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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

es müsse schon sehr spät sein. Da warf er sein Handwerkszeug brummend zusammen und grollte über die Kunst, daß man ihretwegen Hunger leiden müsse. Seine Toilette bestand in nichts Anderem, als daß er sich mit einem Instrument, welches einem Kamme nicht unähnlich sah, mehrmals verzweifelt schnell durch die struppigen Haare fuhr und daß er zur Winterszeit, wenn es die Umstände gerade zuließen, mit einer vom Fenster weggenommenen Hand voll frisch gefallenen Schnee’s Gesicht und Brust bearbeitete. Nach einer warmen und ausführlichen Empfehlung dieser Abhärtungstheorie griff Schleich, mit Gebirgsjoppe und Wasserstiefeln angethan, nach seinem Ziegenhainer und Schlapphut, welch letzterer meistens mit einem Gemsbart geziert war, und trollte seines Weges, sein Diner meistens in ein Souper verwandelnd.

In besseren Zeiten war Schleich auch einer besseren Toilette nicht abhold. Im Sommer sah man ihn häufig in einer überraschenden Metamorphose auf der feinen Promenade langsam und verklärt dahinschreiten; es war dann nämlich die Zeit gekommen, wo er, der in höheren Kreisen sehr geschätzte Künstler, der feinen Welt einmal beweisen zu müssen glaubte, daß er sich auch auf den höheren „Modenrummel“, aber auf „Künstlerfaçon“, verstehe. Ein schwarzer mit Schnüren besetzter Sammetrock besten Stoffes, ein feiner Cylinderhut, weiße Pantalons und lackirte Stiefeletten, fein gefaltete Chemisettes mit Manchetten und eine Halsbinde mit mächtiger genial gebundener Schleife vollendeten den Künstlerdandy. Ein fein gearbeitetes Stöckchen mit goldenem Griff in den Händen schwingend, verfiel er dann plötzlich aus seiner oberbaierischen Redeweise in einen sarkastisch accentuirten Berliner Jargon, namentlich wenn feine Gesellschaft des Weges daher kam, der er den höheren Schliff zeigen zu müssen glaubte.

In den Glacéhandschuhperioden war Schleich auch selbstverständlich gut bei Casse, er rauchte eine Cigarre, an der nicht blos wie sonst das Deckblatt gut, sondern deren ganzer innerer Bestandtheil unter Havannas Sonne getrocknet war. Er liebte es in solchen Momenten, mit großer Freigebigkeit seine Freunde zu regaliren, in heiteren Stunden eine lustige Zecherei zu bezahlen, und was er während seines Landaufenthaltes oft im Wirthshause that, nämlich die Bauern, welche seiner Zungenfertigkeit aufmerksam zuhörten, mit allerlei wüster Gelehrsamkeit vollzupfropfen, das that er auch in der Stadt im Freundeskreise mit oft bewundernswürdiger Eloquenz. Er verfiel dabei von einem Thema auf das andere, räsonnirte in schlagendster Weise über Politik, Juristerei, Medicin, Religionsphilosophie, Seelenwanderung, Christenthum, und wenn er in überzeugender Weise einen großen Theil seiner Zuhörer für sich gewonnen, stürzte er plötzlich von einem Extrem in’s andere und bewies mit so schlagender Wahrheit das Gegentheil von dem, was er wenige Minuten früher behauptet, daß seinen Genossen ganz bange zu Muthe wurde. Bei solchen Scenen kam es wohl zu manchem gereizten Durcheinander und zu fast harten Zusammenstößen, aus denen indeß ebenso die Klugheit, wie die Gutmüthigkeit des Künstlers immer zu guter Zeit den rechten Ausweg fand.

Seine späteren Tage blieben von diesen Anflügen von äußerem Luxus völlig frei, er lebte sich ganz in sein rauhes Gewand und die ihm entsprechenden geselligen Formen ein; später kam jedoch in die ungestüme Art seiner einfachen Lustbarkeiten allmählich eine merkliche Milderung, zu welcher ihm eine hier und da auftauchende Besorgniß für seine Gesundheit Veranlassung gab. Es stellten sich arge Brustbeschwerden ein und eines Tages im Frühjahr 1866 war er überraschend schnell nicht mehr in dieser Welt.

