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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

„Ich verstehe das nicht!“ sagte sie kurz.

„Und zürnen mir dennoch?“ wagte er zu fragen.

„Ja,“ sagte sie und sah ihn dabei wieder offen an, „es thut mir leid, daß Ihnen unsere Stadt so wenig lieb geworden ist, daß Ihnen das Losreißen so leicht wird!“

„So sind die Frauen!“ erwiderte er, mit einem Versuch, zu scherzen: „sie fassen gleich Alles von dem Standpunkt des Gemüths, des Herzens auf!“ und ernster fügte er hinzu: „Sie dürfen nicht vergessen, daß das Wort Herz eine zweifache Bedeutung hat und daß die ferner liegende nicht selten von dem Manne zunächst erfaßt werden muß: er muß das Herz haben, sein Herz zu besiegen.“

Es war fast, als fürchtete er, zuviel gesagt zu haben, denn nach einer kleinen Pause fuhr er fort: „Sie werden sich aber mit meiner Entschließung aussöhnen, wenn ich Ihnen sage, daß ich wirklich einer Forderung des Herzens nachgebe, indem ich nach jener Stadt übersiedle: ich komme damit in die Nähe meiner alten, einsam lebenden Mutter.“

Der weiche Ton seiner Stimme ergriff sie und unwillkürlich fragte sie: „Sie lieben Ihre Mutter sehr?“

„Ja!“ erwiderte er. „Ich liebe sie, wie sie der Sohn lieben muß, der das Einzige ist, was ihr vom Leben und seinen Verheißungen übrig geblieben.“

Sie blickte ihn mit dem Ausdruck der vollsten Theilnahme an und sagte: „Dann ist wohl auch Ihr Leben nicht immer ein glückliches gewesen?“

„Ich habe viele trübe Stunden durchkämpfen müssen, von meiner frühen Jugend an. Sie kennen meine Herkunft, gnädiges Fräulein?“

„Ich weiß, daß Sie sich durch eigenes Talent und eigenen Fleiß Ihren Weg gebahnt haben,“ versetzte sie ausweichend. „Glauben Sie, daß ich Sie darum minder ehre?“

„Das hieße, Ihre Gesinnung unterschätzen, gnädiges Fräulein?“

„Erzählen Sie mir von Ihrem Leben!“ bat sie rasch. „Ich kenne nur die Gegenwart und möchte auch die Vergangenheit wissen.“

Er schwieg einige Augenblicke. „Ist meine Bitte unziemlich, so ziehe ich sie zurück,“ sagte sie etwas verletzt.

„Nein „entgegnete er „es ist besser, Sie erfahren, was hinter mir liegt. So wissen Sie denn, daß ich nicht nur mit Noth und Mangel zu kämpfen hatte, daß ich auch Schmach und Unehre, die sich an meinen Namen hefteten, besiegen mußte. Und was das Bitterste war: mein eigener Vater hatte diese Unehre über uns gebracht.“

„Das habe ich nicht gewußt!“ rief Alma erschüttert aus.

„Er war Cassenbeamter und ward der Unterschlagung städtischer Gelder angeklagt. Es kam ein furchtbarer Tag, wo er aus seiner Familie fort und in’s Gefängniß geführt wurde. Das Gesetz verurtheilte ihn – er starb im Zuchthause.“

„Aber Sie – Ihre Mutter – Sie erkannten ihn für unschuldig?“ fragte Alma in großer Erregung.

„Erlassen Sie mir, davon zu sprechen!“ erwiderte er. „Jedenfalls hatte unser Herz eine Entschuldigung für ihn. Seine Schwäche und Gutmüthigkeit sind wahrscheinlich von Andern und Schuldigeren benutzt worden, um ihn zur Darleihung anvertrauter Gelder zu vermögen, aber die Thatsache blieb dieselbe: unser ehrlicher Name blieb verloren und an uns war es, ihn uns auf’s Neue zu erringen.“

„Und was war Ihre und Ihrer Mutter nächste Zukunft?“ fragte Alma.

„Die Mutter zog mit mir und meinem älteren Bruder in ein entferntes Städtchen und erhielt uns dort – unser kleines Vermögen war natürlich confiscirt worden – durch ihrer Hände Arbeit, bis wir heranwuchsen und im Erwerb behülflich sein konnten. Wie mein Bruder gewann ich mir dann durch Stundengeben die Mittel zu weiterer Ausbildung und durch Vermittlung wohlwollender Freunde erhielt ich später ein Stipendium, das mir den Besuch der Universität möglich machte. Auch dort hatte ich noch mit bitterem Mangel zu kämpfen, aber ich bin glücklich durchgedrungen und jetzt beinahe stolz auf meine früheren Entbehrungen.

