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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Der Pfadfinder des Meeres.
Von M. M. v. Weber.


Wer das Wissen liebt, der liebt auch die Menschheit. Jede große Entdeckung, jedes Auffinden neuer Naturkräfte, neuer Gesetze ist auch das Aufschließen neuer Pfade der Humanität. Wie ein Strahlennetz gehen sie aus vom Wirken großer Männer, die Welt immer dichter mit den Wegen einspinnend, die zur Entlastung von Sclavenarbeit, zur Milderung der Gefahr bei redlicher Thätigkeit, zur Verbreitung des erlösenden Gedankens führen. Die schaumigen Furchen, die unsere Dampfer im Meere ziehen, unsere Eisenstraßen, unsere Telegraphenkabel sind nur Verkörperungen der Wege, welche echte Liebe zur Menschheit geht.

Wenn der Blitz an der Wetterstange herabgeschmettert ist; wenn aus dem nächtigen, sturmaufgewühlten Meere die zitternden Wechsellichter der Leuchtthürme am Horizonte auftauchen; wenn in der beängstigenden Luft des tiefen Kohlenschachtes die bläuliche Flamme der schlagenden Wetter harmlos das Drahtnetz der Davy’schen Sicherheitslampe füllt: da fühlen wir uns von der Nähe des Geistes der Humanität gewaltig erschüttert. Denker und Entdecker erscheinen uns als die wahren Apostel des erquickenden Glaubens an den Fortschritt der Welt nach oben.

Von jeher hat sich im Verkehre mit dem völkerverknüpfenden wie völkerscheidenden Meere und dem damit untrennbar verbundenen Ocean der Luft die naturbesiegende Menschenkraft am weidlichsten geübt. Bisher aber beschäftigte uns fast ausschließlich die Beschaffenheit der Oberfläche und der Untiefen und Küsten des Meeres, jetzt bedürfen wir auch der Kenntniß des tiefen Grundes desselben, auf dem wir unsere Telegraphenkabel führen wollen. Der Pfade sind überall für Wohlfahrt und Freiheit, in den Strömungen des Meeres, in den Winden des Himmels, in den dunkeln Tiefen der Gewässer, aber die, welche sie fanden und ebneten, haben jederzeit zu den besten und stärksten der Menschen gehört. Der Blick auf einen solchen soll uns heut beschäftigen.

Jedem Gebildeten, der mit einiger Aufmerksamkeit die Entwickelungsstadien der größten technischen That unserer Zeit verfolgt hat, durch die dem Gedanken unter den Strömen des Oceans, unter dem Gewimmel seines Lebens hindurch, auf der ruhigen todesstillen Fläche seines Grundes hin, ein Pfad gebahnt worden ist, auf welchem er in Augenblicken den Raum zwischen Continenten überspringt, deren einen der Tag umleuchtet, während den andern tiefe Nacht deckt, ist der Name des Lieutenant Maury von der amerikanischen Marine gegenwärtig. Er war es, dessen jahrelange, mühselige und gefährliche Arbeiten das Terrain, fast meilentief unter der spiegelnden, brausenden Oberfläche des Meeres, erforschten, auf dem der neue Weg des Geistes gebettet werden konnte. Fünfzehn Jahre lang rollte, während unzähliger Kreuz- und Querfahrten auf dem gefährlichsten, aber auch für die Culturwelt wichtigsten der Oceane, dem atlantischen, sein rastloses Senkblei in die Tiefe, die Formation und Beschaffenheit von dessen Boden erforschend. Wer die unzähligen, auch die zäheste Geduld ermattenden Schwierigkeiten kennt, die sich mit Sondirungen im tiefen Meere verknüpfen, wird das Verdienst der Arbeiten ermessen, die ein vollständiges Reliefbild des ewig unsichtbaren Oceangrundes vor das Auge der Welt legten. Bei den hier in’s Spiel kommenden Tiefen, in deren grüne Nacht das leuchtende Gebilde des Montblanc, das uns den Himmel zu tragen scheint, scheitelrecht eingesenkt werden könnte, dauert es stundenlang, ehe das centnerschwere Senkblei, seine Leine nach sich spinnend, den Grund erreicht, halbe Tage lang, ehe es wieder eingewunden werden kann. Die Theilchen des Meeresgrundes, die in der untern, halb mit Talg gefüllten Höhlung des Senkbleies hängen geblieben sind, deuten mit Muschel- und Korallenbröckchen, mit Kieselsandkörnern und Schlammparcellen auf die physische Natur des Grundes hin. Eine unbekannte Strömung, ein aufspringender Windstoß vereitelt das mühselige Experiment, um dessen willen man tage- und wochenlang auf derselben Stelle gekreuzt hat, und läßt oft durch Reißen der sorgsam eingetheilten Leine den ganzen Apparat der Forschung verloren gehen. Oder bei sehr großen Tiefen beginnt die Schwimmkraft der meilenlangen Schnur das Senkblei zu tragen, oder dieses sinkt in Hunderte von Fußen tiefen Schlamm, aus dem die dünne Leine es nicht wieder herauszuziehen vermag, oder die scharfe Kante eines Korallenriffes schneidet diese durch – und was der unzähligen Schwierigkeiten mehr sind. Selten gelingt es, mehr als Eine Sondirung des Tages im tiefen Meere zu machen; wochenlang muß im stürmischen atlantischen Ocean auf einen dem Expertmentiren günstigen Tag gewartet werden.

