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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

schon niedergedrückt dachte, als man zu einem solchen Mittel der „Beschämung“ greifen konnte. Ebenso häufig wurden aber wirkliche Verbrecher der öffentlichen Schandausstellung unterworfen, ehe man sie zur Verbüßung ihrer Freiheitsstrafen in die Zucht- oder Arbeitshäuser abführte. Der Delinquent wurde, je nach der Sitte der Zeit und der Schwere der Unthat, vom Henker oder vom Büttel (Gerichtsdiener) zur Schandstätte gebracht und ihm hier das Halseisen umgelegt. Man wählte dazu gern einen Wochenmarkttag, wo auch das Landvolk aus der Umgegend in der Stadt anwesend war. Nachdem eine Gerichtsperson dem versammelten Publicum die gefällte Strafe und ihre Ursache publicirt, hängte man dem Ausgestellten eine Tafel um den Hals, auf welcher in großen Buchstaben seine Schuld geschrieben stand. Die Gerichtspersonen zogen sich hierauf zurück und gaben dadurch dem Janhagel der Straße das Zeichen, daß nun seine Zeit gekommen sei, mit faulen Eiern, verfaultem Obst und selbst dem Koth der Straße an dem gefesselten Mann des Halseisens sein Müthchen zu kühlen, bis die hohe Obrigkeit es angezeigt fand, dem Scandal ein Ende zu machen.

Von allen fremdländischen Auswüchsen der Praxis einer hohen antinationalen Rechtsgelahrtheit hat die Prangerstrafe sich am längsten erhalten. Ich selbst entsinne mich noch eines Tages meiner Knabenzeit, wo unser Classenlehrer in der Rathsschule zu Koburg uns eine Stunde früher, als die Schulordnung bestimmte, entließ, weil ein Baumdieb mit der Schandtafel am Pranger ausgestellt werde. Der Lehrer, selbst ein eifriger Baum- und Gartenfreund, erfüllte durch eine beredte Schilderung der Häßlichkeit eines solchen Frevels, wie ein Baumdiebstahl es sei, unsere jungen Herzen mit mächtiger Erbitterung gegen den Verbrecher, und so rannten wir stürmisch dem Marktplatze zu. Ein großer Haufen Kinder anderer Classen und Schulen stand bereits um den Pranger herum; das erwachsene Geschlecht hatte sich nicht eben zahlreich eingestellt. Unter den Knaben tobte ein wahrer Wetteifer der Betheuerungen, wie man „den schlechten Kerl“ mit faulen Eiern und Koth „plätzen“ (d. i. werfen) wolle. Punkt halb zehn Uhr führte man den Gefesselten auf seinen traurigen Platz und hing ihm die Schandtafel mit der Aufschrift „Baumdieb“ um. Als der Unglückliche, ein schon ältlicher Mann, die Menge Kinder sah, fing er bitterlich zu weinen an. Damit hatte er es bei uns gewonnen; wollte auch ein Haufen wilder Vorstadtjungen mit dem „Plätzen“ beginnen, so blieb’s doch bei ein paar unschädlichen Versuchen. Die bessergearteten Knaben waren nun einmal vom Anblick der Mannesthränen ergriffen – und beschämten die „Carolina“. Nur „Baumdieb“ riefen viele Kinder, aber meist die Mädchen. Nach einer halben Stunde führte man den Verbrecher in’s Zuchthaus auf die Veste Koburg ab, wo seiner, nach der Hausregel jener Zeit, zum Willkommen fünfundzwanzig Stockprügel harrten. Das war am 4. Juni 1822.

Ja, die gute alte Zeit hat in dieser Beziehung lange genug gedauert, und leider giebt es sogar deutsche Gegenden, wo sie noch heute nicht zu Ende ist.

H. v. C.




Die Büßer und Quacksalber in Böhmen.[1]


Es ist kaum glaublich, wie rohe Unwissenheit und blödsinniger Aberglaube einerseits, rücksichtslose Curpfuscherei und Quacksalberei andererseits in gewissen Gegenden auf dem Lande sich breit machen und immer mehr überhand zu nehmen drohen. Der wissenschaftlich gebildete Arzt, der sich bestrebt nach rationellen Grundsätzen der leidenden Menschheit zu Hülfe zu kommen, muß es geduldig hinnehmen, gewissenlose Curpfuscher aller Art, als Hirten, Abdecker, Büßer, Hebammen etc. sich zur Seite stellen zu lassen, und das Publicum ist es gewöhnt, alle diese Quacksalber in eine Kategorie mit dem ärztlichen Stande zu werfen.

