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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

mir mit Recht empfohlenen Hôtel du Grand Café, wo ich mich unter den Schutz und die Pflege des guten alten Herrn Rosart begab, in der ich wieder über sechs Wochen lang verblieb, anfangs unter meinem angenommenen, gegen das Ende aber unter meinem rechten Namen, wie ich bald erzählen werde.

Die ersten Tage fühlte ich mich sehr einsam in Brüssel; ich versuchte am ersten Sonntage Vormittags nach einer deutschen Buchhandlung zu schicken, welche ganz in der Nähe meiner Wohnung sich befand, und da entdeckte ich denn dem Eigenthümer, welcher mich anfangs für einen Franzosen hielt, meinen wahren Namen. Von ihm erfuhr ich, daß Dr. Köchly in Brüssel sei. Ja, als ich ihm sagte, daß dieser ein Freund von mir, erbot er sich ihn herbeizuholen. Ich bat ihn, mich nicht zu nennen, sondern ihm nur zu sagen, daß ein Freund aus Dresden auf ihn warte. Köchly kam bald, begleitet von seiner liebenswürdigen jungen Frau. Er erkannte mich nicht eher, bis ich zu sprechen anfing. Dann aber fiel er mir um den Hals und rief mit Thränen in den Augen: „Mein Gott, Munde, wie siehst Du aus!“ Ich mochte allerdings nur der Schatten des Recken sein, als welchen er mich an der Spitze unserer Bataillone, oder bei unseren Versammlungen, zu sehen gewohnt war. Die Gegenwart dieses Freundes und seines lieben Weibes war mir ein großer Trost. Wir sahen uns oft und erzählten uns unsere Schicksale, so wie ich auch Manches von anderen Freunden erfuhr.

Bald kamen Empfehlungsbriefe, unter denen zwei von Werth für mich waren: der eine war an den berühmten[WS 1] Polen Joachim Lelewel, der seit siebenzehn Jahren über einer kleinen Kneipe, der Ville de Varsovie, in einer nicht heizbaren Dachkammer wohnte, wo er Schriftstellerei und Kupferstecherei trieb; und der andere an den amerikanischen Gesandten, Herrn Thomas Clemson, den Schwiegersohn des bekannten südstaatlichen Politikers John C. Calhoun.

Lelewel führte ein äußerst eingezogenes Leben, und wenn er ausging, war er stets in eine Blouse gekleidet und hatte den Kopf mit einer gewöhnlichen Arbeitermütze bedeckt. Er grüßte und dankte Niemand auf der Straße und ließ sich mit Keinem in ein Gespräch ein. Obgleich ihn Jedermann kannte, und er der höchsten Achtung bei Allen sich erfreute, so schien ihn doch Niemand zu beachten, und als ich ihn einmal in einem Kaffeehaus traf, wo er die Zeitungen las, und auf ihn zugehen wollte, hielt mich ein brüsseler Freund eifrigst zurück, indem er sagte: „Er spricht mit Niemand hier; Sie würden ihn nur veranlassen, sofort wegzugehen.“ Meine und meiner Frau Besuche nahm er dagegen sehr freundlich an und machte uns sogar die Freude, eines Abends Thee bei uns zu trinken. Fast alle angesehenen Polen, welche durch Brüssel kamen, suchten ihn auf. Alle Versuche, ihn in seiner Armuth zu unterstützen, scheiterten jedoch an seiner republikanischen Einfachheit und Festigkeit. Im Gegentheil behielt er noch manchen Franken für einen armen Flüchtling oder eine brodlose Arbeiterfamilie übrig.

Zwischen Herrn Clemson und mir entspann sich bald ein recht freundliches Vernehmen, was später in Amerika sich zu einem wahrhaft freundschaftlichen gestaltete, das leider durch die unglückliche Rebellion, bei welcher ich entschieden Partei für den Norden nahm, während er sich der curagirten Sclavenhalter-Partei des Südens anschloß, zerrissen wurde. Eines Sonntags Nachmittags, als ich ihn besuchte, bat er mich, Niemand zu sagen, daß wir zusammen bekannt seien. „Ich habe nichts zu befürchten,“ fügte er hinzu; „allein es ist für uns Diplomaten immer unangenehm in den Verdacht zu gerathen, als ob wir uns in die politischen Verhältnisse der europäischen Länder mischten oder bei Auswanderungen behülflich wären. Es erschwert uns unsere Stellung und nützt unseren Schützlingen nichts.“

Auf meine Bemerkung, daß ja Niemand wisse, wer ich eigentlich sei, erwiderte er lebhaft: „Glauben Sie das nicht; ich wette, Sie sind der Polizei längst bekannt, und Sie werden über kurz oder lang den Beweis davon haben. Achten Sie auf das, was ich sage.“

Der Beweis kam schon am andern Morgen. Ich lag noch ruhig im Bette, als gegen sieben Uhr ein starkes Klopfen und ein lautes „Commissaire de police!“ sich an meiner Thür hören ließ.

