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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Er ward allmählich unempfindlicher gegen die Sticheleien, die er von Andern zu hören bekam, daß er wohl thue, eine reiche Frau zu nehmen, die zu dem Gelde auch gleich die Geldcasse mitbringe, oder daß er nicht mehr nöthig habe, in den Wirthshäusern herumzuziehen, weil nun die Frau ihm selber zum Tanz aufspielen werde – sein Widerstand ward immer schwächer und schwächer und zuletzt hatte er eingewilligt, ohne eigentlich Ja gesagt zu haben.

An Neckereien fehlte es auch diesen Abend nicht.

In einer Ecke, dem Brauttische gegenüber, hatten sich einige Burschen bereit gesetzt und ließen sich Karten geben, zum Scheine nur, als ob sie ein Spiel machen wollten: im Ernste war der Tag zu heilig dazu. „Nun,“ riefen sie herüber und ließen die Blätter schwirrend durch die Hand gleiten, „wie ist’s, Clarinetten-Muckel? Uns fehlt der vierte Mann – willst nit ein Labet mitmachen?“

In den Augen des Gerufenen leuchtete es unwillkürlich auf, er mochte auch mit den Beinen unterm Tisch eine Bewegung gemacht haben, als verspüre er Lust, der Aufforderung nachzukommen; aber ein Puff, den ihm die Nachbarin zur Linken ebenfalls unterm Tisch versetzte, brachte ihn augenblicklich wieder zur Besinnung. Mit der andern Hand hielt sie ihm während dessen das gefüllte Glas hin, um mit ihr anzustoßen; sie lächelte ihn auf’s Freundlichste an und schalt ihn dabei leise tüchtig aus. „Untersteh’ Dich,“ sagte sie, „nur mit einem Aug’ zu Deinen alten Cameraden hinüber zu blinzeln – jetzt gehörst Du nirgends hin, als zu mir her!“

Ehe Muckl antworten konnte, rief es ihm schon wieder von anderer Seite zu. Die Kellnerin, eine runde lustige Dirne, die eben nebenan eine Ladung von Krügen absetzte, nickte mit der Vertraulichkeit einer alten Bekannten herüber. „Wirst wohl nit hochmüthig werden, Klankenetten-Muckl,“ sagte sie, „und wirst mich auch einladen zur Hochzeit? Ich mach’ Dir’s wett’ – ich mach’ auch nächstens Stuhlfest, da kannst mir dann einen neuen Landlerischen aufspielen dafür!“

Auch hier war dem Geplagten die Antwort erspart; ein Puff unterm Tisch von der andern Seite belehrte ihn, daß der Krämer ihn der Mühe überheben wolle. „Weißt was, Kathl,“ sagte er, „laß Dir die Musikanten aus der Stadt kommen, daß sie Dir zu Deiner Hochzeit aufspielen! Mein Schwiegersohn rührt kein’ Klankenett mehr an, daß Du es weißt – bei dem geht’s jetzt aus einem andern Ton, als daß er den Bauern noch was vorblasen müßt’!“

„Wie ist das?“ riefen Stimmen dagegen. „Sind wir ihm die Zeit her gut genug gewesen, daß er sein Brod verdient hat von uns? Und jetzt wär’s ihm zu gering, daß er uns Bauern was vorblasen sollt?“

„Das leiden wir nit!“ schrieen Andere. „‘Naus mit ihm! Packt’s ihn am Kragen und zieht’s ihn über’n Tisch – er soll uns was vorblasen und gleich jetzt, oder wir kehren den Stiel um und spielen auf, daß er dazu tanzen soll …“

Der glückliche Hochzeiter begann in gelinden Angstschweiß zu gerathen, denn die entrüsteten Bursche waren aufgesprungen und schrieen in gedrängtem Kreise lärmend auf die verdutzte Gesellschaft hinein – wer weiß, wozu es vielleicht noch gekommen, trotz der Heiligkeit des Abends, wäre nicht plötzlich vor dem Hause lautes ängstliches Rufen vernehmbar geworden. Es kam immer näher, es war deutlicher Hülferuf; Alles hielt inne und wandte sich der Thür zu, ein Knecht stürzte fast athemlos herein und brachte die Nachricht, es sei Jemand im See durch’s Eis gebrochen – man höre das grausliche Geschrei aus der Ferne, aber es traue sich Niemand hinein, denn das Eis sei mürb und brüchig, der See sei dort am allertiefsten und wer hineinkomme, zumal unter’s Eis, sei mit dem Andern rettungslos verloren.

Nur wenige Augenblicke und die Stube war fast geleert; Viele rannten hinab zum Seegestade, an welchem schon Einige rathlos schreiend durcheinander liefen. Es begann eben schwach zu grauen und über die beschneite Eisdecke hin war eine dunkle Stelle zu erkennen, von welcher der Hülferuf schon ermattet und in immer längeren Absätzen herüber kam. „Die Lise ist’s,“ tönte es den Kommenden entgegen, „der Stimme nach ist’s kein anderer Mensch, als die Botenlise! Sie ist Nachts im Dorf gewesen und muß auf dem Heimweg’ die ausgesteckte Bahn auf dem See verfehlt haben! So muß sie an ein Fischloch gekommen sein und ist eingebrochen!“

Ueber der unruhigen Menge, an einer etwas erhöhten Stelle, von der man den ganzen See übersah, stand unter dem weitverzweigten dunklen Gezweige eines mächtigen Buchenstammes eine dicht verhüllte weibliche Gestalt und starrte unbeweglich nach dem Orte des Unheils.

