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verschiedene: Die Gartenlaube (1867)

No. 26.   1867.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.      Vierteljährlich 15 Ngr.      Monatshefte à 5 Ngr.


Das Geheimniß der alten Mamsell.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


13.

Drei Tage waren seit des Professors Ankunft vergangen; sie hatten das einförmige Leben in dem alten Kaufmannshause völlig verwandelt, aber für Felicitas waren sie wider alles Erwarten ruhig verflossen. Der Professor hatte sich nicht wieder um sie gekümmert; er schien den Verkehr mit ihr auf die erste und einzige Unterredung beschränken zu wollen. Sie athmete auf, und doch – seltsamer Weise – hatte sie sich nie mehr gedemüthigt und verletzt gefühlt, als jetzt… Er war einige Mal in der Hausflur an ihr vorübergegangen, ohne sie zu sehen – freilich war er da ärgerlich gewesen und hatte ein grimmiges Gesicht gemacht, was ihn durchaus nicht verschönte. Frau Hellwig ließ es sich nämlich, trotz aller seiner Bitten und Vorstellungen, nicht nehmen, ihn hinunter in das Wohnzimmer zu bescheiden, wenn Besuchende aus ihrem Bekanntenkreis kamen, die ihn zu sehn wünschten. Er erschien nothgedrungen, aber dann stets als sehr unliebenswürdiger, schroffer Gesellschafter… Es kamen aber auch viele Andere täglich, die von Heinrich hinauf gewiesen wurden in das zweite Stockwerk – Hülfesuchende, oft sehr dürftige, armselige Gestalten, die Friederike zu jeder anderen Zeit ohne Weiteres an der Schwelle zurückgewiesen haben würde; sie schritten jetzt zum Aerger der alten Köchin und eigentlich auch gegen den Wunsch und Willen der Frau Hellwig über die schneeweiß gehaltene, förmlich gefeite Treppe des vornehmen Hauses und fanden droben ohne Unterschied Einlaß und Gehör. Der Professor hatte hauptsächlich Ruf als Augenarzt; es waren ihm Curen gelungen, die andere anerkannt tüchtige Fachmänner in das Bereich der Unmöglichkeiten verwiesen hatten – der Name des noch sehr jungen Mannes war dadurch plötzlich ein glänzender und gepriesener geworden.

Frau Hellwig hatte Felicitas das Abstäuben und Aufräumen im Zimmer ihres Sohnes übertragen. Der kleine Raum erschien völlig verwandelt, seit er bewohnt wurde; vorher mit ziemlichem Comfort ausgestattet, glich er jetzt weit eher einer Karthäuserzelle. Ein gleiches Schicksal wie den Guirlandenschmuck hatte die bunten Kattunvorhänge ereilt – sie waren sofort unter den Händen des Professors als lichtraubend gefallen; ebenso hatten einige unkünstlerische, mit großer Farbenverschwendung illuminirte Schlachtenbilder an den Wänden weichen müssen; dagegen hing plötzlich ein sehr alter, in eine dunkle Ecke des Vorsaals verbannter Kupferstich, trotz seines zerbröckelnden schwarzen Holzrahmens, über dem Schreibtisch des Bewohners. Es war ein wahres Meisterstück der Kupferstecherkunst, eine junge, schöne Mutter vorstellend, die ihr Kind zärtlich in ihren pelzverbrämten Seidenmantel hüllt. Die wollene Decke auf dem Sophatisch und mehrere gestickte Polster waren als „Staubhalter“ entfernt worden, und auf einer Kommode standen statt der Meißner Porcellanfiguren die Bücher des Professors, dicht aneinander gedrängt und symmetrisch geordnet. Da sah man kein umgeknicktes Blatt, keine abgestoßene Ecke, und doch wurden sie ohne Zweifel viel gebraucht; sie steckten in sehr unscheinbarem Gewande und waren je nach der Sprache, in der sie geschrieben, uniformirt – das Latein grau, Deutsch braun etc. … „Genau so versucht er die Menschenseelen zu ordnen,“ dachte Felicitas bitter, als sie zum ersten Mal die Bücherreihen sah, „und wehe, wenn eine über die ihr angewiesene Farbe hinaus will!“

Den Morgenkaffee trank der Professor in Gesellschaft seiner Mutter und der Regierungsräthin; dann aber ging er auf sein Zimmer und arbeitete bis zum Mittag. Er hatte gleich am ersten Morgen den Wein zurückgewiesen, den Frau Hellwig zu seiner Erquickung hinaufgeschickt; dagegen mußte stets neben ihm eine Karaffe voll Wasser stehen. Es schien, als vermeide er geflissentlich, sich bedienen zu lassen – nie benutzte er die Klingel; war ihm das Trinkwasser nicht mehr frisch genug, so stieg er selbst hinunter in den Hof und füllte die Karaffe auf’s Neue.

Am Morgen des vierten Tages waren Briefe an den Professor eingelaufen. Heinrich war ausgegangen, und so wurde Felicitas in das zweite Stockwerk geschickt. Sie blieb zögernd vor der Thüre stehen, drin wurde gesprochen; es war eine Frauenstimme, die, wie es schien, eben eine längere Ansprache beendete.

„Doctor Böhm hat mit mir über das Augenleiden Ihres Sohnes gesprochen,“ antwortete der Professor in gütigem Ton; „ich will sehen, was sich thun läßt.“

„Ach, gnäd’ger Herr Professor, ein so berühmter Mann, wie Sie –“

„Lassen Sie das, Frau!“ unterbrach er die Sprechende so rauh, daß sie erschrocken schwieg. „Ich will morgen kommen und die Augen untersuchen,“ setzte er milder hinzu.

„Aber wir sind arme Leute; der Verdienst ist gering –“

„Das haben Sie mir bereits zweimal gesagt, liebe Frau!“ unterbrach sie der Professor abermals ungeduldig. „Gehen Sie jetzt; ich brauche meine Zeit nöthiger… Wenn ich Ihrem Sohn helfen kann, so geschieht es – Adieu!“

Die Frau kam heraus und Felicitas schritt über die Schwelle. Der Professor saß am Schreibtisch; seine Feder flog bereits wieder über das Papier. Er hatte aber doch das junge Mädchen eintreten sehen, und ohne das Auge von seiner Arbeit wegzuwenden,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1867). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1867, Seite 401. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1867)_401.jpg&oldid=- (Version vom 19.3.2019)