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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

heftigsten Ausdrücken gegen Clemens gesprochen und ihm den Tod im nächsten Herbst angekündigt habe.

An einem Tage der heiligen Woche 1774 empfand der Papst nach dem Mittagsessen plötzlich eine Bewegung im Magen und im Unterleib, wie von einer großen inneren Kälte. Er schrieb dies aber blos dem Zufall zu und heiterte sich nach und nach auf. Man bemerkte aber bald, daß er die Stimme ganz verloren. Er bekam eine „ungewöhnliche Art von Katarrh“. Man beschloß daher, da er am Osterfeste die Messe in einer Capelle der Peterskirche zu lesen hatte, solche Maßregeln zu ergreifen, daß er vor Zugluft geschützt sei.

Der Papst fing nun an, an Entzündungen des Mundes und des Schlundes zu leiden. Er hatte wunde Stellen, welche ihn sehr beunruhigten und ihm einen außerordentlichen Ekel zuzogen. Man bemerkte, sagt der Bericht seines Leibarztes Saliceti, dem wir hier folgen, daß er den Mund immer sperrangelweit aufhalte. Es erfolgte hierauf ununterbrochenes Erbrechen und eine große Schwäche der Füße. Er war oft schläfrig. Hierauf kamen Schmerzen im Unterleib, Zurückhaltung des Harns. Der Papst sprach immerfort davon, daß man ihm Gift gegeben, er wurde sehr kleinmüthig, man hörte ihn oft rufen: compulsus feci! (Ich that es gezwungen.) Er nahm Pillen zu sich, die man ihm als Gegengift bezeichnete.

So währte es die Monate Mai, Juni, Juli. Die Entzündungen in der Mund- und Rachenhöhle dauerten fort. Die Kräfte des Patienten nahmen fortwährend ab. Im Juli fing er an, ein „Blutreinigungswasser“ zu trinken, dessen er sich alle Jahre bedient hatte. Das Halsweh, die Entzündung des Rachens, die Schwäche und der außerordentliche Schweiß hörten nicht auf.

Wohl mochte der arme kranke Ganganelli wissen, wie er daran sei! Wem konnte er trauen? Auf welchen Arzt und welchen Koch sich verlassen? Wir werden später sehen, wie geheime Hände bis in sein Bureau zu langen und Papiere hineinzuschmuggeln verstanden …

Ende August begann der Papst den Ministern wieder Audienz zu ertheilen. Er hatte seine natürliche Frische und Leutseligkeit verloren, war sehr reizbar und wurde leicht zornig.

Schon seit Monaten fand man auf in’s Auge fallenden Mauern der Häuser die Buchstaben

I. S. S. S. V.

Man wußte nicht, was das zu bedeuten habe. Die visionäre Nonne von Valentano gab aber bald die Aufklärung. Es habe zu bedeuten:

In settembre sarà sede vacante.
Im September wird der Stuhl vacant sein.

Nach allen diesen Ereignissen bekam Clemens am 10. Septbr. ein Fieber mit Ohnmachten und einer so gänzlichen Entkräftung, daß man seinen Tod täglich erwartete. In dieser Zeit schrieb Cosmas Schmalfuß, Augustiner und Assistent seines Ordensgenerals, an diesen in einem noch vorhandenen Briefe: moritur cum gravissima de propinato veneno suspicione; er stirbt unter größtem Verdacht der Vergiftung. Man ließ Ganganelli zur Ader – etwa zehn Unzen Blut – fand aber kein Zeichen von Entzündung darin. Das Blut hatte sein gehöriges Serum. Am 11. verlor sich das Fieber, der folgende Tag war gut. Die Kräfte erholten sich, der Papst sprach davon, seine gewohnten Spaziergänge zu machen und nach Castelgandolfo zu gehen.

Am 15. kam die Schwäche wieder, mit einem Tag und Nacht anhaltenden Schlafe. Nur in der Nacht des 18. wachte er etwas. Als er am 19. über eine Entzündung des Unterleibes mit Harnverhaltung klagte, öffnete man ihm abermals die Ader. Der Unterleib zeigte beim Druck keine Schmerzen, die Brust war frei.

Am 20. schien es besser zu gehen, aber die Nacht wurde sehr unruhig; er klagte über unbeschreiblich große Schmerzen und verfiel in wilde Delirien. Am 21. wieder ein Aderlaß. Der Unterleib war sehr geschwollen, er konnte nicht harnen. Man gab ihm die letzte Oelung. Am 22. gegen dreizehn Uhr römischer Zeit gab er den Geist auf.

Er hatte die Publication der Aufhebungsacte ein Jahr, einen Monat und sechs Tage überlebt. Gerade vierundzwanzig Stunden später wurde die Oeffnung der Leiche zum Zweck der Einbalsamirung vorgenommen. Das Gesicht des Todten war blaß, Lippen und Nägel schwarz (soll wohl blau heißen?), der Rücken schwärzlich, der Unterleib sehr aufgedunsen.