Jetzt wurden Fackeln gebracht; ihr Schein flackerte weit hinaus und beleuchtete denselben.

„Sie rührt sich auf einmal nicht mehr!“ sagte Einer, „sollte sie schon untergegangen sein …“

„Wär’ kein Wunder, wenn sie schon erstarrt wär’ in dem kalten Bad …“ rief ein Anderer, „aber das ist es nicht! Es ist schon Jemand draußen bei ihr …“

„Bei ihr draußen? Wer thät sich untersteh’n, da hinaus zu geh’n!“

„Es ist doch so – ich seh’s ganz deutlich, wie er sich niederbückt … er will sich auf den Boden niederlegen und auf dem Eis zu ihr hinrutschen …“

Der Ruf einer fernen Männerstimme ward vernehmbar.

„Hörst? … Er sagt, es soll Niemand nachgeh’n – das Eis sei zu schwach und trage die Last nicht …“

„Der kecke Mensch! Wer ist es nur?“

„Ich weiß nicht – aber ich mein’, ich wollt’s errathen, … es ist nicht leicht Einer, der so viel Schneid’ hat … es muß der Brunnhofer Vestl sein, mein’ ich!“

Die Vermuthung war vollkommen begründet. In der Unruhe seines Gemüths war er vom Hause fort und auf einem Umwege dem Dorfe zugewandert; er wollte Niemand begegnen, um ein Gespräch zu vermeiden, das ihn vielleicht nur erbittert haben würde; er wollte mit sich und seinen Gedanken allein sein, und sich durcharbeiten durch all’ die Sorgen und Hoffnungen in ihm. So war er zu spät an die Kirche gekommen, als der Gottesdienst bald zu Ende war, und konnte sich nur mit Mühe in eine Ecke hinter der Thür drücken – aber auch da litt es ihn nicht lange; als er den Blick erhob, traf er gegenüber auf eine knieende, in Gebet versunkene, ihm nur zu wohlbekannte Gestalt – eh’ sie ihn gewahr werden konnte, entrann er wieder der gefahrvollen Nähe und stürmte an den See hinab – in Nacht und Frost war es dem jagdgehärteten Burschen wohler, als in der dumpfen lichtstrahlenden Kirche; eine Wildfährte, die er im Zwielicht gewahrte, führte ihn den See entlang und gerade im rechten Augenblick zur Stelle, die ersten Hülfsrufe der Verunglückten zu vernehmen und zu ihrer Rettung bereit zu sein.

Ueber den Anwesenden lag die lautlose Stille angstvoller Erwartung.

„ … Jetzt ist er ganz nah’ dabei …“ flüsterte der Eine, „wenn sich die Frau um aller Heiligen willen nur ruhig hält, wenn er nach ihr faßt, sonst bricht der Eisrand – sie reißt ihn mit hinunter und sie sind alle Beide verloren!“

Sie schwiegen wieder; die Verhüllte droben unter der Buche drückte sich fest an den Stamm – die Hände streckte sie aus, als vermöchte sie, den Eisrand zu stützen, daß er nicht einbrach.

„Gott sei ewig Lob und Dank!“ rief es jetzt von allen Seiten, „er hat sie glücklich herausgebracht … er ist schon ein gutes Stück von dem Loche weg … jetzt ist die größte Gefahr überstanden! Herrgott, ist das eine Angst gewesen, vom bloßen Zuschau’n – ich denk’ meiner Lebtag d’ran!“

Freudig drängte Alles dem Kommenden entgegen, der das triefende erstarrte Mütterchen, einer Todten ähnlich, sichern Trittes und kräftigen Armes an das Ufer trug und dort sachte und sorgsam in den Schnee niederlegte. „Schafft ’was her, daß man eine Tragbahre machen kann,“ sagte er ruhig, „die Alte muß gleich in’s Dorf hinein gebracht werden zum Bader, sonst bringt sie der Schrecken um und die Erkältung … sie ist so schon zwischen Leben und Sterben.“

Einige machten sich rasch daran, seine Anordnung auszuführen; Andere traten hinzu, gaben Vestl die Hand und klopften ihm auf die Schulter und rühmten ihn wegen seines Muthes und wegen seiner kaltblütigen Besonnenheit.

Die Gestalt auf der Anhöhe trat ganz vor, daß sie jeden Laut hören, jede Silbe verstehen konnte.

Sylvester wehrte das Alles ab. „Laßt mich in Ruh’ und macht nicht so viel Wesens,“ sagte er, „es ist nicht der Mühe werth, daß man davon redet! Wenn man ein bissel vorsichtig ist und sich leicht macht, ist es keine Kunst – da trägt das Eis

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_082.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)