Der zähe anglo-germanische Geist Maury’s triumphirte über Alles, selbst über die Indolenz derjenigen, zu deren Frommen die unsägliche Arbeit gemacht wurde und die sie freilich auch bezahlen.

Vor dem Lichte, das in seiner Hand Blei, Talg und Schnur auf die Formation des Oceangrundes warfen, zerstreuten sich die Besorgnisse der Gesellschaft des transatlantischen Telegraphen vor der Rauhheit des Bettes, aus dem der verhältnißmäßig so unendlich zarte Faden des leitenden Kabels gelegt werden mußte. Die Schluchten, über die es sich hinzuspannen hatte, die schroffen Felsgrate, die es zerschneiden, die raschen Strömungen, die es zerreiben, die Thiere, die es schädigen, die Eisberge, die es zerquetschen sollten, verschwanden vor Maury’s Blei. Statt ihrer zeigte sich in der Tiefe ein weit nordwärts von den schroffen Bildungen der Korallenthiere gelegenes, größtentheils in langen, sanften Wellen gehobenes und gesenktes, mit aus Muschelbrocken und runden Kieselkörnern gebildetem Sande bedecktes Hochplateau in der unermeßlichen Tiefe. Von der Westküste Irlands aus bis nach Trinity-Bay in Newfoundland, vierhundertachtundzwanzig deutsche Meilen weit, zog es sich mit einer schwachen Krümmung nach Norden in fast ununterbrochener Hebung hin, nirgend tiefer als vierzehntausend fünfhundert und zwanzig Fuß unter den Meeresspiegel herabsinkend, im Ganzen aber sich in einer Durchschnittshöhe von achttausend Fuß unter demselben haltend.

Auf die Ermittelung dieses Hochplateaus begründete die atlantische Telegraphen-Gesellschaft ihre Hoffnungen, die ihre Beharrlichkeit nun auch in der That verwirklicht hat, so daß jetzt die Kabel, welche den Blitz des Gedankens, tausend Mal schneller als den Erdumschwung selbst, von Hemisphäre zu Hemisphäre tragen und die von Valentia ausgehende Botschaft fast um fünf Stunden astronomischer Zeit früher nach New-York bringen, als sie abgesandt wurden, verhältnißmäßig sicher gebettet im Sand und Schlamm des Meeres liegen.

Wenn aber auch diese an die gewaltige Erscheinung der transatlantischen Telegraphie geknüpften Arbeiten Maury’s, die allerdings wohl ausreichten, die ganze Thätigkeit eines hervorragenden Menschen zu umfassen, seinen Namen beim großen, gebildeten Publicum populär machten, so sind sie doch weder die größten, noch die für den Fortschritt der Wissenschaft und des Weltverkehrs bedeutendsten, mit denen sich dieser Geist, rastlos, tief, klar und umfassend wie die Oceane des Wassers und der Luft, in deren Geheimnisse er eindrang, bis zur Erschöpfung beschäftigte.

Unter der heißen Sonne Tennessee’s geboren, behielt Maury’s feuriger Geist immer die dem Kinde in Fleisch und Blut gegangene Sympathie für das Cavalierleben der Südstaaten, die später so verhängnißvoll für ihn werden sollte. Als Midshipman trat er in die Flotte der Vereinigten Staaten. Niemals ist ein Beruf mit mehr tiefinnerster Berechtigung gewählt worden! Maury’s Wesen war ein Theil jener Welt, die Wellen schlägt und Wolken trägt, und kehrte gleichsam nur in ihr heimisches Bereich zurück, als er Seemann wurde. Vom Augenblicke an, wo er das Meer mit Segeln befuhr, war seine gesammte Thätigkeit der Erforschung des eigensten Lebens von Wasser und Luft gewidmet, zunächst in rein physikalisch-wissenschaftlicher Beziehung, dann auch im Hinblick auf die Straßen des Verkehrs in dieser beweglichen Welt.

In einem alternden Staate, der von seinen Functionären nur Dienste, nicht Thaten verlangt, wäre Maury’s Wirksamkeit vielleicht, als nicht genau der Geschäftsroutine der Marine entsprechend, gleichgültig oder sogar mißfällig bemerkt worden; nicht so im Lande der personificirten Jugendkraft, das bei seinem Alexandermarsche an die Spitze der zukünftigen Civilisation noch keine Zeit hat, geniale Kräfte im Schlamme ersticken zu lassen. Maury’s außerordentliche Leistungen erweckten die Aufmerksamkeit der Regierung, und kaum in den Rang eines Schiffslieutenants getreten, wurde er zum Director des National-Observatoriums zu Washington ernannt. Diese wissenschaftlich hochbedeutungsvolle

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 765. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_765.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)