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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

Wort gesprochen, Jedem nach Kräften gegeben werden und schon ist ein Körbchen mit Silbergeld, das abseits auf einem Tische steht, sowie manches Behältniß des Küchenschrankes seines Inhaltes ziemlich entleert. Auch bei dem Manne im Comptoir oder im Laden stellen sich heute viele solcher mündlicher und schriftlicher Gesuche, sogar manche ziemlich anspruchsvolle ein, und auch er hält für den Zweck eine Casse bereit. Denn am Sabbath soll in der Gemeinde Niemand Noth leiden, an diesem Tage der Ruhe und Freude Jeder wirklich ruhen und sich freuen können.

Im Laufe der Nachmittagsstunden sind endlich die Vorbereitungen beendigt. Kinder und Erwachsene haben die festlichen Gewänder angelegt, der große Eßtisch im Wohnzimmer ist mit blendend weißer Damastdecke belegt, die Weinflasche bereits zwischen den Leuchtern und den Vasen mit duftenden Blumen neben den Becher gestellt, der nur zum Segensspruch über den Wein benutzt wird. Auch die vom Bäcker zurückgekommenen Segensbrode mit der weißen Mohndecke auf der hellbraunen Kruste liegen appetitlich auf dem Tische. Bettler pflegen am Nachmittage nicht mehr anzuklopfen, es müßte denn ein verspäteter Reisender sein. Frauen und Töchter haben schon ihre Strickstrümpfe, Nähereien und Stickereien zur Seite gelegt und ausruhend irgend ein Buch zur Hand genommen; ein Geist der Stille, der Sammlung, der feierlichen und doch heiteren Erwartung zieht mit dem Nahen der Abendstunde in die festlich geschmückte Wohnung. Auch der Hausvater hat seinen letzten wichtigen Brief geschrieben, sein letztes Geschäft beendigt, seinen Laden oder sein Comptoir geschlossen und auch – seine letzte Pfeife oder Cigarre geraucht. Denn das alte Verbot des Feueranzündens erstreckt sich auch auf das moderne Tabakrauchen, und der altgläubige Jude, wenn er selbst der leidenschaftlichste Raucher ist, entbehrt in diesen vierundzwanzig Stunden mit immerhin bewundernswürdigem Heroismus den streng verpönten Genuß. Er wirft ihn mit den Kleidern, den Gedanken, Geschäften und Zerstreuungen der Woche hinter sich und läßt nun einen Blick freundlich musternder Zufriedenheit auf Weib und Kind und auf all’ den wohlthuenden Veranstaltungen ruhen, welche an diesem Tage selbst das dürftige Hüttchen des Aermsten zu einer Stätte des Ausruhens und der behaglichen Sammlung machen.

Der Sabbath der Juden geht bekanntlich, wie jedes ihrer Feste, von einem Abend zum anderen und beginnt ungefähr eine Stunde vor dem vollen Eintritt der Dunkelheit, eine Zeitbestimmung, die sich also nach der Jahreszeit richtet und genau in den Kalendern bezeichnet ist, so daß z. B. der Anfang im December schon zwischen drei und vier, im Juni erst gegen acht Uhr fällt. Dieser Wechsel ist natürlich auf das Colorit des Sabbathlebens nicht ohne Einfluß, da der Augenblick – selbstverständlich heutzutage nur bei denen, welche diese Gebräuche noch minutiös beobachten – mit strenger Genauigkeit eingehalten wird. Je näher er rückt, desto ernster pflegt in den frommen Häusern die Stimmung der Familienglieder zu werden. Endlich setzt der Vater seinen Hut auf, sieht nach der Uhr und winkt der Gattin freundlich mit den Augen, oder sagt wohl auch: es ist Zeit. Und die Hausfrau – es ist das eine ihrer durch das Gesetz vorgeschriebenen Pflichten – zündet nun langsam die Kerzen oder Lampen an, breitet segnend ihre Hände gegen dieselben und spricht: „O Gott, mögen wie diese Zündlichter einst leuchten und strahlen meine Kinder in deiner heiligen Lehre!“ Sofort nach Beendigung dieser andächtigen Ceremonie ist der Sabbath eingekehrt, die Arbeit muß ruhen, die Sorge soll schweigen, die Seele ganz nur sich, ihrem Gotte und den Familienfreuden leben: es ist der Moment, welchen Oppenheim auf dem nebenstehenden Bilde aus dem Hause einer jungen Familie so lebenswahr und anheimelnd dargestellt hat.

