefahr in der Angst um den Vater selbst.

Wohl kam ihr einmal der Gedanke, ihr Vater könne in Wellheim von ihrem Gang gehört haben und ihr gefolgt sein, aber eben so rasch mußte sie ihn verwerfen, denn hatte sie ihn nicht selber sagen hören, daß er schon seit neun Uhr ihren Bruder und jenen widerlichen Fremden hier vergebens erwarte? Weshalb? Was thaten sie hier im Dunkeln und war es etwas Gutes, das sie da mitsammen ausmachten? Sie fürchtete nein, denn dem fremden unheimlichen Menschen traute sie Alles zu, jedes Verbrechen, das er gewiß mit derselben kalten lächelnden Miene verübt hätte, wie er ihr seine faden Schmeicheleien sagte. Aber was konnten sie hier thun? Sie begriff es nicht; wenn sie nur im Stande gewesen wäre, ihnen zu folgen und sie zu belauschen!

Glücklicher Weise trug sie heute Abend ein dunkles Kleid und Crinolinen waren damals auch noch nicht Sitte, sie konnte sich also leicht in jede Ecke, in jeden dunkeln Winkel schmiegen; aber waren sie denn in der Ruine geblieben? Doch ja, es gab ja nur den einen Aus- und Eingang; sie kannte wenigstens keinen anderen, und dort an der Mauer waren sie verschwunden. Wenn sie ihnen dahin folgte, fand sie vielleicht ihre Spuren. Und wenn sie entdeckt wurde? Aber was konnte ihr von ihrem Vater und Bruder geschehen, war es ja doch nur die Sorge um die beiden ihr theuern Menschen, die sie antrieb, ihnen nachzuforschen.

Sie überlegte auch nicht lange; erst aber mußte sie sich das Zeichen sichern, das ihr in Arms Bereich stand; den kleinen schwanken Schößling schnitt sie ab, aber sie durfte ihn nicht mit sich tragen, das Rauschen seiner Blätter konnte sie verrathen. Sie glitt deshalb zu der schmalen Pforte zurück, legte ihn dort außen an die Seite und schlich dann wieder auf den Zehen zu der Stelle, an welcher sie vorher die Gestalten aus den Augen verloren.

Wie dunkel das hier war und wie feucht und modrig es roch, als ob die Luft aus einem tiefen Erdgewölbe käme! Und war das nicht so? Erinnerte sie sich nicht von früher her, hier ein tiefes Loch gesehen zu haben, das weit hinein in die Erde ging, und vor dem sie sich immer gefürchtet hatte? Wenn sie jetzt hier einen Fehltritt that und hinabstürzte in diese grausenhafte Tiefe! Sie hielt erschreckt inne. Da war es ihr, als ob sie von unten herauf Stimmen höre; sie konnte keinen einzelnen bestimmten Laut unterscheiden, doch es wurde dort unten gesprochen, und es mußte irgend einen Platz geben, auf dem sie ebenfalls dorthin gelangen konnte.

Vorsichtig und so geräuschlos wie möglich fühlte sie sich weiter und ihrer fast unbewußt hielt sie noch immer das Messer in der Hand, wie um sich gegen etwas Schreckliches zu schützen. Da plötzlich fand der tastend vorgestreckte Fuß keinen Grund mehr und an der Stelle niederknieend fühlte sie mit der linken Hand, daß dort etwas tiefer unten ein breiter Stein lag. War das eine Treppe? Vorsichtig trat sie hinab und fühlte sich weiter und Stufe nach Stufe legte sie so zurück, bis sie in der kalten Kellerluft ein Frösteln überlief. Jetzt aber war die Treppe zu Ende und ein schmaler feuchter Gang schien noch weiter hinab zu führen, doch wohin? Eine Strecke war sie ihm noch zitternd gefolgt, jetzt indeß wagte sie sich nicht weiter, denn immer steiler und schlüpfriger wurde der Paß, und sie schützte sich nur dadurch vor dem Ausgleiten daß sie sich rechts und links mit den Händen an den nassen engen Mauern hintastete. Aber der Gang nahm kein Ende. Weiter getraute sie sich nicht; wenn sie nun den Rückweg nicht mehr fand und hier um Hülfe rufen mußte!

Da war es ihr, als ob sie einen schmalen Lichtstrahl an der Wand bemerke. Die Stelle konnte kaum noch drei Schritt von ihr entfernt sein, bis dahin wollte sie noch vordringen, aber weiter nicht; es schnürte ihr das Herz zusammen, daß sie kaum mehr athmen konnte. Wie steil und häßlich das hier nieder ging, und wie tief mußte sie schon unter der Erde sein! Doch jetzt hatte sie die Stelle erreicht, und als sie ihre Hand an die Wand legte, fiel ihr das Licht auf die Finger. Sie bog sich noch etwas weiter vor, um zu sehen, woher es käme, und erkannte plötzlich, daß der Strahl aus einem tiefen Gewölbe herausschimmerte, von dem sie nur eine dünne Mauer schied, aus welcher jedenfalls ein Stein herausgebrochen sein mußte.