Die Rauchbilder Schleich’s, welche gleich nach ihrer Erfindung Gegenstand der Besprechung wurden, vervollkommneten sich immer mehr und mehr unter der genialen Hand; es gelang ihm immer mehr, hinter das originelle Verfahren zu kommen und in dem Anschwärzen der Teller sowie später der Flächen eines Zeichenpapiers eine Virtuosität zu erlangen. Er übte sich, die Zeichenfläche über der qualmenden Lampe gleichmäßig zu decken, und durch ein Bindemittel von transparenten Harzen ermöglichte er die Nichtbeschädigung des fertigen Bildes durch äußere Einflüsse. Holzgriffel, Nadel, Wischer und Lampenruß waren seine Werkzeuge, welche sich gleichsam wie Zauberdinge in seiner Hand bewegten. Diese Fertigkeit, diese eminente Geschicklichkeit muß man um so höher anschlagen, wenn man sich vorstellt, daß diejenigen Stellen eines Bildes, welche bei einer gewöhnlichen Zeichnung erst unter der Hand des betreffenden Malers durch Schattirung entstehen, bei den Rauchbildern fast unberührt bleiben und durch’s Zeichnen und Wischen der Lichtpunkte hervorgerufen werden. Aber trotz der Schnelligkeit, ja man kann wohl sagen Flüchtigkeit Schleich’s wurden die kleinsten Nüancen, die anscheinend unbedeutendsten Farbentöne nicht übersehen und durch mehrmaliges Nachschwärzen der Rauchfläche über der Flamme erhielten viele seiner Schöpfungen erst den rechten Weihekuß ausgezeichneter Künstlerschaft.

Es muß besonders hervorgehoben werden, daß man sich unter diesen Rauchbildern nicht Skizzen vorzustellen hat, sondern alle tragen das Gepräge der Durchführung bis in die kleinsten charakteristischen Merkmale des Gegenstandes und kommen der erprobtesten Beobachtungsgabe für die Thierwelt in jeder Beziehung entgegen; sie vereinigen aber mit dieser Meisterschaft im gewöhnlichen Sinne die elektrisirende Wirkung, durch welche Skizzen eines genialen Geistes so oft fleißigst und sorglichst ausgeführte Kunstwerke des geschulten Talentes glänzend besiegen.

Leider sind die zahlreichen großen und kleinen Meisterwerke Schleich’s nur wenig über München hinaus gewandert und daher weniger bekannt geworden, als sie verdienten, und gerade darum ist es um so erfreulicher, daß die anerkannt gelungensten Stücke in einer Sammlung vereinigt sind. Franz Neumeyer in München ist der Besitzer eines Rauchbilder-Cabinets von mehr als hundert der größten und prächtigsten Stücke, die nun durch photographische Vervielfältigung zu einem Gemeingut des Volkes gemacht werden sollen. Neumeyer gehörte zu dem engeren Freundeskreise Schleich’s, zu dessen Lebzeiten er es schon oft als einen Lieblingswunsch aussprach, seine Rauchbilder durch die Photographie in’s größere Publicum zu bringen; aber ebenso gehörte es zu den hartnäckigsten Absonderlichkeiten des Künstlers, gegen die Ausführung dieses Gedankens sich mit aller Entschiedenheit zu wehren. Sein Widerwille gegen diese Vervielfältigungsart seiner Bilder ging so weit, daß er, wie im Vorgefühl der drohenden Möglichkeit derselben, immer, so oft er Neumeyer’s Rauchbilder-Salons betreten mußte, nur mit traurig gesenktem Haupte und fast geschlossenen Augen durch das Zimmer ging. – Er ist heimgegangen und der Freund nun frei von der Rücksicht auf des Künstlers wilde Mucken; es wird seiner Ruhe im Grabe nicht schaden, wenn sein Andenken durch seine Werke in den weitesten kunstsinnigen Kreisen des Vaterlandes geehrt werden kann.




Im Frieden des Sabbathlichtes.
Aus den vier Wänden des jüdischen Familienlebens.

Indem ich mich anschicke, die Blicke der Leser auf einen Lebenskreis zu lenken, der einer nicht geringen Zahl derselben ein Gegenstand hergebrachten Spottes, den Meisten aber im Grunde noch ein mehr oder weniger verschleiertes Geheimniß ist, tauchen zunächst in meiner Erinnerung zwei leuchtende Augen auf und über die edeln Züge eines ernsten Gesichts sehe ich ein wehmüthig-mildes Lächeln gleiten. Vor mir steht die hohe und elegante Gestalt eines ergrauenden Mannes, mit dem ich einst in einem lieblichen thüringischen Badeorte vier genußreiche Wochen verlebte. Er gehörte zur –schen Beamtenaristokratie und sein Aeußeres zeigte unverkennbar den Typus derselben; bereits im Jahre 1849 hatte er aber seine langjährige Stellung als Chef einer hohen Behörde aus Besorgniß vor den Conflicten verlassen, in welche ihn seine freisinnigen politischen und religiösen Ansichten mit seinem Amte verwickeln mußten. Seitdem lebt er in ungestörter Muße den mannigfachen Studien, Forschungen und Arbeiten, zu welchen ihn eine eben so tiefe wie umfassende Bildung befähigte. Niemals habe ich ein so gründliches und ausgebreitetes Wissen mit so ernster Entschiedenheit des Charakters, so viel klare Schärfe der Auffassung mit so viel feiner und herzgewinnender Manier verbunden gesehen, als in dieser interessanten und geistvollen Persönlichkeit. Wir machten zusammen viele Wanderungen und Ausflüge, zu denen die schöne Gegend besonders einladet. So hatte uns auch einst einer der strahlenden Augustnachmittage

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verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 313. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_313.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2017)