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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Geschehene und noch Bevorstehende sichtbar war, „ich habe Sie schon in der Stadt und auch unterwegs gebeten: lassen Sie uns unseren, für alle Theile peinlichen Auftrag zum mindesten so schonend wie möglich erfüllen. Wir wissen von den Insassen dieses Hauses noch nichts, als daß es vermuthlich ein paar Damen der Familie Treuenstein mit ihrer Bedienung sind, gegen die wir dann keinenfalls mit Härte oder gar Unhöflichkeit aufzutreten hätten. Ein Gesetz, das dem frühern Minister und seiner Familie ihre Besitzungen abspricht, existirt meines Wissens nicht.“

„Sie wissen es wohl, Bürger Landrath,“ fiel der schön frisirte Sprecher ein, „daß gerade Dernot diesem entmenschten Tyrannen ohnehin nicht gehört – bestritten wird von jenem prächtigen, treuen Volksmann, dem Müller Besseling, an dem die gewissenlosen Gewalthaber uns ein furchtbares Beispiel ihrer –“

„Herr Kiskel,“ unterbrach ihn der ‚Landrath‘ geheißene Mann mit gerunzelter Stirn, „Sie sagten eben selbst, daß das Recht auf Dernot nur bestritten wird. Die Entscheidung ist also noch nicht da, und wir haben sie am allerwenigsten zu fällen oder sie dem zu überlassen, der seine Ansprüche doch erst zu beweisen haben dürfte.“

„Das Zujauchzen des armen unterdrückten Volks wird diesen Beweis den Söldlingen der Tyrannei in die schreckensbleichen Gesichter donnern,“ rief Herr Kiskel pathetisch aus. „Diese alberne mittelalterliche Fratze, diese sogenannte Herrin von Dernot –“

„Mann, lassen Sie dies Gezänk und die albernen Worte,“ fiel ihm ein Anderer in die Rede. „Der Herr Landrath hat ganz Recht: wir müssen unseren Auftrag erfüllen, aber grob wollen wir nicht sein, wie vorhin Sie, und uns nicht um Dinge bekümmern, die uns nichts angehen. Kommt hinein, es ist kalt, heut Morgen.“

„Ich brauche von Ihnen weder Rath noch Lehre in Betreff meines Benehmens,“ rief Herr Kiskel heftig. „Ich stehe hier im Namen –“

Jonas’ Rückkehr unterbrach unglücklicherweise die so schön angelegte Rede. „Die Herrin von Dernot erwarte die Herren droben im Saal,“ meldete der alte Jäger und schritt ihnen voran der Treppe wieder zu.

„Man muß dies Feudalnest umstellen, daß der versteckte Tyrann nicht entwischt!“ rief Herr Kiskel lebhaft. „Bürger Landrath; ich mache Sie –“

„Ich gab den Landreitern den Auftrag, die Ausgänge zu bewachen,“ sagte der alte Herr ungeduldig, „und nun vorwärts.“

Die Einrichtung im Saale war seit jenem denkwürdigen Morgen im Herbst nicht verändert worden. Der Tisch stand noch in der Nähe eines der großen Fenster, die Stühle zeigten sich um ihn im Kreise aufgestellt. In der Fensternische, wo damals der Kammerherr gestanden, waren jetzt Heimlingen und der Arzt im leisen Gespräch nebeneinander; links von ihnen, nicht fern von der Thür, welche in die bewohnten Räume führte, befanden sich Burgsheim und der Verwalter nebst einigen Anderen, welche dem Letzteren vom Dorf herauf gefolgt waren.

Esperance stand allein, vor dem Tisch und beinah in der Mitte des großen Raums, in ruhiger, ernster, ja würdiger Haltung; denn so schlank diese Gestalt war und so jugendlich schön das sehr blasse Gesicht, – man sah in ihr in diesem Augenblick schwerlich auf das junge Mädchen, sondern erkannte diejenige, welche ein Recht auf den Platz und auf die Haltung hatte, in welcher sie ihren unerwarteten Gästen entgegentrat, die Vertreterin der Familie und die Gebieterin des Hauses. In Trauerkleidern erschien sie noch nicht, die Zeit hatte zu solchem Wechsel nicht gereicht; allein ihre Kleidung war dunkel und einfach und paßte völlig zu dem Ernst des Moments und zu dem gleichen Ausdruck in ihren Zügen.

„Meine Herren,“ sprach sie, den Kopf von einer leichten Verneigung gegen die Eintretenden wieder erhebend, und ihre Stimme war klar und gleichfalls voll Würde, „meine Familie ist heut’ von einem schweren Leid heimgesucht worden. Trotzdem habe ich Sie, die man mir als eine Commission der Regierung meldete, nicht zurückweisen wollen. Darf ich Sie um Mittheilung des Auftrags oder Befehls bitten?“

„Derselbe geht nicht an Sie, Bürgerin,“ rief Herr Kiskel mit einer graciösen, abweisenden Handbewegung, „sondern an das Haupt derjenigen, welche sich in diesem der Nation –“

„Sie sehen das gegenwärtige Haupt und die Gebieterin dieses Hauses vor sich,“ unterbrach sie ihn mit ruhiger Entschiedenheit. „Man heißt mich in Folge meines Erbrechts und der testamentarischen Bestimmung meines Vaters, des Barons von –“

„Des Exministers, Landes- und Volksverräthers, der sein Leben und Eigenthum verwirkt hat!“ schrie Kiskel, sichtbar sich erhitzend.

