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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 11.

1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen.     Vierteljährlich 15 Ngr.     Monatshefte à 5 Ngr.


Die Herrin von Dernot.


Von Edmund Hoefer.
1. Aus dem Leben eines Staatsmannes.

Die Familie der Freiherren von Treuenstein, Herren von Dernot, gehörte zu den edelsten und, was noch viel besser ist, angesehensten und geachtetsten ihrer engeren Heimath. Seit unvordenklicher Zeit waren aus ihr die Staatsmänner des kleinen Landes hervorgegangen und zwei von diesen, Vater und Sohn, hatten fünfzig Jahre lang und länger als allmächtige Minister an der Spitze aller Geschäfte gestanden. Man weiß, was diese Stellung und ein solcher Titel im vorigen Jahrhundert zu bedeuten hatte und wie furchtbar mehr als einer der allgewaltigen Herren gegen das Wohl des Landes und seiner Bewohner sündigte. Die Treuenstein verstanden jedoch auch auf diesem Posten sich ihren alten guten Ruf zu erhalten; ihnen folgte nicht der Fluch des Landes. Von schreiendem Unrecht und rücksichtsloser Willkür erfuhr man niemals etwas und nie sagte ihnen Jemand nach, daß sie ihren eigenen Vortheil zum Schaden Anderer im Auge gehabt. Zwar wurden in der damals zur Aufbesserung der Finanzen beliebten Weise auch hier einmal ein paar Tausend Landeskinder an Holland und England verkauft, aber es geschah, wie man sehr wohl wußte, auf den ausdrücklichen Befehl Serenissimi und gegen den Willen seines damaligen Ministers, und dieser lehnte, wie man gleichfalls erfuhr, obendrein die ihm überwiesene Gratification für das abgeschlossene Geschäft so entschieden ab, daß er darüber von seinem Gebieter ein paar Wochen lang fast ungnädig angesehen wurde.

Der edle Herr ertrug diesen Zwischenfall mit philosophischem Gleichmuth; er war, auch ehe er von einem kinderlos verstorbenen Bruder die Herrschaft Dernot geerbt, schon durch sein und seiner beiden Gattinnen Vermögen der reichste Mann im Lande und weder abhängig noch ehrgeizig genug, um dem Glanz und der Macht seiner bisherigen Stellung und der Laune des Gebieters seine Grundsätze zu opfern. Dies wurde indessen auch nicht von ihm verlangt, denn der Fürst lenkte gegen den alten unentbehrlichen Diener und Freund wieder ein und erhielt ihm seine Gnade unverändert bis an’s Ende. Und nicht anders stellte sein Nachfolger sich zu dem Minister, ja als dieser endlich zur Zeit des Wiener Congresses hochbejahrt starb, wurde sein Sohn, der das Land bisher in Paris und neuerdings in Wien auf das Würdigste vertreten, auf den Posten berufen, welcher nun schon ein Eigenthum der Treuenstein zu sein schien. Es war der dritte Minister dieses Namens und Fürst und Volk durften sich alsbald wirklich seines Besitzes rühmen. Denn er war einer von den wenigen Staatsmännern jener Zeit, die sich dem Metternich’schen System nicht vollständig beugten und in dem ihnen anvertrauten Lande wenigstens einer Art von Fortschritt huldigten.

Leopold August von Treuenstein war ein Mann, der die Liebe der Seinen, die Ergebenheit seiner Freunde und die Ehrfurcht und Hochschätzung Aller, die ihm nahe kamen, in vollstem Maße zu verdienen schien und dies Alles sicherlich auch noch in höherem Grade, als es in Wirklichkeit der Fall, sein eigen genannt haben würde, wären nicht in seiner Natur und seinem Charakter zuweilen Züge sichtbar geworden, die fast unheimlich schroff mit dem contrastirten, was man an ihm verehrte, seine Umgebung bestürzten und zurückschreckten und ihn selbst – man sah das wohl – nicht glücklich machten, ja hie und da zu den unangenehmsten Folgen führten.

Er war der tiefsten und zartesten Empfindung fähig, er war voll Schonung und Milde, voll Freisinnigkeit und Großartigkeit der Auffassung und des Urtheils. Das Leben und Lebenlassen verstand Niemand behaglicher zu üben und freundlicher zu gewähren, als er, und einen frischen, heiteren Lebensgenuß gönnte er unbefangen sich und Anderen. Aber wer sich auf dies Alles verließ, hatte zuweilen unter dem schwersten Rückschlag zu leiden, da an dem Baron nicht selten alle diese, trefflichen Eigenschaften in das Gegentheil umschlugen oder durch andere jäh auftauchende Züge beeinträchtigt und aufgehoben wurden – ohne Vorzeichen, ohne sichtbare Veranlassung, wie Blitze, die plötzlich aus einer bisher kaum beachteten Wolke hervorschießen.

Seiner tiefen Empfindung stand eine häufig bestürzende Unbeständigkeit gegenüber; der Mann, der meistens so vorsichtig oder so entschlossen, mit klarem Auge, mit unbestechlichem Rechtsgefühl vorschritt, ließ sich, zumal im Privatleben, nur gar zu leicht durch Gelegenheit, Zufall, Eindruck des Augenblicks sorglos fort- und weiter ziehen, als er es vor sich und Anderen verantworten konnte. Und den Stunden der Milde und Schonung, der Billigkeit und Einsicht folgten andere, voll von Strenge und Härte, von Vorurtheilen und Eigensinn, von einer unglückseligen Leidenschaftlichkeit endlich und einem furchtbaren Jähzorn, die, so schnell sie auch gewöhnlich vorüberrauschten, weder von den durch sie Betroffenen, noch von dem Baron selbst jemals vergessen und überwunden wurden. Ja, von Versöhnlichkeit fand sich, auch in den gleichgültigsten derartigen Fällen, wenig oder nichts an ihm. Er selber schwieg meistens hartnäckig über das Vorgefallene und verlangte ein ähnliches Schweigen auch von Anderen. Die Zeit sollte ausgleichen und wieder herstellen. Aber sie that das nicht immer.

Als blutjunger Mensch hatte Leopold ein Mädchen geliebt, dessen Familienadel kein alter, dessen Vermögen gering und dessen Vater endlich mit dem seinen sich vordem einmal ernstlich überworfen hatte. Daher blieb dem jungen Paare auch nur die Entsagung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_161.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2017)