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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

meistens der Fall sein werde, beides enthalten sei, das wäre weder die Hauptsache noch der Zweck der Kritik.

„Das läßt sich hören,“ meinte Cornelius mit größerer Freundlichkeit im Ton, „ich freue mich, daß Sie die Kritik so ernst auffassen.“

„Ich fasse sie als eine Wissenschaft auf, und die Wissenschaft ist ernst,“ bemerkte ich.

„Richtig,“ fiel er mit einer gewissen Ironie ein, „die Wissenschaft ist ernst, das Leben auch, blos die Kunst soll ja heiter sein. – Aber ich sage Ihnen,“ fuhr er plötzlich mit starker Stimme fort, „die Kunst ist das Allerernsteste von den Dreien; freilich nicht, wie sie heutzutage getrieben wird, als ein Cultus der Materie, sondern wie sie von den alten großen Meistern und, Gott sei Dank, auch noch von einigen tüchtigen Kerlen heutiger Zeit getrieben wird … Doch, kommen Sie mit herauf; hier ist’s kalt, ich kann Rom immer noch nicht vergessen und den warmen italienischen Himmel, mich friert’s hier in Berlin …“ Leider konnte ich seiner freundlichen Einladung nicht Folge leisten, und so forderte er mich in liebenswürdigster Weise auf, ihn recht bald zu besuchen.

Dies war mein erstes, unvergeßliches Zusammentreffen mit Cornelius. Der Eindruck, den er damals auf mich machte, war um so tiefer, als mir der Grund davon erst später, nachdem ich oft bei ihm gewesen und Manches mit ihm gesprochen, ganz klar wurde: es war die kindliche Einfachheit, die wahrhaft menschliche Natürlichkeit seines persönlichen Wesens, in Verbindung mit dem tiefen männlichen Ernst seines Charakters und der zwar von allem Fanatismus freien, aber doch leidenschaftlichen Wärme seiner Ueberzeugung. Er war ein ganzer Mann, milde in der Form, nachsichtig gegen Andersdenkende, aber strenge, wenn auch zurückhaltend, in seiner Verdammung alles Scheinwesens und unerbittlich gegen das, was er die ‚Sünde gegen den heiligen Geist der Kunst‘ zu nennen pflegte.

Ich glaube, seinem Andenken keine bessere Huldigung darbringen zu können, als durch Mittheilung einiger seiner Aussprüche, die noch in meiner Erinnerung geblieben sind. Im Allgemeinen lebte Cornelius sehr zurückgezogen, doch liebte er es, Sonntags einen kleinen Kreis von Freunden an seinem Mittagstische zu sehen. Außer seinem Schwager, dem Geheimerath Brüggemann, und dessen Frau (Cornelius’ Schwester), welche der jungen Gattin des Meisters, die damals noch wenig Deutsch sprach, mütterlich zur Seite stand, war es besonders der langjährige Freund von Cornelius, der Professor Xeller, den ich, wenn mir die Ehre einer Einladung zu Theil wurde, dort gewöhnlich antraf. Hier, bei einem guten Glase Wein, entwickelte der sonst so ernste Künstler in seinen Gesprächen eine ruhige Heiterkeit und, besonders in seinen Erzählungen aus früherer Zeit, eine drastische und oft humoristisch gefärbte Lebhaftigkeit, welche ebenso rührend wie anziehend war und jeden Zwang verbannte.

Er regte nicht nur seine Gäste zu heiteren Mittheilungen an, sondern ging ihnen auch oft mit gutem Beispiel voran. Dabei besaß er ein ganz eigenthümliches Talent der Darstellung. Ohne seine gewöhnlich ruhige und bestimmte Weise des Sprechens zu ändern, nur mit Beimischung einer gewissen treuherzigen Jovialität im Ton, erzählte er zuweilen kleine humoristische Scenen aus seinem Leben, die ungemein erheiternd waren. So erinnere ich mich einer Mittheilung aus seinem früheren römischen Aufenthalt, worin er schilderte, wie einer der Gebrüder Riepenhausen einmal in der Campagna von einem der dort ziemlich wild umherschweifenden Stiere verfolgt worden war. Dergleichen brachte er mit einem gewissen trocknen Humor vor, welcher wahrhaft drastisch wirkte, und bewies dadurch, daß er, weit davon entfernt ein asketischer Grübler zu sein und trotzdem daß sein großer Geist sich mit den erhabensten Ideen trug, auch wie andere Menschen heiter und unbefangen fühlte. Wo die Gelegenheit sich darbot, mischte er gern einen unschuldigen Scherz ein. So erinnere ich mich, daß, als ich das erste Mal bei ihm zu Mittag geladen war, er nach Vollendung des Mahles bemerkte: „Nun, Kinder, müßt Ihr mir eine halbe Stunde Zeit zum Kaffeekochen geben. Dabei darf mich Keiner stören. Nachher plaudern wir weiter.“ Verwundert fragte ich, als wir das Zimmer verließen, Xeller, warum Cornelius denn selbst Kaffee koche? – „Ach,“ erwiderte dieser, „das ist nur eine Redensart von ihm; so sagt er immer, wenn er ein kleines Nachmittagsschläfchen halten will.“ Als wir nach der halben Stunde dann wieder zusammen kamen, machte ich in scherzhafter Weise die Bemerkung, man merke wohl, daß er den Kaffee gekocht; denn er sei ausgezeichnet. „Nicht wahr?“ erwiderte er ernsthaft, „ja, das versteht keiner besser als ich, außer dem Xeller vielleicht noch.“ Denn er merkte wohl, daß Xeller mir die Lösung des Räthsels gegeben, und dafür strafte er ihn auf diese ironisch-gemüthliche Weise.

