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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

werde. Daß in einem geordneten Staate ein derartiges Auftreten unter keinen Umständen geduldet werden darf, ist keine Frage, denn die Achtung vor der Obrigkeit würde dadurch untergraben. Es kommt nicht darauf an, ob ein oder der andere zur Zuchthausstrafe Verurtheilter seine Strafe abbüße oder nicht; aber es kommt wohl darauf an, daß die Gesetze und Diener der Gesetze nicht verhöhnt und beschimpft werden. Kaum hörte daher der damalige Landrath des Kreises Moers, in dem Alpen liegt, von Enshausen, von dem Treiben Brinkhoff’s, so entbot er alle ihm zur Disposition stehenden polizeilichen Kräfte. Er selbst, an der Spitze von Kreissecretair, Kreisbote, Gensd’arm und mehreren Polizeidienern, umstellten in der Nacht vom 1. auf den 2. December das väterliche Haus des Brinkhoff und schritten sodann zur Haussuchung. Im Hause fand sich nichts, als ein neu angelegter heimlicher Durchgang nach dem Nachbarhause. Plötzlich aber erschien eine Person in dem Durchgang, der das Brinkhoff’sche Haus von dem des Nachbarn trennte und dessen Ausgang von einem Polizeidiener besetzt war. Es war Brinkhoff; den Revolver in der Hand rief er dem Polizeidiener zu: „Mach’ Dich fort.“ Als dies nicht sofort geschah, fiel ein Schuß, durch welchen der Polizeidiener am Arme unerheblich verwundet wurde. Der Durchgang war frei und Brinkhoff floh in den nahegelegenen, mit Moor und Sumpf durchzogenen Wald, genannt „die Leucht“.

Brinkhoff war frei, aber es war eine schreckliche Freiheit!

Die Behörden gingen jetzt zu einer energischen Thätigkeit über. Auf die Habhaftwerdung des Brinkhoff wurde eine Geldbelohnung von zwanzig bis achtzig Thaler gesetzt. Brinkhoff verhöhnte die Polizei; er schlug Bekanntmachungen an die Bäume des Waldes an, in denen er ebenfalls eine Belohnung von fünfzig Thalern Demjenigen versprach, der ihm einen Polizeibeamten todt oder lebendig liefere.

Das Publicum wurde nun auf die Strafe der Theilnahme an einem Verbrechen aufmerksam gemacht; Jedem wurde es eingeschärft, daß es schon eine strafbare Handlung sei, den Brinkhoff in sein Haus aufzunehmen, dem Hungernden ein Stück Brod zu schenken.

In einer dieser Publicationen heißt es wie folgt:

„Wer auf irgend eine Weise mit dem Wilhelm Brinkhoff, genannt Lemke, verkehrt, ihm Eßwaaren oder Schießbedarf bringt, ihn verbirgt, seinen Aufenthalt nicht anzeigt, oder in irgend einer Weise seinen Ungesetzlichkeiten Vorschub leistet, wird sofort zur Haft gezogen werden.“

Brinkhoff war mithin vogelfrei im vollen Sinne des Wortes.

Die Bürgermeister der Umgegend boten alle disponiblen Mannschaften auf und hielten Kesseltreiben; ein Militärcommando wurde von Wesel requirirt, das den ganzen Wald mit einem Cordon umzog; kurz man stellte eine Jagd an, welche jeden gewöhnlichen Menschen zur ruhigen Unterwerfung bewogen hätte, die indessen bei Brinkhoff nur die Folge hatte, daß er sich entschloß, sein Leben so theuer wie möglich zu verkaufen. Allen, die ihm zu Gesicht kamen, theilte er mit, daß er entschlossen sei, Jeden, der ihn angreifen wolle, zu erschießen. Daß dies keine Redensart war, geht daraus hervor, daß er sich bald ein Jagdgewehr mit Pulver und Blei zu verschaffen wußte. Am 5. December, am hellen Tage, drang er, den Revolver in der linken Hand, in die alleinstehende Wohnung eines Waldhüters, und mit den Worten: „Du bist der Kerl, der mich verfolgt hat! Jetzt müßte ich Dich niederschießen, das Gewehr nehme ich zu meiner Sicherheit mit; dann werde ich Dich kriegen; wenn Du vor die Thüre kommst, schieße ich Dich nieder,“ ergriff er mit der rechten Hand dessen an der Wand hängendes Jagdgewehr nebst Pulverhorn und Schrotbeutel und entfernte sich.

Er hatte nun eine Waffe, die in der Hand des nie Fehlenden noch Manchem das Leben gekostet hätte, wenn nicht sein Schutzengel ihm zur Seite gestanden. Als Brinkhoff’s Frau von diesen Vorgängen hörte, entschloß sie sich, sein Elend zu theilen, um ihn nur vom Verbrechen zurückzuhalten. Im December bei Kälte, Nässe und Frost ging das an allen Comfort des Lebens gewöhnte junge Weib in den Wald und suchte den armen Mann. Sie theilte sein Lager unter freiem Himmel auf zusammengescharrtem Laub, sie theilte das letzte Stück Brod mit ihm, das sie mitgebracht hatte, und hungerte dann mit ihm. Allein sie wirkte auch auf ihn, daß er die blutigen Gedanken fallen ließ. Einige Tage darauf begegnete er einem andern Förster im Walde; nachdem er anfangs demselben mit der Pistole gedroht hatte, sagte er: „Ich thue Ihnen nichts und werde auch Niemand etwas thun.“

Auf den 11. December war großes Treibjagen arrangirt. Alle Männer von sechs um den Wald herumliegenden Bürgermeistereien, die Waffen tragen konnten, besetzten die Leucht, den Wald, in dem sich Brinkhoff aufhielt. Es war eigentlich nicht mehr nöthig, denn Kälte und Hunger sind mächtiger als die Menschen, und der Anblick eines geliebten Weibes, das hungert und friert, zwingt auch den energischsten Mann, um die Geliebte zu retten, sich in das Unvermeidliche zu fügen.

