Seite:Die Gartenlaube (1867) 114.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Einwilligung anfangs entschieden verweigerte. Sie erinnerte an das Aufsehen der Welt bei dieser Mesalliance: – Alma erklärte, sie sei zu stolz, um sich um das Gerede derselben zu kümmern; sie weissagte der Tochter künftige Enttäuschung und das Elend, welches aus einer so unnatürlichen Verbindung hervorgehen müsse: Alma erwiderte, sie fühle sich stark genug, um jedem Schicksal die Stirn bieten und sich für ihr eigenes wie für ihres Gatten Glück verbürgen zu können.

In ihrer Bedrängniß wandte sich die Mutter an den Schwager in der Residenz, dem sie alle Thatsachen mittheilte und an welchem sie einen mächtigen Bundesgenossen zu finden hoffte. Aber auch er schlug sich auf die Seite der Liebenden. Als Diplomat wußte er die Bedeutung des fait accompli zu würdigen und bat die Frau Schwägerin, mit ihrem Segen dem jungen Paare zugleich seinen Glückwunsch auszusprechen. Uebrigens erinnerte er an seine früher gegebene, aber nicht beachtete Warnung. Jedenfalls – das erkannte Alma – hatte sie durch die Aeußerungen des Ministers viel bei der Mutter gewonnen und wußte diesen Vortheil so geschickt zu benutzen, daß sie den Sieg bald völlig auf ihrer Seite sah und bereits nach wenigen Tagen zum zweiten Male, jetzt aber mit jubelndem Frohlocken, ihre Hand in die Feldern’s legen und als seine erklärte Braut die Glückwünsche der Welt in Empfang nehmen durfte.

Während der Tage des Zweifels und der Ungewißheit hatte Feldern es vermieden, Melanie, an die er bisweilen mit einem unruhigen Gefühl dachte, zu sehen. Sobald aber Alles entschieden war und er Alma die Seine nennen durfte, empfand er es als eine wenn auch schwere Pflicht, die junge Schauspielerin von dem Geschehenen in Kenntniß zu setzen. Er wurde aber nicht zu ihr gelassen; Melanie sei krank, hieß es. Am folgenden Tage empfing er dieselbe Antwort, und als er dann noch einen Versuch machte, sie zu sehen, fand er ihre Thür verschlossen und erfuhr von den Hausleuten, sie sei plötzlich abgereist. Wie er später hörte, hatte sie der Direction des Theaters eine bedeutende Summe gezahlt, um für den Bruch des Contractes zu entschädigen; wohin sie sich aber gewandt, konnte er nicht erfahren.




Etwa zwei Jahre später saß der Minister von Büsching in dem Besuchzimmer seiner Schwägerin, der verwittweten Oberforstmeisterin, die jetzt in der Residenz lebte. Er war gekommen, um sie nach der Rückkehr von einer längeren Reise zu begrüßen, und jetzt im eifrigen Gespräch mit ihr begriffen.

„Nach Allem, was Sie mir von Ihrem Besuch bei dem jungen Paare erzählen, liebe Frau Schwägerin,“ sagte er, „muß ich leider schließen, daß derselbe Sie nicht sehr befriedigt hat.“

„Wie konnte er das?“ entgegnete die Dame. „Er hat nur bestätigt, daß ich in meiner Voraussicht Recht hatte, als ich mich der Verbindung widersetzte. Alma ist nicht, kann nicht glücklich sein neben einem Mann wie Feldern.“

„Ihr Schwiegersohn gefällt Ihnen nicht?“ fragte er leichthin.

„Nein!“ sagte sie kurz.

„Das bedaure ich, denn die Welt rühmt den Professor Feldern nicht allein als einen tüchtigen Gelehrten, sondern auch als einen ausgezeichneten Charakter.“

„O ja! ich bestreite es nicht, in ihrem Sinne mag er Alles das sein; aber um eine Frau, eine Frau, die ihrer Geburt und Erziehung nach einer anderen Sphäre angehört, glücklich zu machen, genügt nicht der Ruf seiner Rechtschaffenheit und die Vergötterung seiner Studenten.“

„Was halten Sie für nothwendig, liebe Frau Schwägerin?“

Sie überhörte seinen sarkastischen Ton und fuhr eifrig fort: „Vor allen Dingen jenes je ne sais quoi des Wesens und Verhaltens, mit einem Wort den vornehmen Ton, der Feldern fehlt. Ich habe ihn in meiner Tochter herangebildet, sie dazu erzogen, von einer gewissen Höhe auf das allgemeine Treiben herabzusehen, und muß nun erleben, daß Feldern ihre Weise nicht selten tadelt und verlangt, daß sie ihre bisherigen ‚Allüren‘ ihrer gegenwärtigen Stellung opfern solle.“

„Und Alma, fügt sie sich dem?“ fragte der Minister gespannt.

