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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Herr Rector magnificus, dem ich darauf einen Tag vor meiner ersten Vorlesung den Antrittsbesuch machte, empfing mich mit sichtbarer Betroffenheit. Sein Gesicht legte sich in die ernstesten Falten. ‚Also doch!‘ lese ich in seinen Blicken, die wie erschrocken an meinem Barte hängen bleiben – aber ich schneide ihm noch zu rechter Zeit das Wort ab und erzähle ihm, wie ich ohne vorgängige Inanspruchnahme eines Barbiers mich sämmtlichen hohen und höchsten Herrschaften in Darmstadt vorgestellt und Gnade bei ihnen gefunden. Ein besseres Argument für die Unbescholtenheit eines so gefürchteten Schnurrbarts konnte es freilich nicht geben; die Jungen hatten ihre Wette gewonnen und die Alten mußten zahlen.“

„Nun Sie einmal so gut im Zuge sind, fahren Sie auch in der Erzählung Ihrer Schicksale fort,“ bat ich. „Ich weiß, Sie sind nicht lange Professor gewesen, als die Märzrevolution losbrach und Sie in die politische Laufbahn führte. Wie sind Sie nur in’s Vorparlament gekommen, da Sie nie vorher einer Landesvertretung angehört haben?“

„Die Vertretung der Stadt Gießen muß wohl für eine erbliche Würde in der Vogt’schen Familie gegolten haben,“ erwiderte er. „Mein Vater war lange Jahre zum Abgeordneten von Gießen gewählt worden, ohne indessen in die Kammer treten zu können, da die Regierung ihm regelmäßig den Urlaub verweigerte.“

„Das waren herrliche Zeiten!“

„Sind nicht viel besser geworden,“ meinte er. „Sie werden indessen kaum errathen, wessen Bemühungen ich meinen Sitz im Vorparlament verdankte. Herr von Sybel, der Geschichtsschreiber des Revolutions-Zeitalters, der später die großen Gestalten des Convents als Lindenmüller und Wühlhuber dargestellt hat, derselbe brachte mich in’s Vorparlament. Mein erstes Auftreten in Frankfurt schien den hohen Herrschaften, denen ich ein Jahr vorher meinen officiellen Besuch gemacht, nicht sehr behagt zu haben, denn als es zu den Parlamentswahlen kam, wurde der Gießener Wahlkreis so auseinander gezerrt, daß ich bis in’s Hinterland reisen mußte, um mich den Wählern vorzustellen. Freund Rahl aus Wien begleitete mich auf dieser Fahrt und hielt den hessischen Bauern vortreffliche Reden und in so vollendetem österreichischem Dialekt, daß sie ihn mit keinem Wort verstanden. Aber das war nur um so besser, denn die Bauern äußerten sich nachher: ‚An dem Vogt muß doch verdammt viel sein, daß die Leute von so weit herkommen, um für ihn zu reden.‘ Sie werden nicht erwarten, daß ich Ihnen jetzt meinen Antheil an den Ereignissen jener Zeit schildre. Ich war vielleicht eher im Exil, als ich es anfangs nach der Höhe der Volksbewegung annehmen mochte.“

„Haben Sie nicht auch an den kriegerischen Operationen theilgenommen?“ frug ich.

„Wenn ich nicht irre, war ich einen Augenblick unberittener Commandant der Gießener Cavalerie. Die Ursache einer solchen Auszeichnung ist mir bis heute fremd geblieben. Lachen Sie nur! Ich lasse mir jene Zeit nicht verkleinern. Es wurde mit Begeisterung gestritten und diese Begeisterung hat mehr denn ein braver Bursche mit seinem Leben bezahlt. Das sollte so mancher überweise Herr nicht vergessen, denn Blut ist ein ganz besonderer Saft‘; einmal für eine Sache geflossen, giebt es ihr eine unvertilgbare Weihe. Aus solchen Niederlagen erstehen dem Volk seine Siege.“

„Uebrigens hat ein Mann der Wissenschaft,“ fügte ich hinzu, „dies vor dem absoluten Politiker voraus, daß er seine Wehr nur vertauscht, nie abzustellen braucht. Und aus dem, was mir auf meinen Reisen von Ihren Arbeiten zu Gesicht gekommen, darf ich wohl den Schluß ziehen, daß Sie als Naturforscher Ihren ehemaligen Gegnern nachhaltiger wehe gethan und der Sache des Volkes bleibender genützt als so mancher glänzender Kammerredner, auf dessen feurigste Ergüsse hin, selbst in den aufgeregtesten letzten Jahren, kein einziger Minister, vom größten bis zum kleinsten deutschen Staate herab, nur sein Portefeuille, geschweige etwas Anderes verloren hat.“