Auf mein „Entrez!“ öffnete sich denn auch die Thür und besagter „Commissaire“ trat herein, wollte sich aber, als er mich im Bette erblickte, höflichst zurückziehen, um später wieder zu kommen. Ich bat ihn zu bleiben, da mich Krankheit zwinge, den größten Theil meiner Zeit im Bett zuzubringen, und er setzte sich, auf meine Einladung, mit der Bemerkung: „Que c’était seulement pour remplir quelques formalités.“ (Nur um einige Formalitäten zu erfüllen.)

„Eh bien, remplissez-les, Monsieur,“ erwiderte ich ruhig. (Gut, erfüllen Sie dieselben, mein Herr.)

Er kramte einige Papiere aus und begann sein Verhör wie folgt: „Votre nom, Monsieur?“ (Ihr Name, Mein Herr?)

„Mais vouz l’avez dit en entrant, Monsieur.“ (Sie haben ihn ja schon beim Eintritt genannt.)

„Mul-lère donc?“ (Also Müller?)

„Oui, Monsieur.“

„Et votre prénom?“ (Und Ihr Vorname?)

„Chrétien.“ (Christian.)

„Votre âge?“ (Ihr Alter?)

„Cinquante quatre.“ (Vierundfünfzig.)

„Votre état?“ (Ihr Stand?)

„Négociant“ (Kaufmann.)

„D’où venez-vous?“ (Woher kommen Sie?)

„De Crimmitzschau en Saxe“

„Cr – Crr – Crrr – Crrrr– Crrrrr–?“

„Crim– mitzsch – au.“

„Cr – Crr – Crrr – Crrrr– Crrrrr – im – chi –?“

„Crim – mitzsch – au.“

„Ah, je l’ai. (Ach, ich hab’s.) Crimme – chi – ko. Estce là?“ (Ist es das?)

„A-peu-près, Monsieur.“ (Beinahe, mein Herr.)

„Comment l’écrit-on, ce Crimme – chi – koffe?“ (Wie schreibt man dies Crimmschikoff?)

„C – r – i – etc.,“ und nun buchstabirten wir es ihm Beide vor, Albert indem er Mühe hatte, das Lachen zu verbeißen.

„Quelle rue?“ (welche Straße?) fuhr der Commissar fort.

„Ich war in meinem Leben nicht in Crimmitzschau gewesen und kannte nicht eine einzige Gasse desselben. Indeß antwortete ich schnell: „Schmiedegasse,“ da ich einmal in meiner Jugend in der Schmiedegasse zu Pirna gewohnt.

„Quel numéro?“ (Welche Nummer?)

Hier wäre ich bald stecken geblieben, da mir das Lügen doch nicht recht geläufig war. Albert antwortete jedoch schnell: „Zweihundert dreiundsechszig.“

Und so ging es fort, bis er zuletzt aus den Zweck meines Hierseins und auf meine Legitimation zu sprechen kam und ich ihm sagte, ich wolle nur abwarten, bis meine Gesundheit mir gestatte, nach Ostende weiter zu reisen, wo ich die Absicht hätte, das Seebad zu gebrauchen; meinen Paß hätte ich bei meiner Ankunft vorgezeigt und er sei mir zurückgegeben worden; meine Rechnung im Hotel habe ich alle Wochen bezahlt und besitze die Mittel, es ferner zu thun. Der Herr Commissar schien von alle diesem sehr befriedigt, versicherte, daß man sich im Hotel lobend über meine Pünktlichkeit ausgesprochen, und fragte zum Schlusse blos noch, ob ich eine „objection“ hätte, das Protokoll zu unterzeichnen.

Auf mein „Pas la moindre, Monsieur,“ (nicht die geringste) trat er mit dem Papier und einer Feder an mein Bett und reichte mir beides hin, und nachdem ich das Protokoll leichthin überlesen, schrieb ich mit einigen sicheren Zügen mein „Chrétien Müller“ darunter.

Während er meine Unterschrift besah, bemerkte ich, daß mein Sohn, welcher die auf dem Tische offenliegenden Papiere des Commissars überblickt hatte, mir hastig zuwinkte und beide Hände über dem Kopfe zusammenschlug. Ich war daher nicht sehr überrascht, als der Commissar, indem er mich scharf ansah, langsam und mit Betonung wieder zu fragen anfing:

„N’avez-vous pas encore un autre nom, Monsieur, – Tundé, ou Mundé“ (Haben Sie nicht noch einen andern Namen?)

„Ah, ça,“ rief ich lächelnd, „wissen Sie den auch schon? Warum sagten Sie das nicht gleich? Sie hätten uns die Mühe dieses Protokolls ersparen können. Setzen Sie sich nur wieder hin, et recommençons! Ceci, ce n’est que des bêtises.“ (Fangen wir wieder an; das da ist nur dummes Zeug.)

Nun ging das Verhör von Neuem an:

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: berühmen
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_170.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2017)