„Wie kann sie ihre Natur verleugnen? Und thäte sie es, auf Dank und Anerkennung dürfte sie nicht einmal rechnen. Ich sage es mit Kummer, nie in meinem Leben ist mir ein egoistischerer Mensch vorgekommen als Feldern, und in diesem einen Punkte – ich gestehe es – habe ich mich in meiner Voraussicht getäuscht. Das Einzige, was mich mit der Verlobung aussöhnte, war die Hoffnung, daß Feldern mein Kind für die Opfer, die Alma ihm brachte, auf den Händen tragen, ihr durch’s ganze Leben dafür danken würde. Anstatt dessen that er vom ersten Tage an, als ob Alles nur so sein müsse, und als ich ihn einmal zur Erkenntniß zu führen suchte, was Alma seinetwegen verlassen und aufgegeben habe, antwortete er mir in einem Tone, von dem ich nicht wußte, ob er Scherz oder Ernst bedeuten solle: ‚Dafür ist sie eben meine Frau geworden!‘“

Der Minister konnte ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken, fragte aber nur: „Hat Alma Ihnen ihr Leid geklagt?“

„O nein, dazu ist sie zu stolz, aber ich müßte nicht die Mutter sein, wenn ich nicht sähe, wie bitter sie diese Rücksichtslosigkeit ihres Mannes empfindet.“

„Und sonst behandelt er sie gut?“ fragte Herr von Büsching.

„Ich weiß nicht, was Sie unter ‚behandeln‘ verstehen, Herr Schwager,“ entgegnete die Dame gereizt und stolz, „von Beleidigungen durch Worte oder Benehmen kann natürlich meiner Tochter gegenüber keine Rede sein.“

Der Minister ließ leise die Finger auf der Tischplatte spielen und richtete darauf noch einige Fragen an seine Schwägerin, die sich auf die angedeuteten Verhältnisse bezogen, sah dann nach seiner Uhr und empfahl sich mit der Bemerkung: „Wir wollen die Sache noch reiflich überlegen, liebe Frau Schwägerin, und dann sehen, wie wir Alma vor der Bedrückung ihres Tyrannen schützen!“

Ob seine Worte ernst oder ironisch gemeint waren, vermochte sie nicht zu unterscheiden.

Die Oberforstmeisterin hatte Recht, wenn sie Alma nicht glücklich nannte. Einst hatte diese die Hindeutung Feldern’s auf die Ungleichheit ihrer Charaktere mit der einfachen Antwort: „Ich liebe Sie!“ abgeschnitten und geglaubt, damit Alles gesagt zu haben. Und doch – wie kurze Zeit hatte hingereicht, um ihr diese Verschiedenheit klar zu machen, sie um einen Theil ihrer freudig-stolzen Hoffnungen zu betrügen! Als sie sich damals dem Manne ihrer Wahl zu eigen gab, hatte sie sich sehr glücklich gefühlt, aber sich zugleich – vielleicht halb unbewußt – in den Strahlen ihrer eigenen Großmuth gesonnt. Sie hatte etwas von dem Gefühl einer Göttin gehabt, die zu einem armen Sterblichen niedersteigt, um über den Erstaunten, Bewältigten das Füllhorn ihrer Huld auszuschütten; – Alles aber in der stillschweigenden Voraussetzung, daß er dagegen für immer anbetend zu ihr aufschauen würde. Und nun war es so ganz anders gekommen! Zwar an Feldern’s Liebe durfte sie nicht zweifeln, aber von der Schwärmerei eines Liebhabers zeigte er sich weit entfernt und statt des Weihrauchs, in den ihre früheren Verehrer sie gehüllt hatten, empfing sie nicht selten eine milde Zurechtweisung oder nur halb versteckte Ermahnung, die sie mit dem Trotz eines verzogenen Kindes aufnahm. Der Gedanke: „Er würdigt Dich und Dein Opfer nicht so, wie er sollte!“ griff mehr und mehr Platz in ihrem Herzen und trat auch in ihrem Benehmen immer deutlicher hervor. Sein verwundetes Gefühl hüllte sich dagegen in das Gewand äußerer Kälte; die Momente innerlicher Verständigung wurden immer seltner, und so kam es, daß nach kurzer Zeit Beide sich fast fremd gegenüberstanden, ohne daß sie doch dem Gefühl, welches sie zusammengeführt hatte, eigentlich ungetreu geworden wären. Wirklich schroff wurde aber das Verhältniß erst nach dem Tode von Feldern’s Mutter, der Alma sich in kindlicher Hingebung genähert hatte. Der alten Frau bewies sie das weichste Zartgefühl, und diese wiederum liebte die Schwiegertochter sehr und pries täglich das Glück ihres Sohnes, dessen Weib sie geworden war. Bezeigte Feldern aber in irgend einer Weise Alma seine Dankbarkeit, so war es für die Sorge, welche sie seiner Mutter widmete, und so lange Letztere lebte, war immer ein Boden da, auf dem die beiden Gatten Hand in Hand gingen, während ihr Tod eine stets größer werdende Kluft zwischen ihnen aufriß. –

Ein längeres Unwohlsein, das zwar nicht bedenklich war, dessen Beseitigung die Aerzte aber wünschten, hatte Feldern in das Bad … geführt. Währenddem war seine Frau zum Besuche ihrer Mutter nach der Residenz gereist. Feldern, dessen Stimmung in der letzten Zeit ernster gewesen als je, lebte sehr zurückgezogen in dem Badeorte. Er verschloß der Welt sorgfältig sein Inneres und galt darum für einen hypochondrischen Sonderling,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_114.jpg&oldid=- (Version vom 23.5.2018)