„Das müssen Sie mit dem deutschen Volke ausmachen, das an politischer Initiative seit 48 eher ärmer als reicher geworden,“ sprach er. „Dagegen ist es seit jener Zeit von einer wahren Bildungswuth befallen worden, und die starre Büchergelahrtheit von ehemals konnte bald den wachsenden Ansprüchen auf populäre Darstellung nicht mehr genügen, aber es traten täglich frische Kräfte in den Vordergrund. Durch diesen Heißhunger nach Belehrung ward der Wissenschaft ein weites Arbeitsfeld eröffnet und ich darf es mir wohl als ein Verdienst anrechnen, daß ich mit einem beträchtlichen Theil meiner seitherigen Schriften auf einen größeren Kreis von Lesern gewirkt habe, als dies der althergebrachte dürre Ton eines Fachgelehrten ermöglicht hätte. In den ersten Jahren meines Exils in der Schweiz schrieb ich die ‚Thierstaaten‘ und begann ich die ‚zoologischen Briefe‘, zu deren weiterer Ausführung ich Nizza wieder aufsuchte. Dort erhielt ich 1852 einen Ruf als Professor an die Genfer Akademie, und wenn ich mich auch damals speciell meinen Untersuchungen über die Seethiere widmete, so entstand doch Manches, was in das große Publicum gedrungen ist; so auch das Buch, welches unter dem Titel ‚Köhlerglaube und Wissenschaft‘ so viele Philister und Narren gründlich geärgert hat.“

„Nun haben Sie auch in der Schweiz eine politische Stellung eingenommen. Es ist mir dies um so auffallender, als die Schweizer sich nur schwer dazu entschließen, Ausländer zu ihren eigenen Angelegenheiten heranzuziehen. Und sie scheinen mir darin nicht Unrecht zu haben.“

„Zugegeben! Und die Ausländer, die sich in schweizerische Politik gemischt, haben selten Seide dabei gesponnen. Mit mir indessen stand die Sache anders. Ich war durch meine nächsten Familienbeziehungen so eng mit der Schweiz verbunden, daß ich gewiß nicht als ein Fremder betrachtet werden konnte. Es wird auch keinem Berner in den Sinn kommen, meine Brüder, mit denen er auf der Schulbank gesessen, nicht als seine Landsleute anzusehen. Zu meiner Betheiligung an der Politik bedurfte es deshalb keines besondern Anstoßes, ich hatte die zahlreichsten Anknüpfungspunkte in den eidgenössischen Räthen; die Häupter der radicalen Partei, Stämpfli, Niggeler, Karrer, waren meine Studiengenossen gewesen, mit Fazy war ich schon 1846 auf meiner ersten Reise nach Nizza bekannt geworden.“

„Und so wurde der ehemalige deutsche Reichsregent Mitglied des Großen Rathes der Republik Genf und Vertreter derselben im Ständerath,“ ergänzte ich.

„Was wiederum einige Philister und Narren bitter geärgert hat,“ entgegnete er. „Ich gab indessen, nachdem mir das Mandat vier Mal anvertraut worden, meine Demission als Mitglied des Ständerathes. Die Nordfahrt mit meinem leider so früh verstorbenen Freunde Berna aus Frankfurt war mir lockender als der Rathssaal, um so mehr, als ich an der vom Prinzen Napoleon nach den arktischen Gegenden unternommenen Reise wegen einer schweren Krankheit nicht hatte theilnehmen können.“

„Wäre die Frage wohl indiscret, wie Sie zu der Ehre gekommen, vom Prinzen zu dieser Reise eingeladen zu werden?“ frug ich.

„Das darf man fragen und wissen,“ gab er zur Antwort. „Wenn ein Prinz mit einem Naturforscher verkehrt, trotzdem dieser ein Republikaner ist, so darf auch ein Republikaner mit einem geistvollen Menschen verkehren, trotzdem dieser ein Prinz ist. Uebrigens habe ich des Prinzen persönliche Bekanntschaft erst nach seiner Nordfahrt gemacht, als ich ihm wie selbstverständlich meinen Dank für seine Einladung abstattete. Diese selbst war auf Veranlassung meines englischen Freundes Charles Edmond geschehen, den ich in Nizza kennen gelernt, als ich eben Seethiere studirte, und der mich dieser Specialität wegen dem Prinzen zum Reisegefährten vorschlug. Doch ich sehe, Ihre Augen heften sich fragend auf jene Reihe von Hirnabgüssen.“

„Was sollen nur alle diese Kindsköpfe?“ lautete meine Frage.

„Kindsköpfe in gewissem Sinne, doch viel weniger als dies, wenngleich ihre Träger nicht gar weit vom Schwabenalter entfernt waren. Dies sind lauter Hirnabgüsse von Mikrocephalen. Wenn Sie sich mit meinen neuesten Arbeiten vertraut machen wollen, so müssen Sie meine Vorlesungen über den Menschen lesen.“

„Ich habe sie in englischer Uebersetzung gelesen und hoffe sie nun zu hören, denn wenn ich recht unterrichtet bin, werden Sie in diesem Winter in Paris einen Cyclus von Vorlesungen über denselben Gegenstand halten.“

„Nicht nur in Paris, sondern auch in Bremen, Darmstadt, Mannheim und Nürnberg. Auch andere Städte haben bei mir angefragt, doch muß ich sie auf nächsten Winter zurückstellen.“

„Diese Art von Wandervorträgen,“ bemerkte ich, „sind in Amerika entstanden und wohl auch dort zur weitesten Ausbildung gelangt. Ganz unberechenbar ist der Einfluß, den sie dort auf die allgemeine Volksbildung ausgeübt, und ein großer Theil der geistigen Cultur, der wir in allen Schichten des amerikanischen Volkes begegnen, ist eine Frucht jener Vorträge.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_151.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2017)