Er zeichnete damals an dem Carton zu dem Altarbilde „die Todten begraben“ u. s. f. und ich folgte mit lebhaftem Interesse der Ausbildung der Composition, in der er eine bei ihm seltene Weichheit der Empfindung offenbarte. In dem großen Eckzimmer der Nordwestseite seiner Wohnung hatte er seine Künstlerwerkstatt aufgeschlagen, da ihm das Treppensteigen – die Ateliers waren in den unteren Räumen belegen – zu beschwerlich war. Er zeichnete gewöhnlich bis nach elf Uhr und machte dann, wenn es das Wetter irgend zuließ, einen einsamen Spaziergang entweder auf dem großen Platz, an welchem sein Haus lag, in der Richtung nach dem Kroll’schen Etablissement hin, oder in den anstoßenden Gängen des Parks. Zuweilen suchte ich ihn dort auf und wanderte mit ihm auf und ab. Er sprach dann nicht viel, außer wenn ihn etwas tiefer bewegte, aber dann in seiner ruhigen und energischen Weise und mit großer Bestimmtheit.

So kamen wir einmal, ich weiß nicht mehr durch welche Gedankenverbindung, auf die verschiedene Stellung des Katholicismus und des Protestantismus zur Kunst zu sprechen, und ich fragte ihn, ob es wahr sei, wie Manche glaubten, daß die bekannte Figur in dem Predigertalar unter den Verdammten des „Jüngsten Gerichts“ in der Ludwigskirche zu München Luther darstellen solle.

„Und was wäre Ihre Ansicht darüber, wenn es sich so verhielte?“ fragte Cornelius dagegen.

„Aufrichtig gesagt, ich würde es nicht billigen.“

„Natürlich, Sie sind ja Protestant,“ bemerkte er.

„Nicht deshalb, sondern weil bei einem Werke von dieser tiefreligiösen, allgemein-christlichen und zugleich allgemein-menschlichen Bedeutung eine confessionelle Opposition der Art, namentlich von Ihrem Standpunkt aus, kleinlich erscheinen würde.“

„Von meinem Standpunkt aus! Was wissen Sie, was weiß die Welt von meinem Standpunkt? Ich bin Katholik, und aus voller Ueberzeugung.“

„Ja, aber, wie ich denke, mehr aus künstlerischen als aus religiösen Gründen,“ warf ich ein.

Cornelius sah mich einen Augenblick an, sein Auge leuchtete. Dann sagte er einfach:

„Die Kunst, wie ich sie verstehe, ist von der Religion nicht zu trennen, sie ist selbst eine Religion. Was hat die sogenannte Reformation für die Kunst gethan? Sie hat den Glauben ernüchtert, die Empfindung erkältet, die Kraft der Ueberzeugung gebrochen. Die Bilderstürmerei war nicht das Schlimmste. Aber sehen Sie sich heute um in der Kunst. Was bedeutet das heutige Kunststreben, was bedeutet die moderne Cultur überhaupt? Prosaische Aufklärerei, verständige Berechnung, schlaue Speculation und, was das Schlimmste ist, die Anbetung des goldenen Kalbes in den verschiedenen Formen. Daß der Materialismus zur Herrschaft gekommen ist, verdanken wir der Reformation und den Reformatoren, besonders Ihrem Luther. Das Geschäft der Bilderstürmerei, d. h. der Entwürdigung und Erniedrigung der Kunst, wird bis auf den heutigen Tag fortgesetzt, und am meisten durch die Künstler selbst.“

„Was konnte Luther dafür? War er nicht in seinem Recht gegen die Verderbniß der Kirche? Oder leugnen Sie diese?“

„Ich leugne sie nicht. Ich bin kein blinder Fanatiker, ich weiß den Mann wohl zu würdigen und habe Respect vor seiner Energie. Aber, bewußt oder unbewußt, hat er, um das, was er für Aberglauben und Verderbniß hielt, zu stürzen, auch den Glauben untergraben, er hat das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Der Zwiespalt der Gemüther, den er in die Welt gebracht, hat wie ein Gift an der Menschheit gefressen, bis sie das geworden ist, was sie heute ist: materiell, speculativ, nüchtern und egoistisch. Und dann, was nennen Sie Protestantismus? Was ist sein eigentlicher Inhalt? Die katholische Kirche hat nur einen Glauben; in ihr ist kein Zweifel, kein Scrupel. Aber wie ist es mit der protestantischen bestellt? Ist es Luther oder Zwingli, Calvin oder Wiklef, der Recht hat? Bis auf die Lichtfreunde und andere moderne Erfindungen der Aufklärerei herab ist es immer nur das Streben nach Verflachung und Ernüchterung, worin sie übereinstimmen; in allem Anderen gehen sie unter sich noch weiter auseinander,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_264.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2017)