Die Breite des Durchbruchs verhinderte aber immer noch, daß sie mehr als den oberen Theil des unterirdischen und jetzt matt erleuchteten Gewölbes erkennen konnte, und erst als sie sich mit den Händen anklammerte und dadurch emporhob, durfte sie einen Blick hinabwerfen. Aber selbst dann begriff sie noch nicht gleich, was da unten vorging, denn sie bemerkte wohl die drei Männer, die an einem Tisch standen, sie sah auch, daß der eine von ihnen, jener Fremde, mit einer Art von Maschine beschäftigt war, die vor ihm stand, allein, was sie trieben, begriff sie nicht und schaute nur neugierig und erstaunt in das Gewölbe hinab. Da unten die Männer schienen eifrig bei ihrer Arbeit und zwar der Fremde und ihr Bruder, während der Vater daneben stand, als ob er etwas erwartete. Jetzt wurde eine große Schraube, wie an einer kleinen Art Weinkelter, aufgedreht und der Fremde nahm dann ein Papier heraus, welches er dem alten Mann hinhielt, der es eine ganze Weile prüfend betrachtete und dann auch das Licht hindurchscheinen ließ. Endlich sagte er, indem er das Blatt dem Sohn hinreichte:

„Die werden ganz vortrefflich, viel besser, als ich erwartete, und ehe sie die herausfinden, können wir unser Schäfchen im Trocknen haben. Sind denn noch viele von den Oesterreichern da?“

„Noch wenigstens zehntausend Gulden,“ erwiderte der Fremde.

„Schade,“ sagte der Alte, „aber wir dürfen keine mehr davon ausgeben, denn sie haben in ganz Deutschland Alarm damit geschlagen und in Holland kennt sie jedes Kind. Die mögen lieber ein paar Jahr liegen, bis der Lärm vorüber ist, nachher kann man’s immer wieder einmal damit versuchen, jetzt wär’s zu gefährlich.“

Der Rosel war es, als ob sie Jemand bei der Kehle habe und würge, so verging ihr der Athem, als ihr die Ahnung dessen kam, was da unten getrieben wurde – Banknotenfälschung, denn sie hatte in ihrem Leben zu viel mit Geld zu thun gehabt, um das nicht rasch zu begreifen und zu fühlen, wie fürchterlich, wie entsetzlich es sei.

„Mit den hessischen Noten,“ lachte der Fremde wieder, „ist es doch famos gegangen, mit denen haben wir das beste Geschäft gemacht.“

„Ja,“ nickte der Alte, „und kein Teufel würde dahinter gekommen sein, wenn der eine Grundstrich am B ein klein wenig stärker gewesen wäre. Sollte sich dem nicht noch nachhelfen lassen?“

„Das geht nicht mehr,“ sagte der Andere kopfschüttelnd, „überdies ist jetzt auch der Verdacht darauf gelenkt, und wir dürfen uns keiner unnöthigen Gefahr aussetzen.“

Rosel hörte und sah nichts weiter, die Hände erschlafften ihr, sie sank in den steilen Weg zurück und kauerte sich dort minutenlang in Angst und bitterem Weh am Boden nieder. Aber hier konnte sie nicht bleiben, konnte das Schreckliche nicht länger mit ansehen, und sich gewaltsam emporraffend kroch sie mehr, als sie ging, den steilen, häßlichen Weg wieder hinauf, bis sie die gefährlichen Stufen erreichte. Auch diese kletterte sie hinan, fühlte ihren Weg zurück und stand kurze Zeit darauf wieder in der kalten, frischen Nachtluft im alten Burghof. Aber sie zögerte hier keinen Augenblick mehr; fort, nur fort von dem entsetzlichen Ort, war der einzige Gedanke, der sie erfüllte und ihr die Kraft gab, ihre Glieder zu gebrauchen. Fast mechanisch griff sie den draußen am Eingang liegenden Zweig auf, kletterte die Steinstufen hinunter und floh dann, so rasch sie ihre Füße trugen, den steilen, rauhen Pfad hinab.

Der Mond war indessen untergegangen und tiefe Nacht lag auf der Erde, doch sie achtete es nicht; ob die Büsche ihr Kleid faßten und zerrissen, ob ihr Fuß strauchelte und die tastenden Hände sich lange an häßlichen Brombeerranken blutig gerissen hatten – was fühlte sie davon? Nur vorwärts, vorwärts strebte sie, bis sie die breite Straße wieder erreichte und jetzt noch einmal scheu und entsetzt den Blick zurückwarf zu der alten Ruine, die das Verbrechen ihres Vaters barg.

Mit dem ebenen, glatten Weg wurde auch ihr Gemüth ruhiger, und während sie langsamer auf demselben hinschritt,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 716. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_716.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)