Seite:Die Gartenlaube (1867) 312.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

„pfit Enk Got,[1] unter Enk mag’i nimma bleib’n,“ griff er nach Schlapphut und Stock und eilte zur Thür hinaus, nachdem er der Kellnerin zugerufen: „Hanni, morgen zahl i Zech und Teller, kimm scho, daß d’ net moanst, i bleib’ ebbar aus!“ – Das arme Weiberl empfing noch in später Nachtstunde das Erträgniß des ersten Rauchbildes.

So entstand das erste Erzeugniß einer neuen Art zu malen, und was bisher nur durch Tusche, einen Farbestoff aus dem himmlischen Reich der Mitte, bewerkstelligt wurde, das schuf Schleich aus flüchtigem Rauch, indem er ihn zu bannen und ihm Gestalt zu geben verstand.

August Schleich, oder wie er sich vorzugsweise gern nennen ließ: „der Schleichgustel“, wurde 1814 in München geboren; dort Zögling der Akademie der bildenden Künste, Radirer und Lithograph und begann seine künstlerische Laufbahn bald in Oel malend, bald aquarellirend. Durch die Lebendigkeit seiner Darstellungen erregte er große Aufmerksamkeit und bald war große Nachfrage nach seinen Producten. Aber auf keinem Gebiete war er so gern beschäftigt, wie auf dem der Porcellanmalerei, in welcher er auch Jahre lang seinen Haupterwerb fand und noch mehr gefunden hätte, wenn er in gleichem Schritte mit der Nachfrage fleißig gewesen wäre. Mangel an Ausdauer war sein Hauptfehler, es mußte Alles schnell bei ihm gehen und es kam ihm durchaus nicht darauf an, Wochen und Monate lang sich im Bewußtsein zu sonnen, daß er schaffen könnte, wenn er nur wollte. Außerdem wurde er gar oft und anhaltend von einem äußerst humoristisch-ernsthaften Zorn befallen, darüber, daß er für Andere arbeiten und daß er nicht, wenn auch nicht alle, doch mindestens die besten Stücke für sich behalten dürfe. Diese Leidenschaft wuchs in seinen späteren Jahren, als er fast nur noch im Rauchfach arbeitete, und er lernte seinen Kummer hierüber durch stärkeren Aufguß von Spirituosen zu dämpfen.

Da wetterte er oft erschrecklich und behauptete, für das Geld, das er bekomme, sollten die Besteller ihre Sachen bei ihm anschauen, so oft sie wollten, ihm aber dieselben nicht forttragen und „verfluchten Trafik“ damit machen. Kurz, er hätte mitunter vorgezogen, am Hungertuche zu nagen, als einen Zeichenstift anzurühren. Begreiflich galt es aber doch, zu leben, weshalb er sich in Verbindlichkeiten einließ, welche zur Folge hatten, daß er in besseren Zeiten doch um nichts reicher war. Also in solchen Zeiten rührte er extra keinen Finger, ging spazieren oder stattete den entferntesten Wirthshäusern Besuche ab, wenn er die näheren schon besucht hatte; und wenn er für sein Nichtsthun gar keine Entschuldigung mehr wußte und von Bestellern gedrängt ward, so war er urplötzlich ganz und gar aus der Stadt München verschwunden im Freien und Niemand wußte, wohin er gegangen. Eingenommen gegen alles Fremdländische, bereiste er nie das Ausland; Florenz und Rom, die Wallfahrtörter aufstrebender Künstler, blieben ihm fremd; doch wozu brauchte er sie? Schleich hat wohl nie nach Idealen im praktischen Leben gerungen, und in der Kunst noch weniger. Er schöpfte seine Gedankenfülle weder aus den sichtbaren Vorbildern großer Meister, noch aus unsichtbaren Sphären, er wußte nichts von geschwungenen classischen Formen; im frischen grünen Hag, in dunklen Tannen, im struppigsten Buschwerk, in Feld und Wiese und auf den Bauerhöfen, da liefen seine Vorbilder lebendig, gesund und frisch umher, da belauschte er sie und studirte sie in ihrem Thun und Treiben. Sich der langen Gesichter seiner Besteller freuend, streifte er, einen guten Imbiß im Sack und einen Schluck Branntwein in der Feldflasche, im Gehege umher, lag oft halbe Tage lang heimlich versteckt im Buschwerk in der Nähe von Erdhöhlen, indem er es hauptsächlich auf Reineke Fuchs abgesehen, dessen schlaue Gestalt in seinen Meisterwerken auch eine bevorzugte Stellung einnimmt. Er studirte den Familienverkehr der zwei- und vierbeinigen Waldthiere, ahmte ihre Stimmen und ihre Manieren nach und in der gründlichen Detailkenntniß des Fuchses, der Hirsche, Rehe, Gemsen, Wildschweine nahm er es mit dem erprobtesten Forstmann auf. Seine Freude namentlich an den jungen Waldbewohnern war so groß, daß er oft voll Entrüstung betheuerte, er könne so einen Jäger vor Zorn umbringen, wenn er „solch’ a kloan’s Fuchsl derschossen hätt.“