Sehe man sich in diesem Zimmer um; man bemerkt, die liebliche, jetzt von tief andächtiger Ergriffenheit umstrahlte Frau hat redlich ihre Freitagspflicht erfüllt. Der Mann trägt die Tracht des vorigen Jahrhunderts, wo diese Gebräuche, unberührt von dem Hauche einer neuen Zeit, in allen jüdischen Häusern bestanden; doch zeigt sein bartloses Gesicht und seine ganze Erscheinung schon die Ablegung mancher Vorurtheile und starke Hinneigung zu europäischer Eleganz und Bildung. Auch in dem schönen, sauber und geschmackvoll herausstaffirten Knaben begegnen wir dieser Mischung von deutsch-moderner und noch streng-religiöser Erziehung. Während der Vater noch einmal auf die Uhr sieht, befindet sich der Liebling schon in ungeduldig fortschreitender Stellung; er will mit seinem großen hebräischen Gebetbuche, das er bereits fertig zu lesen versteht, den Anfang des sabbathlichen Abendgottesdienstes nicht versäumen. Bald sind Beide auf der Straße, und je näher sie ihrem Gotteshause kommen, um so größer wird das Gewimmel der von allen Seiten in ihren besten Kleidern herbeiströmenden Glaubensgenossen. Alle haben sie in ihren Häusern soeben dieselbe Scene gehabt. Mancher, der verreist gewesen oder immer erst am Freitag von Märkten und Dörfern zurückkehrt, wird mit einem Händedrucke und dem alten Zurufe „Schalom alechem“ (Friede sei mit Euch!) willkommen geheißen. Aus dem Innern des Tempels strahlt bereits der Glanz einer reichen Erleuchtung. Draußen am Eingange stehen abseits einige gebeugte, nicht festlich gekleidete Gestalten; es sind Leidtragende, die in dieser Woche einen ihrer allernächsten Angehörigen begraben haben. Sie treten erst später bei dem Punkte des Gottesdienstes ein, wo das Gebet für die Gestorbenen gesprochen wird, und werden dann von der ihnen entgegengehenden Geistlichkeit mit einem biblischen Trostspruche empfangen. Der Gottesdienst hat bereits begonnen. Auf der Altarestrade, gegenüber der Bundeslade, die heute gleichfalls ihr Wochengewand abgelegt und mit einem kostbaren Vorhang geschmückt ist, steht der Vorsänger mit seinen Choristen und singt den Lechododi, wie der alte Sabbathhymnus heißt, der seit Jahrhunderten bis zum heutigen Tage um diese Stunde in allen Synagogen der Welt ertönt. Das schöne Lied, in welchem der Sabbath als eine Braut vorgestellt ist, hat durch Heine und andere Dichter eine poetische Berühmtheit erlangt.[WS 1]

Nach Beendigung des nicht langen Abendgottesdienstes gehen die Mitglieder der Gemeinde unter dem gegenseitigen Zurufe „gut Schabbes“ auseinander und Jeder eilt mit seinen Gästen – an denen es früher nur selten fehlte – dem heimischen Heerde entgegen, wo nun erst das einladende Sabbathstübchen winkt.

Beim Eintritte in dasselbe begrüßen sich auch die Familienmitglieder mit dem obigen Festgruße und dem Hausvater nahen sich seine Kinder und Enkel jedes Alters und halten ihm nach der Reihe das Haupt hin, auf das er sodann beide Hände legt und dazu jedes Mal den alttestamentlichen Segen spricht, wie er vom Judenthum aus auch in alle christlichen Kirchen übergegangen ist. Gegenseitige Küsse pflegen diese Feierlichkeit zu beschließen, und erst dann setzt man sich zu Tische, singt die Danksprüche über Wein und Brod – eine uralte Ceremonie, aus welcher unstreitig das christliche Abendmahl entstanden ist – und läßt dann je nach dem Bildungsgrade heiteren Gesprächen und einer urgemüthlichen Fröhlichkeit für den Rest des Abends freien Lauf. Was freilich außerdem an allem diesem Sabbathceremoniell noch von belastenden Erschwerungen, von peinlicher Casuistik und mancherlei Aberglauben hängt, soll hier keineswegs gelobt werden. Der Kern aber war sicher ein guter und edler und der Zweck, eine vollkommene Ruhe und Entwölkung der Seele, bei den edelsten wie bei den rohesten Naturen einen unumflorten Blick auf die tieferen und idealeren Seiten des Lebens zu ermöglichen, wurde allerdings durch das Heer vieler, uns jetzt seltsam und lächerlich erscheinenden rabbinischen Verbote in möglichster Vollkommenheit erreicht.

Der eigentliche Sabbath selbst erreicht die Weihe und den keuschen Glanz des Freitagsabend im Ganzen nicht wieder. Nach einer nochmaligen Versammlung der Gemeinde im Tempel und mit dem wiederholten Segnen der Kinder und dem gegenseitigen herzlichen Zurufe „gute Woche“ ist er beschlossen und der Werkeltag tritt wieder mit seinen Sorgen und Anforderungen an die Seelen heran. In wohlhabenden Familien ist gewöhnlich dieser Abend des Sonnabends den am Sabbath verpönten Vergnügungen, wie Spiel, Tanz u. s. w. bestimmt. Mancher arme Jude aber schnürt nach Beendigung des letzten Gebets und dem Anzünden der ersten Pfeife bereits seine Bündel zusammen, umarmt unter dem Wunsche einer guten Woche Weib und Kind und wandert seinem Erwerbe entgegen in die Nacht hinaus. Eine Woche hindurch wird er draußen sich mühen und abhetzen, von schwarzem Brode und Kaffee leben, um an seinem lieben Freitag in sein geschmücktes Haus zurückzukehren und wiederum vierundzwanzig Stunden ein Priester und ein König zu sein.

Hat auch der allwöchentlich wiederkehrende Sabbath bei den heutigen Juden durch den Fortschritt der Aufklärung und die Anforderungen der modernen Verhältnisse, besonders in einigen Theilen Deutschlands, viel von seinem alten poetischen Zauber eingebüßt, so daß es viele Häuser giebt, in denen er gar nicht

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Heinrich Heine, Prinzessin Sabbath
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_318.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2017)