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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Kinderkreise eine göttliche Zeichensprache des Unsichtbaren, Höheren; in der innigen Naturfreude seines beschaulichen Gemüths verglich er einst sogar die Bibel mit einem schönen Walde, und er konnte wohl mit frommer Freude hinzufügen: „es ist kein Baum darinnen, an dem ich nicht mit meiner Hand geklopfet habe.“

Der Garten, an welchem Luther im Winter seine Augen weidete, waren seine Kinder, die er ja immer als den herrlichsten Segen Gottes pries. Das liebe alte deutsche Christfest unter den Lichterstrahlen des bunt geschmückten Tannenbaums bereitete auch in Luther’s Hause den Kindern ihren heiligsten Abend. Der Maler Gustav König und unser Schwerdtgeburth haben uns solche Weihnachtsbescherungen gezeichnet. Des letztern köstliches Bild schmückt viele Familienstuben. Auf König’s Darstellung in seinen Bildern aus des Reformators Leben sitzt Luther vor dem Christbaum, die treue Gattin ihm zur Linken die Hand drückend und sein jüngstes Töchterlein ihm auf dem Schoß, und der kleine Paulus zeigt ihm sein neues Steckenpferd, während Reiter, Trompeten, Aepfel und andere Lust schon auf dem Fußboden Platz gefunden haben; Luther’s liebster Freund Melanchthon macht sich mit Hänschen zu schaffen, denn da sind nun all’ die „hübschen lustigen Gärten, vielen Kinder, Aepfel und Birnen, schönen kleinen Pferdlein mit goldenen Zäumen und silbernen Sätteln, Pfeifen, Pauken und feine silberne Armbrüste,“ von denen des Vaters Coburger Brief verheißen hatte. Nun schießt Hänschen richtig nach den goldenen Aepfeln am Christbaum, und hinten am Tisch freut „Muhme Lene“ sich mit dem kleinen Martin an einem neuen Bilderbuch; vor ihnen sitzt Magdalenchen neben ihrem Puppenwäglein und hält den Christengel, den man ihr von der Spitze des Tannenbaums herabgereicht, selig lächelnd über ihr liebes Kindeshäuptlein empor, sie, die nur allzufrüh selbst ein Engel sein sollte.

Wen all die Liebe des Mannes im Glück nicht für ihn erwärmen könnte: „Luther am Sarge seines Töchterleins Magdalena“, der Anblick des Mannes in seinem tiefsten Schmerz und seiner höchsten Gottergebenheit – kann ungerührt nur ein Auge lassen, aus dem kein Herz spricht. Unsere Leser kennen die ergreifende Scene.[1] Die Tage der häuslichen Sorge und Trauer mehrten sich auch bei Luther mit den wachsenden Jahren; Krankheit und Tod von Eltern, Verwandten, Freunden schoben Wolken auf Wolken vor die Sonne des häuslichen Friedens, es ward einsamer in ihm, während die drohenden Stürme von außen immer näher gegen sein großes Werk der Reformation heranrückten. Wie er am Sarge seines Töchterleins ausgerufen: „Ich wollte, daß ich und meine Kinder und ihr Alle sollt so hinfahren, denn es werden böse Zeiten folgen,“ – so sprach er vor seinem letzten Gang, als er Abschied von seiner Familie nahm, um in Eisleben Frieden zwischen ihm befreundeten Fürsten zu stiften und – dort zu sterben, wo er geboren war: „Die Welt ist mein müde, so bin ich ihrer müde; wir werden uns leicht trennen, gleichwie ein Gast die Herberge nicht ungern verläßt;“ – aber bei seinen Lieben, bei seiner lieben Käthe und seinen Kindern ist sein Herz und weilt sein Geist bis zum letzten Augenblick. „Laß mich in Frieden mit Deiner Sorge; ich habe einen bessern Sorger als Du und alle Engel sind. Darum sei in Frieden, Amen!“ Das waren seine letzten Zeilen an seine Gattin.

So steht der Doctor Martin Luther vor uns als ein kerndeutscher Mann, dem die Ehre seiner Nation nächst Gottes Ehre das Höchste war, der den Papst bekämpfte als den welschen Feind des deutschen Geistes, der nicht um „Gedankenfreiheit“ vor Königsthronen bettelte, sondern sie erfocht, aber freilich auch ein so harter Fels, daß er weicher geschaffene Freunde oft verletzte, ein Kopf von Eisen, unter dem ein Kindesherz in der Brust schlug. Auch er hat zuweilen geirrt, denn er war ein Mensch, aber jeder Gerechte wird mit uns einstimmen in das Urtheil des Mannes, der vor Tausenden befähigt war, an einen Luther den Maßstab zu legen; Lessing sagt: „Luther steht bei mir in einer solchen Verehrung, daß es mir lieb ist, einige Mängel an ihm entdeckt zu haben, weil ich in der That sonst der Gefahr nahe war, ihn zu vergöttern. Die Spuren der Menschheit, die ich an ihm finde, sind mir so kostbar wie die blendendste seiner Vollkommenheiten.“ Also, ihr Deutschen allerwärts: Gerechtigkeit dem Luther in der Geschichte und durch die Geschichte! –




Erinnerungen an einen großen Todten.
Von Dr. Max Schasler.
I.