Am Abend vor jenem Treibjagen schlich sich Brinkhoff an ein einsam gelegenes Gehöft. Als der Bauer desselben vor die Thür kam, hörte er leise seinen Namen rufen; es stand dort Brinkhoff mit seiner vor Kälte zitternden Frau; er bat um etwas warmes Essen und um ein Nachtlager. Der Mann, von Mitleid gerührt, konnte ihm Beides, trotzdem, daß er mit Bestimmtheit wußte, daß sein Haus revidirt werden konnte, nicht abschlagen. Ohne irgend einem Hauseinwohner etwas zu sagen, brachte er das Ehepaar in eine Stube seines Hauses, gab ihnen warmes Abendessen und räumte ihnen ein Bett ein. Ha, welch’ ein Genuß, im warmen Bett zu schlafen, nachdem man im December beinahe vierzehn Tage unter freiem Himmel zugebracht hat!

Doch die Gefahr war groß. Brinkhoff wurde bereits um drei Uhr geweckt, allein er konnte sich nicht entschließen, das langentbehrte Bett zu verlassen. Um fünf Uhr jedoch verließ er mit seiner Frau das Haus und brachte diese in ein etwa zehn Minuten entferntes leer stehendes Häuschen, das der Bauer zu einer Werkstätte benutzte. Dort machte er Feuer an und wartete den Tag ab. Es war aber auch die höchste Zeit gewesen, denn noch vor Tagesanbruch erschienen die ersten Schützen des angesagten Treibens. Zwei Polizeidiener, unkenntlich gemacht durch blaue Bauernkittel, besetzten das Haus des Bauern und legten sich hinter der halbgeöffneten Thür auf die Lauer. Gegen Tagesanbruch bat Frau Brinkhoff ihren Mann, zu versuchen, ob er vielleicht von dem Bauer ein wenig Milch erhalten könne. Brinkhoff ging nach dem Hause und rief leise den Namen des Bauern. Als er keine Antwort erhielt, entfernte er sich wiederum in der Richtung nach dem Häuschen, wo seine Frau sich befand. Da machte der eine Polizeidiener rasch die Thür auf und schoß auf eine Entfernung von vier Schritten Brinkhoff zwei Schrotladungen in Rücken und Beine. In diesem Moment bewies Brinkhoff die Geistesgegenwart, welche dem Amerikaner in der gefährlichsten Lage eigen ist. Mit dem Ausrufe: „O weh!“ drehte er sich um, und im nächsten Moment lag der Polizeidiener, der geschossen hatte, in’s Herz getroffen, todt zu seinen Füßen, und der andere, der im Anschlag lag, erhielt einen Streifschuß an den Kopf; der Menschenjäger hatte die auf Brinkhoff’s Kopf gesetzte Prämie theuer erkauft!

Brinkhoff verschwand im Dickicht des Waldes, aber durch die an den Beinen erhaltenen Verletzungen kam er nicht weit; er blieb liegen. Seine Frau kam ihm zu Hülfe; man brachte ihn in die ärmliche Hütte eines Taglöhners und legte ihn in’s Bett. Dort wollte er zuerst seinem Leben ein Ende machen, allein seine Frau faßte seine Hand mit dem gespannten Revolver und brachte ihn durch die Worte: „Wilhelm, wenn Du auch festkommst, ich werde Dich immer besuchen,“ von dem Entschluß ab. Er ergab sich nun in sein Schicksal und wollte nach Alpen gefahren werden, um sich dort den Behörden zu überliefern.

Unterdessen war auch eine Abtheilung Militär bis zu der Taglöhnerhütte gelangt, in welcher Brinkhoff lag. Als Letzterer dies hörte, sprach er den Wunsch aus, sich diesem zu ergeben. Der commandirende Lieutenant trat in die Stube. Brinkhoff überreichte ihm mit den Worten: „ich übergebe mich Ihnen,“ seine Waffen, Revolver und Jagdmesser (das verhängnißvolle Gewehr hatte er gleich nach dem Schuß fortgeworfen) und wurde sodann mit seiner Frau, die man für seine Zuhälterin hielt, über Alpen und Wesel in das Arresthaus zu Cleve geführt. Als er in Alpen ankam und ihm mitgetheilt wurde, daß der eine Polizeidiener todt sei, fing er unter den Worten: „also wirklich todt! Hätte der Mann mich nur angerufen, dann wäre das Unglück nicht geschehen!“ heftig an zu weinen.

Die Abführung Brinkhoff’s in das Arresthaus glich einem Triumphzuge; so hatte er namentlich überall die Damen auf seiner Seite, die sich herandrängten, um ihn zu sehen. Große Freude verursachte die Einbringung des Brinkhoff bei den Sicherheitsbeamten;

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_055.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)