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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Die Bürgermeisterin und die Hirschwirthin beriefen hierauf ihren alten Weingärtner, Friedrich Kurz, und schickten ihn in der Stadt herum, die andern Weiber zu bearbeiten. Die Bemerkung, „die Bürgermeisterin ist auch dabei“, – erfüllte selbst die Zaghafteren mit Muth.

In einer halben Stunde stand das ganze Weibervolk vor dem Hause der Bürgermeisterin, wohin „Jede, die Herz im Leibe hat,“ beschieden worden war, ausgerüstet mit Ofen-, Heu- und Mistgabeln, Bratspießen, Hackmessern, Besenstielen, Kunkeln, kurz mit allerlei Kuchel- und Stallgewehr, ingleichen mit Sicheln, Schneiddegen, „so im Lande bräuchlich, Holzstängel damit zu verhauen“, Stuhlfüßen, alten Partisanen und Hellebarden, – wie gleichzeitige Berichterstatter halb im Spott, halb im Ernst die Bewaffnung verzeichnen. Den Ernst zeigten aber die Frauen sofort in ihren energischen Anordnungen.

Die Frau Bürgermeisterin errichtete ordentliche Compagnien und erwählte die anstelligsten Weiber zu Officierinnen, und nachdem diese durch Degen und „kurz Gewöhr“ ausgezeichnet waren, marschirten die seltsamen Truppen vor das Rathhaus. Dort saßen die Väter der Stadt mit den Regierungs-Commissaren in geheimer Berathung und ahnten schwerlich, welche neue Macht unter den Fenstern erschien und an die Thüren zu pochen sich anschickte. Die Oberfeldherrin übernahm – nach Kurz – vorerst das Recognosciren. Sie drang heimlich, von einigen Wenigen ihres Stabes gedeckt, in das Haus und schlüpfte, durch ihre Leibesbeschaffenheit mehr als nöthig begünstigt, in den mächtigen Kachelofen des Sitzungszimmers. Diese Oefen wurden stets nur in nächtlicher Morgenfrühe geheizt und strömten, wenn die Gluth längst erloschen war, noch liebliche Wärme aus. Hier horchte Frau Künkelin, und was sie erlauschte, mochte ihr heißer machen, als die Ofenwärme. Es war die Rede von einer Capitulation mit den oft gethanen und nie gehaltenen französischen Versprechungen. Wie der Blitz wischte die Bürgermeisterin wieder aus dem Ofen heraus und ließ ihren Bürgermeister aus der Rathsstube rufen.

Die Anrede, die sie an den beim Anblick seiner bewaffneten Frau halbversteinerten Vater der Stadt hielt, ist uns leider nicht aufbewahrt, sie schloß aber mit den fürchterlichen Worten: „Ich erschlage Dich mit dieser meiner eigenen Hand, wenn Du zum Verräther wirst. Und richte das den Rathsherren von allen ihren Weibern aus, denn wahrlich, alle Verräther werden von ihren eigenen Weibern todtgeschlagen.“ Leichenblaß wankte der erschütterte Mann in den Sitzungssaal zurück, Rathsherren und Commissären das Ungeheure zu verkünden. Nach anderer Annahme soll sich die Bürgermeisterin nicht erst damit aufgehalten haben, ihren Eheherrn allein zur Rede zu stellen, sondern, nachdem sie sich im Ofen von der Untreue der Stadträthe überzeugt, an der Spitze der bewaffneten Frauen gleich in die Regimentsstube eingedrungen sein und, mit dem Degen in der Faust, der hohen Versammlung die Schwere ihres Verbrechens vorgehalten, den herzoglichen Commissären Gefangenschaft angekündigt und allen Verräthern mit dem Tode gedroht haben. Letztere Erzählungsweise hat offenbar auch dem Künstler unseres Bildes vorgeschwebt.

Ehe Rathsherren wie Commissäre Bestürzung und Erstaunen zu einem Beschluß kommen ließ, schritt die Bürgermeisterin zur Besetzung des Rathhauses und der Stadtthore, wozu sie die Herzhaftesten ihrer Schaar verwendete. Vor jede Thür des Rathhauses wurden Wachen gestellt. Wer von den Herren heraus wollte, wurde befragt, ob er für die Uebergabe gestimmt habe; zum Glück hatte noch keine Abstimmung stattgefunden, was die Hände der Frauen vor Gattenmord bewahrte. Aber ohne das eidliche Angelöbniß, mit Nein stimmen zu wollen, wurde keiner der Rathsherren freigelassen. Nur die Stuttgarter Herren blieben Gefangene. Das Rathhaus wurde das Hauptquartier der Weiber, die Hauptwache bezogen vier „Mann“, regelmäßige Ablösung erfolgte und die weniger schlagfertigen Weiber unterhielten, „weil es im December war“, auf dem Markte ein beständiges Wachfeuer.