„Und Ihr Bruder?“ fragte Alma mit lebhaftem Interesse.

Feldern fuhr sich einen Moment mit der Hand über die Augen. „Er war ein sehr begabter Mensch; er wurde Maler. – Jetzt ist er todt.“

Das junge Mädchen schwieg eine Weile. Feldern’s Erzählung hatte sie tief und zugleich peinlich ergriffen, denn es drückte sie wie eine Schuld, daß sie es gewesen, welche ihn zu seinen Mittheilungen veranlaßt hatte. Und doch wieder wußte sie selbst nicht mehr, wie Alles gekommen war, wodurch sie den ernsten Mann bewogen hatte, aus seiner Verschlossenheit heraustreten und sie mit dem bekannt zu machen, was – sie wußte es nun! – wie ein Wurm an seinem Leben nagte. In ihrer Verwirrung sagte sie: „Das also ist der Grund Ihres ernsten Wesens, das mir manchmal wie Schwermuth erschienen ist und über das ich oft gesonnen habe wie über ein Räthsel!“

Er lächelte fast, als er antwortete: „Allerdings finden Sie in meiner Erzählung angedeutet, warum meine Natur sich so und nicht anders gestaltet hat. Ich habe meistens allein im Leben gestanden.“

„Ließ man denn Sie, den Schuldlosen, Ihr Unglück büßen?“ fragte Alma in aufwallendem Zorn.

„Ob gerade absichtlich, weiß ich nicht,“ entgegnete er, „aber es entwickelte sich früh in mir eine große Reizbarkeit, die mich jede mögliche Berührung scheuen ließ. Selbst im späteren Leben bin ich ihrer nicht ganz Herr geworden.“

Alma überhörte fast die letzten Worte, denn wie ein Blitzstrahl hatte sie die Erkenntniß getroffen, weshalb Feldern ihr diese Enthüllungen gemacht, und sie in leidenschaftliche Erregung versetzt. Es war sein Edelmuth, der es ihm unmöglich machte, um ihre Hand, ihre Liebe zu werben: in seinem stolz-bescheidenen Sinne war er ihrer nicht werth. Und wie es gleich Schuppen von ihren Augen fiel, so leuchtete in ihrem Herzen der Gedanke: Er ist der Mann, den du lieben kannst – er und kein anderer! Der Impuls zu eigenem Handeln war ihr damit gegeben; vor ihn hintretend und seine beiden Hände erfassend sagte sie, und blickte dabei mit ihren glänzenden Augen in die seinen:

„Ich danke Ihnen, Feldern, daß Sie mir das Alles gesagt haben – es ist nun Alles klar und licht vor meinem Geiste und ich weiß, wie Ihr und – mein Schicksal sich gestalten muß.“ Er blickte sie gespannt und forschend an.

„Feldern,“ fuhr sie mit einem strahlenden Lächeln fort, „konnten Sie im Ernst glauben, daß Ihre Vergangenheit, daß fremde Schuld eine Schranke zwischen uns aufrichten würde? Ihre Erzählung hat nur den einen Wunsch in mir erweckt: die Ungerechtigkeit des Schicksals auszugleichen. Und darum trete ich jetzt vor Sie hin und biete Ihnen mit meinem Herzen die Hand, welche Sie sanftere Wege führen soll, als die Sie bisher gewandelt sind. Wollen Sie Beides von mir annehmen, Feldern?“

(Fortsetzung folgt.)




Eine goldene Hochzeit mit der Wissenschaft.


Als nach den Tagen des Wiener Congresses unserer Nation, welche die Schlachten der Freiheitskriege geschlagen, ein großes und freies politisches Dasein versagt blieb, da wandten sich die ersten Geister unter dem aufwachsenden Geschlechte der Wissenschaft zu; mit ungetheilter Kraft haben sie die stillen Jahrzehnte hindurch auf allen Gebieten der Naturforschung, der Sprach- und Alterthumskunde, der Rechtswissenschaft wie der Geschichte rastlos gearbeitet und so durch ihre Werke, während kaum erst die wundervolle Blüthe unserer Dichtung und Philosophie abstarb, eine neue Blüthe deutschen Geistes gezeitigt, die der realen Wissenschaften. Wohl sind manche von den Meistern auf diesen fruchtreichen Wirkungsfeldern längst dahingeschieden, doch andere leben und wirken, wiewohl hoch in Jahren, noch fort in dem geistigen Berufe, der ihnen das Leben selbst, uns Allen den Werth ihres Lebens bedeutet.

In diesen Tagen nun, am 20. Februar, feiert einer unter ihnen, Leopold Ranke, sein fünfzigjähriges Doctorjubiläum; seine Schüler bringen ihm von nah und fern ihre Glückwünsche

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_100.jpg&oldid=- (Version vom 3.3.2017)