„Bei der Oeffnung der Leiche,“ sagt Saliceti, „fand man die linke Lunge an der Brustwand angeheftet, entzündet. Beide Lappen waren voll geronnenen Blutes. Das Herz war ganz klein und gar kein Wasser im Herzbeutel. Unter dem Zwerchfell sah man Magen und Gedärme mit Luft gefüllt, sie waren ‚krebsartig degenerirt‘. Als man die Speiseröhre aufschnitt und bis zum Magen und den kleinen Gedärmen fortschritt, fand man den ganzen innern Theil der Speiseröhre krebsartig, ebenso den obern und untern Theil des Magens. Dieser und die Gedärme waren mit atrabiliarischer Flüssigkeit (kaffeesatzähnlicher Masse) bedeckt. Die Leber war sehr klein, die Gallenblase groß, mit einer ähnlichen Flüssigkeit angefüllt, wie die, welche die Magenwände bedeckte. In der Bauchhöhle war viel Wasser.“

So Saliceti. Man legte die Eingeweide in ein Gefäß. Es zersprang in der Nacht und füllte das Zimmer mit einem schrecklichen Gestank. Am 24. mußte man die Professoren wieder rufen lassen, da auch der Leichnam einen gar zu unerträglichen Gestank von sich gab. Das Gesicht war aufgelaufen, ganz schwarz, ebenso die Hände, auf der äußeren Fläche derselben zeigten sich mehrere, zwei Querfinger hohe, mit Wasser angefüllte Blasen, als ob man siedendes Wasser auf die Hände gegossen. Eine große Menge Flüssigkeit floß aus dem Bette ab und über den Boden. Die Professoren konnten das nicht begreifen, da sie doch die Einbalsamirung mit größter Sorgfalt vorgenommen. Man wollte den Leichnam in einen Sarg bringen und verschließen, enthielt sich aber dessen, weil der Monsignor Maggiordomo besorgte, es könne dies eine üble Wirkung beim Publicum hervorbringen. Als man nun dem Leichnam die päpstlichen Kleider abzog, ging ein großer Theil der Oberhaut mit, die Nägel sonderten sich ab, ebenso blieben die Haare auf dem Kopfkissen liegen. Auf dem Rücken fand man die Haut abgelöst.

Diese auffälligen Erscheinungen an der Leiche riefen große Bestürzung hervor. In Rom war nur eine Stimme darüber, der Papst sei vergiftet worden, man wollte wissen, er habe die Aqua tofana erhalten. Als Saliceti, der päpstliche Leibarzt, in einem Bericht die Krankheit des Papstes als Scorbut bezeichnete, glaubte dies Niemand.

Diese Erscheinungen an der Leiche waren es besonders, welche die Zeitgenossen glauben ließen, Ganganelli sei an Gift gestorben; allein sie haben gar keine Bedeutung. Die schwärzliche Färbung des aufgedunsenen Gesichts, die Blasen auf den Händen, das Sichablösen der Oberhaut und das Abfallen der Haare sind lauter Fäulnißerscheinungen, deren Grund in keinem dem Verstorbenen gereichten Gift zu liegen braucht. Unbegreiflich ist es nur, daß die Professoren behaupteten, die Einbalsamirung nach aller Kunst vollzogen zu haben. Bei gelungener Einbalsamirung sind diese Erscheinungen unmöglich. Doch schon das so feste Zubinden des die Eingeweide enthaltenden Gefäßes zeigt, was für Pfuscher da thätig waren.

Aber etwas Anderes ist bedenklich. Der Sectionsbefund und die Krankheitsgeschichte sind nicht miteinander in Einklang zu bringen. Wir sehen die Krankheit, den constatirtesten Berichten gemäß, mitten bei vollem Wohlsein nach einer Mahlzeit beginnen. Heiserkeit stellt sich ein, also Entzündung der Stimmbänder; Ganganelli glaubt einen Katarrh zu haben. Nun beginnt eine heftige Entzündung der Rachenhöhle und des Schlundes; es ist, als hätten wiederholte Versuche, ihm eine sehr ätzende, corrosive Flüssigkeit beizubringen, stattgefunden. Die sogenannte krebsige Entartung der Speiseröhre und des Magens muß aber sehr bezweifelt werden, und war jedenfalls nicht krebsiger Art.

Uebrigens fühlten auch die Jesuiten und deren Anhänger, daß dieser Krankheits- und Todesfall gar zu exceptionell sei, um medicinisch erklärt werden zu können, und da das kein natürlicher Tod sein konnte, mußte es ein übernatürlicher sein. Es war ein göttliches Strafgericht. Ein göttliches Strafgericht ist souverain und braucht sich nicht an die für alle Wochentage und alle andern Erdenkinder geltende Pathologie zu halten. Höchst interessant ist in dieser Hinsicht die Aeußerung des französischen Hofpredigers, des Abbé Bonaventura Proyart, wie er sie in seinem Buche „Louis XVI détrôné avant d’être roi“ darlegt.

„Der Tod Ganganelli’s,“ sagt er, „trug den Stempel der göttlichen Rache klar an sich. Umstände, welche sichtlich aus dem Kreis der natürlichen Ordnung der Dinge heraustreten, begleiteten ihn. So wurden die Prophezeiungen erfüllt. Bernhardine Ranzi

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_010.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)