Zwei Tage und drei Nächte blieben auf diese Weise die Stadt und das Rathhaus besetzt. Die Commissäre saßen diese ganze Zeit in der Rathsstube, in steter Gefahr, entweder von den Weibern, erschlagen zu werden, oder Hungers zu sterben. Nur mit Mühe vermochten einige „Rathsverwandte“ die Herzen der Wachen so weit zu erweichen, daß sie den Gefangenen verstohlen in den Taschen etwas Mundvorrath zutragen konnten. Tobias Heller, der Bürgerliche, der für den Minderschuldigen gelten mochte, wurde (man sagt, von dem Commandanten) heimlich aus der Stadt geschafft; der Hofjunker aber mußte, um sein Leben zu retten, nicht nur der Ausführung des mitgebrachten Auftrages entsagen, sondern auch selbst Anstalten zur Gegenwehr machen helfen.

Eine merkwürdige gleichzeitige Schrift von einem Präceptor Daniel Speer in Göppingen: „Der durch das Schorndorfische und Göppingische Weiber-Volk[1] geschüchterte Hahn etc.“ erzählt den Schluß dieser Weiber-Revolution also: „Endlichen hat ihn (den Hofjunker von Hoff) der Herr Commandant ohn einige sonderbahrere Achtung wieder aus der Festung gelassen.“ Auch „mußte“ der Commandant „denen geharnischten Weibrichen“ versprechen, „keinen Commissarium von der jetzmaligen Regierung deßfahls, besonders aber diesen Gesellen“ mehr einzulassen. „Haben also die Weiber, weilen den Männern verboten gewesen, wider Frankreich sich zu wehren, den ersten Anfang und Aufstand gemacht, und sind also die stolze französische Kriegswellen durch Weibercourrage, zu ihrem ewigen Ruhmgedächtniß, der hochmüthigen Reuter aber ewigem Spott, niedergeleget worden.“

Der Commandant Peter Krummhaar hatte ohne Zweifel stillfreudig die Weiber gewähren lassen. Der Aufenthalt, der dadurch dem französischen Vordringen verursacht worden, hatte ihm Luft gemacht, der Succurs vom schwäbischen Kreisheer war nur noch zwölf Stunden entfernt und der Kaiser hatte dem General des Schwäbischen Kreises, dem Markgrafen von Baden-Durlach, die Weisung gegeben: sich an die Anordnungen der vormundschaftlichen Räthe der Würtembergischen Regierung, „weilen sie gleichsam in französischen Händten stehen“, nicht zu kehren.

Groß war die moralische Wirkung, welche dieser Heldenmuth der Frauen augenblicklich ausübte. Kurz sagt: Die That der Schorndorfer Weiber war es, und nichts anderes, was dem ganzen Bilde plötzlich ein verändertes Aussehen gab. Bis dahin, wenn man von den officiellen Kniebeugungen und Gnadenseufzern sich abwendet und nach dem Volksleben umsieht, findet man einen Tag wie den anderen dumpfe Festungsstille, nur unterbrochen durch den Wirbel der Trommel, den Ruf der Wachen und das Aufstoßen der Gewehre, oder durch unheimliche Schüsse von Zeit zu Zeit. Nach dem 14. December jedoch ist Leben überall. Wohin man blicken kann, sieht man das Volk in Bewegung.

Die Hauptheldin dieser Tage aber, die Bürgermeisterin von Schorndorf, Frau Künkelin, überlebte diese Begebenheiten, die ihren Namen geschichtlich gemacht haben, um mehr als vierzig Jahre in guter Gesundheit und beständiger Thätigkeit, sah Enkel und Urenkel, überstand noch zwei wirkliche Belagerungen ihrer Stadt, 1693, wo der Commandant Oberst Carolin von Sommaripa die Franzosen vor der Festung verjagte, und 1707, wo der Commandant von Tastung sie schmählich den Franzosen übergab, und starb, nachdem sie noch eine zwanzigjährige Blindheit ungebeugten Geistes ertragen hatte, neunzig Jahre alt.

Ihr Andenken bleibe bei allen deutschen Frauen und Männern in Ehren!

Friedrich Hofmann.




Ein Märtyrerthum der geistigen Arbeit.


Arbeit soll stets ihren Mann ernähren und redlicher Fleiß der einzig wahre Sorgenbrecher sein. Leider ist dies nicht immer der Fall, denn daß trotz allen Fleißes selbst ein begabter und wegen seiner Leistungen geachteter Mann durch sein ganzes Leben die Sorgenlast mit sich fortschleppen, ja daß diese nach langen Jahren der Arbeit immer drückender werden könne, – dafür haben wir heute unseren Lesern ein Beispiel aufzustellen.

Allerdings gehört dieses Beispiel einem Kreise der Thätigkeit


  1. Auch in Göppingen brachte, gleich nach dem Schorndorfer Vorfall, ein durchreisender „fürnehmer“ Commissarius das Weibervolk in den Harnisch. Man wußte, daß der Succurs des Reichs gegen die Franzosen im Anzug war, und befürchtete, daß er von Stuttgart aus hintertrieben werde. Die Weiber bewaffneten sich, besetzten das Gasthaus, wo der Commissarius verweilte, und die Stadtthore, und sie entließen ihn erst, als sie die Versicherung erhalten hatten, daß er, nachdem auch Stuttgart, gegen alle Zusagen der Franzosen, feindlich besetzt worden sei, den Succurs selbst herbeiholen solle.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_190.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)