Schleich arbeitete also gar oft die längste Zeit nicht, es ist aber klar, daß die Kunst an sich dadurch nicht litt. Im Gegentheil, die Wochen und Monate scheinbaren Nichtsthuns und Flankirens, welche ihm uneingeweihtere Bekannte so leicht zum lieblosen Vorwurf machten, förderten seine künftigen Leistungen durch die Menge der gesammelten Erfahrungen, und wenn er dann von selbst den Antrieb zum Produciren empfand, kehrte er ebenso malbegierig nach München zurück in seine Werkstatt, als er, allen lockenden Angeboten trotzend, von dort weggestürmt war. Eine Zeit lang residirte Schleich dann in seinem Atelier, welches hoch auf einem Dachboden gelegen war. Die letzte Stiege, die in dieses originelle Künstlerheiligthum führte, war eine ziemlich halsbrecherische Leiter, welche nur Eingeweihte mit Sicherheit betreten konnten. Um vor lästigen Besuchern geschützt zu sein, zog er nicht selten dieses Treppenersatzstück zu sich hinauf und ließ eine mächtige Fallthür herab, als Zeichen, daß der Schleichgustel nicht zu Hause sei.

Kam aber nach langer Abwesenheit so ein lieber willkommener Cumpan zu ihm, ihm ein Grüß-Gott zu bieten, so pflegte Schleich, in seinem stark markirten oberbaierischen Dialekt zu sagen: „Im Woaid drauß’n san ma g’wesen und in die Felda, woaßt, bei di Bauern, da is schön, Brüaderl!“ Da hätte man sehen sollen, was der Schleich an einem Vormittag Alles zu Wege brachte. Da standen ganze Reihen allerlei Teller, Tassen, Deckel und Pocale, auf deren Ausschmückung die Besteller mit Ungeduld warteten. Sie sollten bald befriedigt werden, denn wenn Schleich einmal mit dem freien Vorsatz, zu malen, sich gegen neun Uhr Morgens aus seinem Bette erhob, wenn er in seine graue Bergjoppe geschlüpft war und die unvermeidliche Cigarre oder eine thönerne Pfeife in Feuer gesetzt hatte, womit er der Welt guten Morgen sagte und seine Phantasie anregte, wie schnell waren da auf sämmtlichem Porcellan die lebendigsten Compositionen und wie rasch griff er dann, nicht unähnlich einem Setzer am Setzkasten, bald nach diesem, bald nach jenem Gegenstande mit wahrer Blitzesschnelligkeit! So sah man denn in etlichen Stunden eine förmliche Galerie kleiner Bilder hervorgezaubert und zwar meistens von einer Form und Schönheit, wie es andere Porcellanmaler trotz eines zehnmal längeren Zeitaufwandes und eines verschwenderischen Colorits nicht hätten schaffen können. Denn Schleich’s Bilder sind Leben, sind Wahrheit; wir sehen das Thier vor uns, das lebt, das athmet, es blitzt und leuchtet aus den lieben klugen Thieraugen und springt und läuft und hüpft und bewegt sich hierhin und dorthin. Die Bilder werden in des Beschauers Augen fast zur greifbaren Wirklichkeit und doch ist Alles nur aus Rauch, aus elendem Lampenruß, aus – Nichts geschaffen.

Es konnte nicht fehlen, daß man dem Schleichgustel gelegentlich große Bewunderung und Lob zollte, worauf er wohlgefällig schmunzelnd seinen braungelben Schnauzbart strich, seine gigantischen Rauchwolken mit doppelter Kraft von sich blies und wo möglich noch schneller darauf losmalend mit unnachahmlichem Ton und treuherziger Betheuerung sagte: „Brüaderl, schnell muaß gen, sunst is da Mesch koan Scheni. Da schaug her! Sieghst den Fuchs’n, wiera rausschaugt? Gel, der thut weita net lach’n? Jatz kimst du dran, Gamsbock, mir wer’n di glei hab’n! Woaßt, Brüaderl, köna muaß ‘s Oana hallt, nacha is so vui net dahinta![2] Gams, ob’s d’ jatz glei springst!“ –

Aehnliche Adressen erließ er an alle seine kleinen und großen Bilder, wenn sie der Vollendung nahe waren. Er lebte sich in seine Arbeit so hinein, daß er im Verlangen, den höchsten Grad der Wahrheit zu erreichen und nebenbei seine Phantasie zu kräftigen, allerlei Gesichter schnitt, zum Beispiel wie der im Morgendämmern hervorkommende Hirsch schreiend Hals und Kopf streckt, und wenn er den vielgeliebten Reineke malte, so konnte man nicht entscheiden, ob Schleich oder der unter seinen Händen entstehende Fuchs ein listigeres Gesicht mache; dabei dampfte er oft so, daß man ihn erst nach einiger Zeit völlig wieder sah, und unter den Rauchwolken kam etwa der Zuruf hervor: „Brüaderl, des kost’ beiß’n!“ – So malte er bis um die Mittagszeit und dann machte er in seiner originell dürftig eingerichteten Junggesellenwirthschaft Toilette – vorausgesetzt, daß er zwölf Uhr läuten gehört oder auf seine Uhr geschaut, die entweder nicht allemal in seinem Besitz oder gar nicht aufgezogen war, weil ihm, wie er sagte, die Zeit hierzu vor lauter Bestellungen fehle. Häufig nicht wissend, wie spät es an der Zeit, malte er so eifrig fort, bis ihm endlich ein Gefühl um die leere Magengegend sagte,


  1. Behüt’ Euch Gott.
  2. Können muß es Einer halt, dann ist so viel nicht dahinter.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 312. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_312.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2017)