Ein dunkler Blick ihres Auges maß den Rufer stolz von oben bis unten und dann fügte sie ihrer Rede im vorigen Ton hinzu: „Des Barons von Treuenstein, meines Vaters, sage ich, die Herrin von Dernot. – Ihr Auftrag, meine Herren, wenn ich bitten darf.“

„Mein Fräulein,“ redete der Landrath jetzt mit ernster Höflichkeit, „ein Theil desselben ist dadurch erledigt, daß wir in der Bewohnerin des Schlosses auch seine rechtmäßige Besitzerin erkennen. Es halten sich, der Sage nach, fremde Familien in diesen Gegenden auf und treibt sich allerlei Gesindel an der Grenze umher; das Land ist voll von Unruhe und Gerüchten. Man wollte wissen, daß sich an dieser abgelegenen Stelle hochstehende Flüchtlinge mit einer Verschwörung –“ der alte Herr brach lächelnd ab.

Selbst durch Esperancens bleiche Züge flog ein leises, trübes Lächeln, und sie erwiderte: „Wir mußten aus der Residenz und von Heitersberg flüchten und gingen hierher, um Ruhe zu finden. Fremde sind keine bei uns.“

„Was zu beweisen ist! Wer sind diese ‚wir‘?“ fragte ein anderes Mitglied der Commission in grobem Tone.

„Ich, die Sie vor sich sehen,“ versetzte das Mädchen unerschrocken, „meine Tante, welche sehr leidend ist; meine Cousine, welche bei ihr weilt, und endlich“ – sie deutete flüchtig auf Heimlingen – „der Verlobte meiner Cousine, Kammerjunker, Baron von Heimlingen, nebst unserer Dienerschaft. Genügt das? Sonst freilich müssen Sie sich von der Richtigkeit meiner Angabe durch eigenen Augenschein überzeugen.“

„Und der Volksverräther, der Tyrann – der Wütherich!“ schrie Kiskel, der sich bisher nur mühsam durch einen der neben ihm Stehenden hatte zurückhalten lassen, zornig heraus.

„Wenn Sie so – ich weiß nicht, mit welchem Recht! – meinen Vater zu heißen wagen …“ sagte Esperance stolz.

„Ja, ihn, ihn – den man hier verbirgt! den die Rache der Nation –“

„Sie sind jetzt still, Herr Kiskel,“ fiel der Landrath ihm barsch in’s Wort, „ich bin der Sprecher dieser – sagen wir Commission, und ich erkläre, wie ich denke, auch im Namen der anderen Herren, daß wir weder den Auftrag, noch ein Recht haben, gegen diese Dame in einer so brutalen, jedes Gefühl verhöhnenden Weise aufzutreten. Mein Fräulein,“ redete er gegen Esperance gewendet, weiter, „wir haben allerdings den Auftrag, nach Ihrem Herrn Vater zu sehen, von dem behauptet wird, daß er sich in diesem Schlosse aufhält. Und da unsere Stände seine Verhaftung und Anklage beschlossen haben, so müssen wir uns leider allerdings überzeugen, ob das Gerücht die Wahrheit sagt.“

Sie schaute den sichtbar bewegten Mann einen Augenblick lang sinnend an, bevor sie entgegnete: „Nochmals, meine Herren, wenn Sie mir nicht glauben, müssen Sie selber nachsehen. – Mein Vater ist nicht mehr hier.“

„Nicht mehr – hört Ihr’s – nicht mehr!“ schrie Kiskel wieder, und auch zwischen den Uebrigen zeigte der Eine und Andere die Spuren großer Aufregung. „Also hat man dennoch gewagt, den Verfehmten –“

Er wich vor der rasch vortretenden Esperance und vor ihrem blitzenden Auge verstummend zurück. „Ja, mein Herr,“ sagte sie in einem fast drohenden Ton, „ich habe meinen Vater hierher geflüchtet und habe ihn hier verborgen. Kennen Sie ein Gesetz, eine Macht der Welt, die mich von einer solchen Pflicht zu entbinden vermöchte? – Jetzt ist das nicht mehr nöthig. Er ist der Strafe oder Rache entrückt. Kommen Sie mit, mein Herr,“ wandte sie sich an den Landrath, „und Sie,“ und sie winkte mit stolzer Bewegung gegen Kiskel, – „die übrigen Herren kann ich nicht einladen, aber diese beiden werden genügen.“ Und mit festem Schritt ging sie durch die zurückweichende Gruppe, den Genannten voran, aus der großen Thür. Die Eingeweihten schauten ihr ergriffen, die Uebrigen bestürzt nach.

Im nächsten Augenblick jedoch eilten Burgsheim und Heimlingen, denen sich auch der Arzt anschloß, rasch hinterdrein, an den verblüfft zurückweichenden Mitgliedern der Commission vorüber.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_291.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)