Es war etwa ein Jahr, nachdem der große Meister der neuern deutschen Malerei, Peter von Cornelius, Rom – sein künstlerisches Mekka, wohin er immer pilgerte, sobald neue und große Ideen in ihm auf Gestaltung drangen – zum letzten Male verlassen hatte, um mit seiner jugendlichen Gattin für immer nach Berlin überzusiedeln, d. h. im Frühjahr des Jahres 1862, als ich zum ersten Mal mit ihm zusammentraf. Ich hatte längere Zeit in den Parterreräumen seines Hauses neben dem Raczynski’schen Palais am Exercirplatz verweilt, um den in denselben aufgestellten Cartons zum Campo Santo eine freie Stunde ruhigen Studiums zu widmen, als er plötzlich hereintrat. Ich hatte ihn früher noch nicht gesehen, erkannte ihn aber auf den ersten Blick: eine kaum mittelgroße Gestalt, aber trotz seiner vierundsiebenzig Jahre ungebeugt, wenn auch schon etwas langsam in den Bewegungen; auf dem etwas kurzen Halse ein seltsamer, wie aus Granit gehauener Kopf; die schlichten und noch völlig schwarzen Haare zu Seiten einer Stirn fallend, die, ohne gerade sehr hoch zu sein, durch ihre mächtige Breite und Wölbung die Welt von Gedanken ahnen ließ, die sich dahinter verbarg; eine entschieden vorspringende Nase von kraftvoller Bildung; ein Mund, dessen Unterlippe ein wenig vorstand, während rings Falten von charakteristischer Modellirung herumlagen: so schritt er langsam, in einen langen, mit Pelz gefütterten Oberrock gehüllt, auf mich zu und erwiderte mit gewinnender Freundlichkeit meinen ehrfurchtsvollen Gruß.

Wir standen vor dem ‚Sturz Babels‘, jener gewaltigen Schöpfung des Meisters, der größten vielleicht nächst den ‚Apokalyptischen Reitern‘. Ich hatte ihm meine Karte hinaufgeschickt, hielt es jedoch für passend, ihm mich persönlich vorzustellen. – Jene erste Begegnung und die wenigen Worte, welche wir wechselten, werden mir immer unvergeßlich bleiben. Wir haben später viele und lange Gespräche gehabt, da ich das hohe Glück genoß, in seine Häuslichkeit Zutritt zu erlangen; aber jene erste kurze Begegnung steht mir lebhafter als alles Andere vor der Erinnerung.

„Also, Sie sind Herausgeber einer Kunstzeitung, d. h. Kritiker,“ bemerkte er nach einiger Zeit. „Eine vortreffliche Sache die Kritik, wenn sie richtig gehandhabt wird. Aber das ist heutzutage selten. Das Geschlecht der Winckelmanns und Lessings scheint ausgestorben, selbst hier in dem kritischen Berlin.“ – Er schien eine Entgegnung zu erwarten und fragte dann, als ich schwieg, mit einer gewissen Schärfe, indem er auf den Carton wies: „Nun, sagen Sie mir einmal Ihre Meinung darüber; geniren Sie sich nicht, ich habe gelernt, den Tadel zu ertragen und das Lob zu verachten.“

Ich gestehe, daß ich mich einigermaßen in Verlegenheit befand, eine Frage dieser Art so kurzweg zu beantworten, erwiderte daher, daß ich zu hohe Achtung vor seinem Künstlergeiste hegte, um voraussetzen zu dürfen, daß er nur allgemeine Phrasen von ‚Großartigkeit‘, ‚gewaltiger Composition‘, ‚Ideenreichthum‘ und dergleichen erwarte; er werde wohl am besten wissen, daß ein solches Werk nicht als Einzelproduct zu beurtheilen, sondern nur im Zusammenhange mit der ganzen Ideenfolge, der es angehöre, zu verstehen sei und daß diese ganze Ideenfolge ihrerseits wieder nur auf Grund einer tieferen Charakteristik seiner, des Meisters, künstlerischen Anschauungsweise gewürdigt und begriffen werden könne. Was aber das Loben und das Tadeln beträfe, die er als Alternative für die Kritik hingestellt habe, so handele es sich darum meiner Ansicht nach gar nicht, sondern um ganz andere Dinge, zunächst um ein objectives Begreifen des Werkes nach Inhalt und Form und sodann um eine ebenso objective Charakteristik desselben, woraus allein das Publicum ein richtiges Verständniß schöpfen könne. Ob in dieser Charakteristik nebenher ein Lob oder ein Tadel oder, was bei einer wahrhaften Kritik


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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_263.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2017)