Die rohesten und gefährlichsten dieser Quacksalber, die nichts destoweniger den ausgebreitetsten Ruf beim Landvolke genießen, sind die sogenannten „Büßer“. Dies sind gar altkluge Gesellen und durchtriebene Erzgauner, deren Handwerk vorzüglich auf Bigotterie und rohen Aberglauben begründet ist; denn sie verstehen es, ihr betrügerisches Gebahren mit einem gewissen religiösen Schein zu umgeben, und verschmähen es nicht, ihre Zuflucht zu gewissen Stoßgebetlein und Stoßseufzern zu nehmen, was natürlich stets Eindruck bei den Gläubigen macht und viel Anklang bei dem bigotten Landvolke findet. Bekanntlich stehen diese Gauner bei diesem in einigen Gegenden in dem Rufe, gewisse Krankheiten ohne vorausgegangene Untersuchung und ohne alle Arzneimittel durch bloße Sympathie zu heilen, wobei vorzüglich verschiedene leere ceremonielle Gebräuche die Hauptrolle spielen, die um so genauer und gewissenhafter eingehalten und ausgeführt werden müssen, um das darein gehüllte Nichts desto besser zu verbergen, als: bloßes Geschreibsel von unleserlichen Schriftzügen, eine Art Hieroglyphen auf schmutzigen Zetteln, die von den auf den Leim gegangenen Gimpeln oft jahrelang bei sich herumgetragen werden in dem durch nichts zu erschütternden Wahne, dergleichen Zettel seien das sicherste und gründlichste Präservativmittel gegen alle möglichen Krankheiten.

Diese Gauner hausen gewöhnlich nur vereinzelt wie die wilden Thiere in den ödesten und unwirthlichsten Gegenden und treiben daselbst ihr Unwesen; es ist auch nicht nöthig für sie, sich in bevölkerten Gegenden niederzulassen, denn sie heilen Kranke aller Art, ohne sie zu sehen und zu untersuchen. Man muß es leider bekennen, daß diese berüchtigten Heilkünstler ihr Handwerk gar meisterhaft verstehen und mit einer besondern Schlauheit dabei zu Werke gehen. Die meisten derselben beobachten nämlich die Vorsicht, für ihre Hülfeleistung nur ein geringes Entgelt zu beanspruchen, was in Verbindung mit der wohlfeilen Cur, da der Patient keine Medicamente aus der Apotheke benöthigt, so Manchen in’s Netz lockt. Dagegen lassen sie es wohlweislich nicht außer Acht, irgend ein Kleidungsstück von dem Patienten, aber wohl gemerkt ein neues oder wo möglich nur wenig getragenes, gewöhnlich ein neues oder wenig abgenutztes Hemd, entgegen zu nehmen, was vor der großen Menge, weil es so herkömmlich und so gang und gäbe ist, gerade nicht so genau im Werthe taxirt und selbst von dem Aermsten gern geopfert wird. Der Lohn, der dem Boten für seinen oft meilenweiten Weg ausgezahlt wird, um den Büßer aufzusuchen, wird überdies gar nicht in Betracht gezogen. (Hierbei kommt nicht selten der Fall vor, daß so mancher kluge Vogel als Bote, mit den hochweisen Ansichten des abergläubischen Patienten über die Heilkunst des Büßers nicht recht einverstanden, in der nächsten besten Wirthschaft hocken bleibt und dann bei der Rückkehr selbst die bekannten Kritzler und unverständlichen Hieroglyphen in der Eile auf ein Stückchen Papier hinkleckst, und wunderlich, auch diese haben nicht selten geholfen!)

Eine fernere Vorsicht dieser Gauner ist die, daß sie sich wohl hüten, ihre Kunst bei schweren, oft tödtlich verlaufenden Krankheiten, als bei bedenklichen Gehirnleiden, bei Apoplexien (Schlaganfällen) oder anderen Desorganisationen des Gehirns, ferner bei schweren Lungenleiden, bei Lungenentzündung oder Lungensucht, oder bei schweren Leber- und Unterleibsleiden, beim Typhus, bei der Cholera, Bauchfellentzündung oder dem Kindbettfieber etc. in Anwendung zu bringen, weil bei den genannten Krankheiten der Ausgang ein unsicherer ist und somit der prophetische Geist der Büßer hier sehr leicht zu Schanden werden könnte.

Sie richten ihr Augenmerk vielmehr nur auf leichtere Fälle, auf mehr äußerliche und gewisse zumeist chronisch verlaufende Krankheiten von minder bösartigem Charakter, als: Gicht und Rheumatismus, Rothlauf, gewisse äußere gutartige Geschwülste und Hautausschläge (Warzen, Ueberbeine), vorübergehende schmerzhafte Zustände (halbseitiger Kopfschmerz, Zahnschmerzen etc. – namentlich im „Verthun“ aller Art Schmerzen sind sie Meister) – Wechselfieber etc. Bei diesen Krankheiten ist der Ausgang in der Regel kein tödtlicher, und sie haben zugleich das Charakteristische, daß sie bei den daran Leidenden oft auf die geringste Veranlassung neuerdings auftreten. Selbst hier gebrauchen die Büßer wieder eine besondere Vorsicht, damit sie ja nicht irre gehen und es mit ihrem Rufe als bewährte Heilkünstler beim Volke nicht verderben.

  1. Viele der in dem obenstehenden Artikel gerügten Mißstände sind nicht blos in Böhmen heimisch, auch in anderen, namentlich in Gebirgsgegenden Deutschlands findet sich des ähnlichen Aberglaubens noch mehr als genug.
    D. Red.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_039.jpg&oldid=- (Version vom 26.2.2017)